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And The Golden Choir – Live in halle02, Heidelberg

Wie mutig auch immer der neue Kölner Tatort gestern gewesen sein mag, er war niemals so unterhaltsam wie And The Golden Choir. Wer an diesem Sonntagabend nicht in der Heidelberger Halle02 war, und das waren die meisten, hat mehr verpasst als ihm lieb sein sollte.

Tobias Siebert hat mit seinem Soloprojekt inzwischen eine Studio- und Liveband aufgebaut, die ein so ungewöhnliches Konzerterlebnis herbeispielt, wie man es höchstens noch in Ansätzen in den kleinen Konzertsälen der Theaterhäuser findet.

Was dort allerdings oft angestaubt wirkt, strahlt bei And The Golden Choir in ganz neuem Glanz. Allein das altertümliche Instrumenten-Museum auf der Bühne ist bereits die 19 Euro Abendkasse wert – was Siebert & Co. daraus machen unbezahlbar.

Xylophone, Hackbrett, Drehleier: Jedes der Bandmitglieder macht sich irgendwann an einem der, auf Rock- und Popkonzerte eher selten bis nie anzutreffenden, Instrumente zu schaffen, die irgendwann auch alle bei Siebert landen. Für manche davon sind noch gar keine Namen bekannt.

Der Unterschied zu Arcade Fire, denen manch nostalgisches Mittel auch schon immer gelegen kam, liegt im charmanten Understatement auf der Bühne. Alles steht im Dienste der Songs. Die Liebe zum Analogen ist deshalb auch zu keiner Zeit blinde Bigotterie.

Wie selbstverständlich drängen sich etwa in „Air Fire Water“, einem der besten Stücke der aktuellen Platte „Breaking With Habits“, auch Drumcoputer und Synthesizer zwischen die unzähligen, wunderschönen Holzkisten-Instrumente, die von einer einzigen Tischleuchte auf der Orgel in wohnlich-warmes Licht getaucht werden.

Was auf Platte manchmal etwas zu hermetisch wirkt, wird live zur Offenbarung. Siebert redet kaum, prostet dann und wann mit seinem Weinglas, vermutlich mit der eigenen And-The-Golden-Choir-Sorte, ins Publikum und lässt die nächste Perle Klangkunst folgen.

Woher er das alles kann? Nun, wer für Slut, Kettcar oder Herrenmagazin gearbeitet hat und mit Klez.e ganz nebenbei noch einer der aktuell wichtigsten deutschsprachigen Bands vorsteht, hat ein Know-how, das tendenziell stetig weiter wächst.

So wirkt Siebert im langen schwarzen Mantel auf der Bühne auch mal wie der vom Volk geschätzte Wanderprediger, der bereitwillig seine Weisheiten teilt. Die junge Gitarristin zu seiner Linken ist mit grünen Haaren, hautengen Leggins und graziler Statur nicht nur ein Hingucker, sondern vor allem eine äußerst begabte Musikerin und als Zweistimme Sieberts perfekter Sidekick.

Zusammen liefern die beiden mit den drei  Herren im Hintergrund nichts weniger als eine kammermusikalische Predigt, eine Ouvertüre analoger Detailkunst, die mit „Heaven“ den sinnlichsten und übernatürlichsten Moment des Abends bis ganz zum Schluss aufspart.

Dass sich das nur rund 25 zahlende Gäste anschauen wollen, ist den Anwesenden vor der Band peinlich. And The Golden Choir haben mindestens das Zehn-, nein, das Hundertfache an Zuschauern verdient – der Tatort nicht (mehr).

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