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The National – Live in der Zitadelle, Berlin

Es hätte für die Berliner ein lauer, in sich ruhender Juni-Abend sein können, dessen Highlight das Feierabendbier im Sonnenschein gewesen wäre. Wenn sich nicht The National in der Hauptstadt angekündigt hätten, um dieser vermeintlichen Ruhe mit voller Kraft und einem üppigen Set reich an pathetisch-dynamischen Momenten entgegenzuwirken. Der Schauplatz: die Zitadelle Spandau, deren beeindruckendes Äusseres nur allzu gut zur musikalischen Vorstellung passte, die sich den vielen Fans an diesem Abend bieten sollte. Wer beim Einlass die massive Brücke über den Wassergraben hinter sich gelassen hatte, konnte sich anschließend im großzügig angelegten Innenhof ein lauschiges Plätzchen für das folgende Ereignis suchen.

Das frühe Set der Gitarrenvirtuosin und Sängerin Annie Clark aka. St. Vincent bildete dabei einen mehr als würdigen Auftakt. Das Wort “Inszenierung” mag vielleicht nicht für ihre Musik zutreffen, ihre Live-Show lebt mittlerweile aber genau davon und wird häufig durch kleine, einstudierte Posen oder Choreographien bestimmt, die das musikalische Bild abrunden. Obwohl die Lockenpracht von St. Vincent dieses Mal etwas müde am Kopf herunterhing und die Strumpfhose von Rissen übersäht war, machte die Amerikanerin, wie erwartet, einen ausgesprochen wachen Eindruck an den Gitarrensaiten, die sie perfekt kontrolliert und mit einer ausgesprochenen Lässigkeit in den Fingern jede Sekunde im Griff hat.

Eine kurze Umbaupause und ein paar über dem Gelände umherstreifende Flugzeuge später begannen The National noch im letzten ausklingenden Atem des Tageslichts ihre von viel Melancholie, aber auch zahlreichen Spannungsmomenten durchzogene Show. Anfangs verfehlten die großflächig auf die im Hintergrund stehende Leinwand projizierten Visuals noch leicht ihre Wirkung, weil die vorherrschende Helligkeit die Oberhand hatte, doch bereits die ersten paar Songs machten diese Tatsache schnell vergessen. Schließlich ließ es sich auch allein mit der Stimme Matt Berningers und dem fesselnden Spiel seiner Bandkollegen hervorragend leben. Alles weitere war dabei höchstens ein Bonus.

Mal ehrlich, eine Band wie The National braucht keineswegs bunte Laserstrahlen und die leuchtend-imposante Untermalung ihrer Songs in Form von Visuals, um den gewünschten Effekt hervorzurufen. Die teils bis an die Euphorie grenzende Reaktion der Fans mit fröhlich überschwappenden Getränken in der Hand ist der Band ohnehin sicher. Und die Herren der Stunde tun auf der Bühne einiges dafür, um die ihnen entgegengebrachte, wellenartige Begeisterung stets weit über dem Durchschnitt zu halten. Besonders Matt Berninger wirkt als Frontmann auch bei diesem Besuch in Berlin wie eine getriebene Seele, die sich aufgrund der inneren Zerrissenheit und Anspannung fest an den Mikrofonständer klammert oder diesen mitunter sogar gewaltsam zu Boden wirft.

Das unbestritten größte Ventil Berningers ist und bleibt neben diesen aktiven körperlichen Ausbrüchen aber sein Stimmvolumen, das sich ausdrucksstark und warm über alle Anwesenden legt und ringsum spürbare Ergriffenheit auslöst. Für den Sänger selbst reicht dies allerdings nicht, um sich die Qualen aus der Seele zu schreien und so zerschmettert er im Laufe des Abends eine Weinflasche, erklimmt zwischendurch im Anzug auch schon mal das Bühnengerüst, lässt das Mikrofon mit ziemlicher Wucht wiederholt auf den eigenen Kopf schnellen oder begibt sich gegen Ende des Konzert bei Songs wie “Mr. November” und “Terrible Love” auf eine Art Wanderausflug mitten ins Publikum hinein. Wobei dieser eher einem gezielten Sprint gleicht, in dem er gefühlt so viele Meter wie nur möglich zurücklegen und sich begeisterte Schulterklopfer der freudestrahlenden Fans abholen möchte.

Für die erste Zugabe “Sorrow” kehrt schließlich St. Vincent auf die Bühne zurück, um Berninger in einer Art schwarzem Klostergewand als Duett-Partnerin zu unterstützen. An diesem Abend verlieren beide nur ausgesprochen wenig Worte, doch wirken sie gleichermaßen dankbar und zufrieden, ja geradezu trunken vor Leidenschaft für das was sie tun. Da bedarf es dann auch kaum vieler Worte und ganz zum Schluss nicht einmal mehr der Kraft der tosenden Verstärker. “Vanderly Crybaby Geeks” wird mithilfe der aufgewärmten Kehlen der Fans akustisch in den mittlerweile dunklen Abendhimmel entsandt bevor die Euphorie schließlich verstummt und die nächtliche Stille in die Zitadelle zurückkehrt. In den Köpfen der Zuschauer wurde diese jedoch vermutlich noch länger von den Nachwirkungen des erlebten Spektakels verdrängt.

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