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Irgendwie ein bipolares Gefühl – Roosevelt im Interview

Stell dir vor, du produzierst ein Album als Ode an die Clubkultur. Jetzt brennst du darauf auszutesten, ob deine Schöpfung an der kulturellen Schnittstelle zwischen Discokugel-irisierendem Dancefloor und altbewährter Analogmusik-Kaschemme auch im Konzert-Kontext funktioniert. Es stellt sich die Frage: Kriegen wir Indie-Geeks und Rave-Heads unter einen Hut? Und was noch viel wichtiger ist: Würden sie dort gemeinsam abspacken? Fragen, auf deren Antworten Marius Lauber a.k.a. Roosevelt noch ein Weilchen warten muss.

Auch wenn das mittlerweile dritte Studioalbum „Polydans“ sein bisher elektronisch anspruchsvollstes und folglich tanzbarstes ist, vernachlässigt es nach wie vor nicht die gewohnt-heimeligen Streifzüge durch Yacht-Rock, Indie-Pop und melodiengetriebene Catchyness. Mit MusikBlog hat der eifrige Autodidakt via Zoom über frische Produktionsparadigmen, alte Zeiten, neue Sehnsüchte und schlechte Handy-Videos gesprochen.

MusikBlog: Hey Marius, wie läuft die Promo in diesen unwirklichen Zeiten?

Marius Lauber: Naja, da das Album jetzt schon so viel Vorlauf hatte, gab’s eigentlich keine klassische Promo-Phase. Ich hatte auch schon im Dezember das ein oder andere Interview. Ist aber auch ganz angenehm, dass das gerade alles so ein bisschen auseinander gezogen ist. Man sagt ja sonst bei Interviews auch immer nur dasselbe, wenn alles so gerafft ist. Noch nicht mal, weil man faul ist, sondern einfach, weil man eine gute Art und Weise gefunden hat, auszudrücken, was man sagen will.

MusikBlog: Lass uns doch versuchen, ein paar differenzierte Antworten aus dir rauszuholen.

Marius Lauber: Schieß los!

MusikBlog: Wie auch bei deinem letzten Album bist du jetzt mit „Polydans“ wieder alleinverantwortlich ans Werk gegangen. Ist diese Selbstbestimmtheit die Voraussetzung dafür, um sowohl den Singer/Songwriter Roosevelt als auch den DJ Marius Lauber unter einen Hut zu kriegen?

Marius Lauber: Roosevelt hat damals ja eigentlich als neugieriges Experiment angefangen, so nach dem Motto: „Krieg ich sowas auch alleine hin?“ Ich habe vorher in verschiedenen Bands gespielt, aber als es mit Roosevelt los ging, war das ohnehin eine Zeit, in der Bedroom-Producing gerade angesagt war. Man denke da an Washed Out, Toro y Moi, Tame Impala, Caribou – das waren schon alles Vorbilder.

MusikBlog: Von Anfang an war also die Marschroute: Wenn, dann alles auf eigene Faust?

Marius Lauber: Oft wird über mich geschrieben, ich könnte nicht mit anderen Leuten arbeiten. Das stimmt nicht unbedingt. Ich arbeite ja auch als Produzent an Projekten anderer Acts mit, sofern es die Zeit gerade zulässt. Bei Roosevelt würde es jedoch keinen Sinn machen, mir da wen reinzuholen. War halt schon immer so.

MusikBlog: Du bist ja gerade auch in Köln und „Polydans“ bewegt sich zielgerichteter als die Alben zuvor in Richtung Clubmusik. Du wrats ja in dieser Stadt auch mal Resident-DJ. Welche Rolle spielt Köln insgesamt für deine musikalische Sozialisation?

Marius Lauber: Mir gefiel hier immer die Szene, gerade das, was damals so auf Kompakt rauskam. Ich war ja auch ‘ne Zeit mit COMA unterwegs, die ihr Zeugs jetzt witzigerweise ebenfalls auf City Slang rausbringen. Das wichtigste an Köln war für mich die kleine Szene, die dennoch – auch heute noch – große Relevanz hat. So bekam ich Zugang. Da gab’s früher Momente, wo ich mir dachte: „Wieso lässt der mich ans DJ-Pult?“ Ich hatte ja nur 20 Techno-Tracks auf einem USB-Stick.

MusikBlog: Wo wir gerade über Club-Erfahrungen sprechen: Du behauptest ja selbst, dass DJs eine viel direktere Verbindung mit ihrem Publikum aufbauen können. Wie sehr schmerzt es, in Corona-Zeiten auf solche Erfahrungen verzichten zu müssen?

Marius: Darüber habe ich auch während der Produktion des Albums nachgedacht. Für alle Künstler ist es gerade sehr bitter zu produzieren, dann aber nicht live spielen zu können. Am Anfang hat man ja noch so ‘ne Art Galgenhumor und redet sich ein, die Situation hätte auch was Gutes. Dieser Optimismus ist längst verflogen.

MusikBlog: Ziehst du denn wirklich gar nichts Gutes aus der Lage?

Marius Lauber: Ich hatte wahnsinnig viel Zeit für neue Produktionen. Viel Zeit für Kram, der sonst durch Shows geblockt wird. Gerade auf Tour, wenn du dann mal zwei Wochen Zeit hast, ist die Motivation ins Studio zu gehen, nicht sonderlich groß. Das ist im Moment schon anders. Du entwickelst einen ganz anderen Flow, wenn du mehr Zeit hast, um im Studio zu sein.

MusikBlog: Verändert sich dadurch auch die Erwartungshaltung an deine Musik?

Marius Lauber: Du denkst dir: „Okay, jetzt habe ich ja Zeit und könnte eigentlich zwei weitere Alben schreiben.“ Da merkt man, dass Live-Gigs wichtig sind, um sich zu zerstreuen und Inspirationen zu sammeln.

MusikBlog: Wie kriegt man das kompensiert?

Marius Lauber: Schlechte Live-Videos auf YouTube! Die schaue ich mir an und male mir aus, wie ein Song wohl weiter geht, sobald das Video zu Ende ist. Danach kann man leider nicht so gut suchen, aber ich hatte es jetzt schon ein paar Mal, dass ich mir verwackelte Handy-Videos angesehen habe – und das auch wirklich etwas in mir ausgelöst hat.

MusikBlog: Bei deinem letzten Album „Young Romance“ hast du gesagt, es sei von großen Visionen und tiefen Sorgen geprägt. Wie verhält es sich mit „Polydans“?

Marius Lauber: In den Texten geht es immer noch um Herzschmerz. Aber die Produktionen waren diesmal viel leichter. Bei „Young Romance“ hatte ich noch den Anspruch, radiofreundliche Musik zu machen. Diesmal war ich viel näher bei mir. Ich hab einfach gemacht, was mir Spaß macht.

MusikBlog: Dieses Album gehört also vor allem dir und ist nicht drauf ausgelegt, „da draußen“ Anklang zu finden?

Marius Lauber: Zum einen das und zum anderen ging es auch darum, mir zu beweisen, dass ich’s alleine hinkriege. Ich wäre ja nicht der erste, der daran scheitert. Diese Panik hatte ich auf jeden Fall. Die Angst zu scheitern, war bei mir immer kontraproduktiv. Mir das Gegenteil beweisen zu können, war definitiv eine große Befreiung.

MusikBlog: Dein neues Album hat immer noch große Pathos-Momente, auch viel Disco-Eskapismus. Das war ja schon 2020 grundsätzlich ein Faden, der sich durch die kommerzielle Popwelt gezogen hat, siehe Jessie Ware, Dua Lipa, Kylie Minogue, Róisín Murphy. Alles mehr oder weniger Disco-Alben. Hast du eine Erklärung für diesen Hype, dieses Revival? Kam die Musik vielleicht deshalb so gut an, weil die Clubs eben dicht waren? Und noch immer sind?

Marius Lauber: Kann schon sein. Aber ein weiterer, entscheidender Faktor ist immer noch Daft Punk (Deren Auflösung interessanterweise kurz nach diesem Interview bekannt wurde, Anm. d. Red.). Ich glaube, man unterschätzt wie groß deren Impact auf die Popszene ist. Wenn mal wer auf Eighties gemacht hat, war das gerade vor 2013 eher so a-ha-mäßiger Pop, auf das eigentliche Disco-Revival hatte aber Daft Punk den entscheidenden Einfluss.

MusikBlog: Du behauptest, „Polydans“ sei dein bisher persönlichstes Album. Bei „Young Romance“ hieß es noch, die Platte sei für dich wie ein persönlicher Coming of Age-Film. Wenn man dem nun dein neues Album gegenüberstellt, könnte man dann sagen, „Polydans“ steckt immer noch in dieser postadoleszenten Selbstfindungsphase. Oder ist dieses Werk nunmehr erwachsen?

Marius Lauber: Gute Frage! Die wurde mir tatsächlich noch nicht gestellt. Lass mich muss kurz nachdenken… Das neue Album ist für mich wie eine besser produzierte Version meines Debüts. In vielen Momenten bezieht es sich auf eine Soundwelt, die bereits auf meiner ersten Platte stattfand. Bei „Polydans“ war es mein großes Ziel, Club-Atmosphäre zu schaffen. Viele Leute gehen ja auf ein Indie-Konzert und bewegen sich kaum, hören bloß zu, was ja auch vollkommen okay ist. Bei „Polydans“ fand ich einfach den Gedanken faszinierend, eine Tanzfläche zu generieren. Das ist eine wahnsinnige Herausforderung und du merkst, ich beziehe mich wieder voll auf Live-Situationen. Aber so kann ich’s irgendwie am besten beschreiben. Irgendwie ein bipolares Gefühl, denn eigentlich fühle ich mich erst mit diesem Album so richtig angekommen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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