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Die Nerven – Fake

Rund zweieinhalb Jahre hat sich das Trio Die Nerven für ihre neue Platte „Fake“ gegönnt. Touren, Solo-Projekte, etliche Studio-Produktionen – zur Ruhe gelegt hat sich keiner von ihnen.

„Mit Abstand hat uns kein Album so viel abverlangt wie dieses hier“, sagen sie. Das merkt man. Großteils live eingespielt wie die Vorgänger behält es Authentizität, ist aber detailverliebter, abwechslungsreicher, komplexer. Und kommt schwergewichtig und dicht auf leichten Füßen daher.

Der erste Eindruck von „Neue Wellen“ ist typisch Max Rieger. Der Opener könnte auch seinem Solo-Projekt All Diese Gewalt entstammen. Ein paar zu wenig Spuren und etwas mehr Druck, aber ähnliche Dichte und gleicher Spin.

Das ändert sich sofort beim zweiten Track „Niemals“ und bleibt auch anders. Gut gelaunt beschwingter Sound im Kontrast zum Refrain. „Finde niemals zu Dir selbst!“. Verdruss über Selbstverwirklichung, Yoga, optimierte Work-Life Balance. Oder einfach generell Verdruss?

Die Texte erzeugen Emotionen, kein Verständnis. Sind bewusst vage gehalten, lassen alle Details offen. Das brachiale „Frei“ kokettiert mit ihrem Image als wütende Band der Anti-Haltung. „Immer nur dagegen, immer nur dagegen, aber gegen was?“.

Die Emotionen bleiben trotzdem widerspenstig, anklagend, verneinend, ablehnend…aber gegen was? „Ich mache alles falsch, ich mache alles richtig. Wir machen alles falsch, wir machen alles richtig. Die Zeit lief früher nicht so schnell und das Licht war früher nicht so hell.“

Am deutlichsten der Titeltrack. „Her mit Euren Lügen, her mit Eurem Leid“. Trotzdem bleibt viel Raum für Interpretation in eigene Emotionen.

Oft Punk-Band genannt, trifft das nur noch teilweise zu. Zwischen den ärgerlichen Sound-Gewittern sind einige Stücke fast poppig anmutend. Ihr Ziel für die Platte – jedes Stück wird in sich gut. Das ist den dreien – Max Rieger (Gesang/Gitarre), Julian Knoth (Bass) und Kevin Kuhn an den Drums – absolut gelungen.

Die Scheibe ist homogen und abwechslungsreich. Genauso wie jedes Stück in sich. „Aufgeflogen“ kracht unvermittelt los, wird schrammelig knarzend. Der Bass übernimmt intensiv treibend, der Gesang intensiv drängend. Weiter mit lautem Gitarrenteppich, Max schreit alles Elend in die Welt hinaus. Abgelöst durch sanft gezupfte Gitarre, jazzige Percussion, gezogener Gesang.

Ansteigender Bass wieder zum intensiven Teppich, wieder Schreien. Eine Aneinanderkettung von harmonischen Brüchen. Exemplarisch für die Vielfalt der Scheibe.

Jedes Stück steht für sich, alle funktionieren gemeinsam. Die Bandbreite ist immens. Verkopft, leichtfüßig, ärgerlich, laut, komplex, verspielt, tiefgehend, psychedelisch. Authentisch und glaubwürdig in der Abwechslung.

Alle Instrumente gemeinsam produzieren Dichte, jedes für sich abwechselnd verdichtet Emotion. Nur Ballade muss nicht sein. Aber selbst die wird schließlich zum Noise-Teppich, dann ist es wieder gut.

Sehr spannende Platte einer immer noch sehr interessanten Band. Mit jedem Hören wird es intensiver und vielschichtiger. Selbst der einsame Triangelton zum Abschluss verhallt bedeutend. Ein Highlight des Jahres 2018 und eine hohe Latte für das restliche Jahr.

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