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Gewalt – Paradies

Gewalt. Ein weiteres Projekt von Patrick Wagner. Künstler, selbsternannter Versager mit Erfolg, politischer Antiphilosoph und noch viel mehr in einer Person. Politische Aussage und personalisierter Größenwahn in Einem.

Der erklärte Auftrag – Musik gegen Vernunft und Kommerz. Nur auf 7“, jede auf einem anderen Label. Noise, Lärm, klare Worte unklar zusammengesetzt. Live eine Ur-Gewalt. Pures Gewitter aus Strobe und Lärm.

Nun doch ein Album. „Paradies“ der womöglich passend unpassendste Name. An der Gitarre immer noch Helen Henfling, am Bass nach etwas Karussell Jasmin Rilke. Und natürlich eine Nummer mehr als nur eine LP. Alle bisherigen Stücke gibt es als zweite Scheibe dazu, dazu ein Buch mit künstlerischer Darstellung der Tracks der Band.

„Gier“ fast harmonisch tanzbarer Sound. Der Beat des vierten Bandmitglieds – der Drumcomputer LMMS – gewohnt energiegeladen wie ein illegaler Rave. Textlich zielsicher konsequent. Alle Menschen nur vermeintlich divers.

„Was uns verbindet ist unsere Gier.“ Einfach verständliche Kernaussage im Endlosloop. Immerhin gibt es eine Verbindung. „Nichts als unsere Gier!“ Ob das Hoffnung macht, bleibt dahingestellt. Direkt aus dem Kopf in den Bauch.

Der gewaltige Bass stellt die Beats auf „Es funktioniert“ in den Hintergrund. Abgehackt repetitiv zerlegt Patrick Wagner unser Dasein gegen die Gesellschaft. „Ein täglich neuer Weltuntergang. Solide finanziert.“

„Stirb Es Gleich“ bringt den Noise zurück. Dystopische Predigt inklusive. Der musikalisch komplexe „Jahrhundertfick“ bringt zu Ende, was Falco vor vielen Jahren begonnen hat. Gänsehaut inklusive.

Das Titelstück hüpft nicht nur musikalisch irre dahin. Drogenrausch im stickig vernebelten Keller. Das Mix-Video zu „Paradies“ und „Es Funktioniert“ macht es nicht weniger verstörend.

„Manchmal Wage Ich Mich Unter Leute.“ Abgehackt bleibt im Trend. Ebenso jede Form der sozialen Störung. Soziale Interaktion versus Schmerz. „Wir sind mechanisch. Wir sind zerbrechlich“. Der Refrain in Frauenstimme saugt in einen Strudel, um dann von Wagner wieder rausgetreten zu werden. „Wir sind nur Dinge unter Dingen“.

„Die Wand“ bauen wir, um uns für immer abzuschotten. Der Drumcomputer treibt salvenartig. Gitarre und Bass bauen ebenfalls eine eigene immer dichter werdende Wand aus harmonischem Noise. In Kombination mit dem geleierten Gesang entsteht ein massiver Sog. Das Ende eskaliert, bevor die Freude zu groß werden kann. Wir „stellen uns davor und lassen uns erschießen“.

„3:35 Uhr“ fliegt in nahezu atemlos harmonischer Trance dahin. Fraglich, ob er je wieder aus dieser Nacht erwachen wird. Doch die Nacht geht vorbei. Ist das Aufwachen am Ende der Platte ein Hoffnungsschimmer oder haben wir etwas überhört?

Gewaltiger Sound zwischen Noise, Industrial, Post-Punk, Techno und eben Gewalt. Seit den Anfängen deutlich gereift, abwechslungsreicher, musikalischer. Man könnte so viel Spaß haben und großartig zu dieser Platte tanzen.

Wäre da nicht der unheimliche Zwang, sich von der nächsten Brücke zu stürzen, um der dystopischen Trostlosigkeit zu entgehen.

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