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Peaches – Live im Karlstorbahnhof, Heidelberg

Nackte Haut, Nippel und Electroclash! Auf Letzteres waren die meisten Zuschauer wohl vorbereitet. Die Freizügigkeit auf der Bühne dürfte aber zumindest für „Peaches Virgins“ ein Novum bei einer Konzertshow darstellen.

Schon nach dem ersten Song weiß jeder: Die Kanadierin, geboren als Merrill Beth Nisker, ist nicht nur Musikerin und Produzentin sondern auch und vor allem Perfomance-Künstlerin und als solche erstmals im Heidelberger Karlstorbahnhof zu Gast. Es ist ihr einziger Deutschlandauftritt in 2022 und der perfekte Auftakt für das diesjährige Queerfestival.

Noch bis zum 31. Mai lädt der Karlstorbahnhof zu einem bunten Programm aus Musik, Film, Literatur und Workshops rund um die Themen der LGBTQ-Community. Und das Booking könnte treffsicherer kaum sein.

Denn 20 Jahre nach Veröffentlichung ihres ikonischen zweiten Albums „The Teaches Of Peaches“ ist die Urheberin längst zur Stilikone für queere Clubkultur avanciert und empfiehlt sich allein schon auf Papier als idealer Eröffnungsact für dieses Festival.

Nahezu jeder ihrer Zeilen ist ein Statement für Feminismus, die Rechte der LGBTQ-Community, sexuelle Freiheit und Diversität – ihre Garderobe ein klarer Ausdruck für Respekt und Toleranz: „Vaginoplasty/ Why do you ask me?/ Vaginoplasty/ I keep it nasty“!

Leicht bekleidet, mit Rollator und einer übergroßen Vagina auf dem Kopf, schleppt sie sich auf die Bühne, nachdem zuvor ihr Band- und Tanzkollektiv in grobmaschiger Netzwäsche und sexualisiertem Ausdruckstanz einen Teaser dessen gab, was der Abend noch bereithalten wird.

Neben allerfeinster Clubmusik im freizügigen Korsett einer Liveperformance ist das etwa auch eine puristische „Rock Show“. Gerade dieser Song steht exemplarisch für den anarchistischen Punkspirit, der seit jeher ein Peaches Konzerte über- oder besser gesagt auszieht.

„You came to see a rockshow/ A big gigantic cock show“, schmettert sie, während ihre Gitarristin robuste Singlenote-Riffs und ihr Schlagzeuger fundamentale Beats zum Besten geben. Beides so schlüpfrig und bestimmt wie die Klamotte.

Ihre elektronischen Drums steuert Peaches so gekonnt einhändig über ein Sampelpad, wie sie ihre Kostümwechsel vollzieht, die meistens direkt auf der Bühne stattfinden. Der Rollator flog da bereits im hohen Bogen wieder hinter die Bühne.

Über die körperliche Ausdauer der 55-Jährigen gibt es keinen Zweifel. Routiniert steigt sie über die Köpfe des Publikums oder schleudert einen mehrere Meter langen Zopf blonder Haare über und um sich. Als sich dazu zwei ihrer Tänzer und Tänzerinnen gesellen, die sich unter körpergroßen Perücken verrenken, besteht die Bühne kurzzeitig aus einem einzigen Berg blondierter Haare.

In Sachen kostümiertem Ausdruckstanz treiben es höchstens noch Bonaparte so weit, dafür aber nie so freizügig. Zwischendurch fliegt nicht nur mehrfach Unterwäsche über die Bühne, zur Frage „Whose juice is this“ blitzen einmal mehr auch blanke Nippel im Bühnenlicht.

Für Facebook wäre dieser Auftritt eine zensorische Herausforderung, für Peaches ist es der künstlerische Pflichtbeitrag zu Genderpolitik und sexueller Identität. Das schreibt sie gerade auch auf ihrem dritten Album „Fatherfucker“ groß, das mit dem herausragenden Song „Shake Yer Dix“ den Abschluss des regulären Sets markiert. Hier kommt musikalisch ihre ganze Stärke zwischen Elektro und Punk zusammen.

Danach kann’s nur noch einen geben: Das fulminante Electroclash-Finale wird als Zugabe mit einer Champagner-Dusche begossen, die die ersten Reihen des Karlstorbahnhof zu den Anfangstönen des größten Hits „Fuck The Pain Away“ bereitwillig über sich ergehen lassen.

Es ist das Stück, das in der hervorragenden Coming-Of-Age-Serie „Sex Education“ als musikalischer Leitfaden und Ventil der Teenager dient. Hier ist es der krönende Abschluss einer außergewöhnlichen Show, die im Rahmen des Heidelberger Queerfestivals viel Lust auf mehr macht.

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