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Ich suche nicht nach Feedback, ich suche nach einem Wandel – Zola Jesus im Interview

Nika Roza Danilova veröffentlicht unter dem Pseudonym Zola Jesus schon seit 2009 Platten im Spannungsfeld zwischen Folk, Goth und elektronischen Sphären. Vor “ARKHON“, dem siebten Studioalbum, plagt sie plötzlich eine Schreibblockade, die die gesamte Songwriting-Welt der Musikerin auf den Kopf stellt. Ein Gespräch über neue Wege, die Angst vor dem Unbekannten, die Systematik der Musikindustrie – und der mystischen Kraft der Natur.

MusikBlog: Hallo Zola! Bald erscheint schon dein neues Album, wie groß ist die Vorfreude?

Zola Jesus: Sehr! Es ist ein sehr persönliches Album geworden und ich bin schon super aufgeregt, dass Leute es bald hören können.

MusikBlog: Inwiefern ist das Album denn anders, was vor allem das Thema anbelangt?

Zola Jesus: Diese Platte kommt aus einer transformierenden Zeit meines Lebens. Das Album ist deswegen nicht nur persönlicher, sondern auch viel emotionaler für mich. Die Songs liegen mir sehr am Herzen. Zwischen meinem letzten Album und diesem bin ich durch einen großen Veränderungsprozess geschritten und ich habe das Gefühl, dass man dieses Wachstum auf der Platte hören kann.

MusikBlog: Ich hatte beim Hören auch das Gefühl, die Platte klingt generell anders als deine vorigen Releases und habe mich gefragt, ob das etwas mit deiner Zusammenarbeit mit anderen Musiker*innen zu tun hat. Wie würdest du ihren Einfluss auf das Album beschreiben?

Zola Jesus: Es war so befreiend und ermächtigend, mit anderen Musiker*innen zusammenzuarbeiten, weil sie wirklich meine Vision respektiert haben. Das habe ich davor niemals zugelassen, aus Angst, die Kontrolle über das Resultat zu verlieren. Aber jetzt hat mir die Zusammenarbeit so viel Energie gegeben und damit die Platte einfach besser gemacht.

MusikBlog: Gerade wenn es dir vorher so viel Angst gemacht hat – wie hast du denn die Wahl getroffen, welche Kollaborateur*innen die richtigen für diese Platte sind?

Zola Jesus: Das war ein sehr natürlicher Prozess. Die erste Person, die ich mir ausgesucht hatte, war Randall Dunn. Er ist der Co-Produzent und Mixer des Albums. Ich habe mich sehr verstanden von ihm gefühlt und dann hat er mir Leute vorgestellt, bei denen er das Gefühl hatte, sie würden zum Album passen. Und ich habe auch mit Menschen gearbeitet, zu denen ich schon lange eine Bindung habe. Alles hat sich so natürlich angefühlt, weil alle, die dabei waren, so pflichtbewusst an ihren Beitrag herangegangen sind.

MusikBlog: Das klingt ja wirklich sehr entspannt. Gerade das Schlagzeug von Matt Chamberlain scheint einige Songs geradewegs zu tragen. Hatte das auch einen Einfluss auf die Lyrics?

Zola Jesus: Die Lyrics waren zuerst da, aber als die Beats eingefügt wurden, haben sich viele Songs vollkommen transformiert. Mir war es sehr wichtig, dass die Menschen, die etwas zu diesem Album beisteuern, vor allem der Musik helfen sollen. Wenn sie also etwas angeboten haben, was vollkommen anders war als meine ursprüngliche Idee, bin ich dafür offen gewesen. Denn da war ja dieses Grundvertrauen. Die Rhythmen von Matt haben die Musik in so einer Form verändert, die ich niemals erwartet hätte. Und sie haben den Lyrics und dem ganzen Geist des Albums eine gewisse Körperlichkeit verliehen.

MusikBlog: Ich fand es interessant, dass du vorhin über deine Angst oder Zurückhaltung für die Zusammenarbeit mit anderen Musiker*innen gesprochen hast. Du hattest im Pressetext zu diesem Album erzählt, dass deine Werke bisher oft um diese Angst vor dem Unbekannten gekreist sind. Als ich das Album gehört habe, kam mir das Album aber eher sehr kraftvoll und selbstbewusst vor. Würdest du sagen, dass Musik für dich in diesem Sinne vor allem als Werkzeug funktioniert, mit dieser Angst umzugehen?

Zola Jesus: 100%! Musik ist für mich ein integraler Teil meiner Persönlichkeit. Sie soll die Dinge, die ich erlebe, die Art, wie ich die Welt wahrnehme, umwandeln. Musik ist meine eigene Sprache, um die Erfahrung des Lebens zu verstehen. Für mich ist es deswegen so wichtig, dass mein Verhältnis zur Musik gesund ist. Wäre es nicht gesund, hätte ich nicht diese Möglichkeit, die Dinge besser zu verstehen. Damit habe ich in der Vergangenheit auf jeden Fall meine Probleme gehabt. Aber bei dieser Platte habe ich dieses gesunde Verhältnis zur Musik dringlich gebraucht.

MusikBlog: Auf der musikalischen Seite gibt es aber auch jede Menge zu entdecken. Da sind zum einen diese Streicher-Arrangements in “Dead And Gone” und diese unheimlichen Sounds von “The Fall”. Wie hast du diese Ideen miteinander in Komposition gesetzt?

Zola Jesus: Jeder Song fordert seinen eigenen Ausdruck. Ich mag es, wenn Alben dich auf eine Reise mitnehmen und nicht alle Songs gleich klingen. Ich mag selbst Folk und Gitarren, ich liebe klassische Musik und natürlich auch, zu singen. Das ist für mich das Spannendste: All diese unterschiedlichen Aspekte von mir, die sich so widersprüchlich anfühlen und mir das Gefühl gaben, nirgendwo dazuzugehören, zusammenzubringen, meine eigene Welt zu kreieren, wo all das eben doch zusammenpasst und all diese Gefühle ihren Platz finden. Das ist aktuell einfach ein großer Teil des Prozesses.

MusikBlog: Waren die Sounds, die bei diesem Album entstanden sind, denn schon vorher in dir oder würdest du sagen, sie waren völlig neu?

Zola Jesus: Die Sounds habe ich schon mein ganzes Leben in mir getragen, aber früher war da immer diese Unbeholfenheit, sie alle zusammenzubringen. Ich habe so oft gedacht, dass ich mich vielleicht für einen Weg, ein Genre, einen Stil entscheiden müsste. Aber das hat sich für mich nie authentisch angefühlt. Erst diese Verbindung aus allem hat sich wirklich einzigartig nach mir angehört. Diese Herausforderung hat mich schon jetzt mehr als zehn Jahre gekostet, aber ich habe endlich das Gefühl, ihrer Lösung näherzukommen.

MusikBlog: Ich kann mir gut vorstellen, dass es nicht leicht ist, seine eigene Stimme zu finden. Als du sagtest, du hast das Gefühl, du müsstest dich für einen Weg entscheiden – war das denn ein Druck von außen, von der Musikindustrie oder eher von dir selbst?

Zola Jesus: Nein, definitiv kommt der Druck aus der Musikindustrie. Als ich angefangen habe, Musik zu machen, hatte ich noch diese Offenheit, all meine verschiedenen kreativen Stimmen in einer zu vereinen. Doch dann habe ich viel Feedback von Musik-Kritiker*innen, Fans, der gesamten externen Welt bekommen, wodurch ich das Gefühl bekam, nicht genug zu sein. Entweder hätte ich diese Goth/Industrial-Künstlerin sein sollen oder eine Pop-Künstlerin, es gab einfach keinen Platz für mich und Leute haben durchgehend versucht, mich zu definieren. Dadurch entstand mein Gefühl, ich müsste meine eigene Vision einschränken, um in die Industrie zu passen. Manche Fans mögen eher die dunkle Seite meiner Musik und sind von Songs wie “The Fall” eher enttäuscht, Fans, die aber meine Pop-Seite mögen, sind enttäuscht von Songs wie “Zone” oder “Dead And Gone”.

MusikBlog: Dass Stimmen von außen so eine große Rolle spielen, ist natürlich auch verständlich. Hast du denn das Gefühl, dass es bei dieser Platte weniger wurde und sie sich freier anfühlt?

Zola Jesus: Ja, auf jeden Fall. Als ich angefangen habe, habe ich viel Druck von der Industrie gespürt, reinzupassen. Und ich wollte es ja auch. Ich bin eine sehr introvertierte Person, ich bin eine Einsiedlerin, und mir fällt es sehr schwer, mich mit Menschen zu vernetzen. Musik ist meine Möglichkeit, mich akzeptiert zu fühlen. Deswegen wollte ich so gerne zu einer Community dazugehören. Die Musikindustrie reduziert einen auf einzelne Dinge. Ich habe versucht, dieses Spiel mitzuspielen, aber es hat mich so unglücklich gemacht. Aber kürzlich habe ich aufgehört, mir um so etwas Gedanken zu machen. Die Musikbranche fällt sowieso in sich zusammen, sie weiß nicht mehr, was richtig oder falsch ist und deswegen ist es besser, meiner eigenen Intuition zu folgen.

MusikBlog: Das ist bestimmt viel gesünder für dich. Es ist ja irgendwie auch bizarr, dass die Musikindustrie Musiker*innen so sehr in Schubladen zu stecken, und wenn sie dann in einer drin bleiben, sind sie plötzlich zu langweilig und vorhersehbar.

Zola Jesus: Das ist das Zeitalter des Algorithmus. Wenn du nicht in einen Algorithmus passt, ergibst du keinen Sinn, dann kannst du nicht in Playlists aufgenommen werden oder im Radio laufen. Ich finde das so abstoßend.

MusikBlog: Umso schöner, dass es noch Künstler*innen gibt, die nicht nur Musik für Algorithmen machen. Im Song “Lost” singst du “Everyone I know is lost” und bei dieser Stelle musste ich an die Umstände denken, die dich bei diesem Songwriting-Prozess umgeben haben. Würdest du sagen, dass dieses Album sich um die aktuellen Geschehnisse dreht oder ist es eher eine eigene Welt, die du kreiert hast?

Zola Jesus: Es ist auf jeden Fall eine Welt, die als Antwort auf die Welt, in der ich lebe, kreiert wurde. Corona, die Wahl, die Trump-Jahre, die Proteste, der Ukraine-Krieg, die Inflation, meine Freund*innen können alle keine Jobs finden, weil sie für alles überqualifiziert sind oder keine bedeutungsvollen Stellen besetzen können. Sie können sich keine Grundstücke leisten und auch keine Häuser. Alle fühlen sich aktuell so verdrängt an und das kam mir so verloren vor. Das Album heißt “Arkhon”, weil wir gerade in arkhonischen Zeiten leben. Diese widerliche Idee von Arkhons, diesen bösartigen Anführer*innen, die die Menschheit kontrollieren wollen, ist ein Teil des Albums. Das ist aber alles nur meine eigene Interpretation der Welt, als ich durch meine eigenen persönlichen Kämpfe gegangen bin.

MusikBlog: Wo du schon auf den Titel zu sprechen kommst – auf der Platte gibt es einige Songs, die eher mystisch klingen, aber es gibt auch ein paar Natur-Themen. Gab es eine cineastische Idee, ein bildliches Motiv hinter dem Album?

Zola Jesus: Ja, zum Teil gibt es das eigentlich immer. Zum Startpunkt der Platte hatte ich nicht nur diese inneren Konflikte, sondern habe auch angefangen, mich für okkulte und magische Praktiken, aber auch für Schamanismus und Aminismus zu interessieren. Ich war ja auch einige Jahre im Wald und ich habe dabei die Gabe der Natur gespürt. Ich wollte ein Album machen, das sich mystisch anfühlt, in dem Sinne, dass es mystische Dinge ergründet, in einer Welt, in der uns gesagt wird, dass es so etwas nicht gibt. Ich wollte mich für diese mystische Seite einsetzen, eine Meisterin dieser spirituellen Welt werden. Wir verlieren den Geist der Welt, weil uns gesagt wird, dass alles Subjektives, alles, was nicht empirisch durch die Wissenschaft belegt werden kann, nicht existiert. Und ich denke, das ist falsch. Die Welt ist magisch, die Natur ist gütig und wir müssen das beschützen. Und auch die Natur in uns selbst.

MusikBlog: Das ist also deine bestärkende Antwort auf das, was die Gesellschaft gerade falsch macht. Da dieses Album so persönlich ist – bist du denn noch aufgeregter, was die Meinungen von außen angeht?

Zola Jesus: Es ist sehr schwer für mich, irgendeine Form von negativem Feedback zu diesem Album zu hören. Ich widerstehe der Kritik, diese Platte ist so persönlich, dass sie nicht zur Debatte steht. Ich vertraue keiner anderen Meinung zu diesem Album. Ich suche nicht nach Feedback, ich suche nach einem Wandel. Fühlst du dich durch diese Platte verändert? Fühlst du überhaupt etwas? Das ist alles, was mich interessiert. Ich brauche keine objektive Meinung zu der Platte, da es so etwas ohnehin nicht gibt. Musik ist nicht objektiv, sie kann nicht kritisiert werden. Sie kann nur wertgeschätzt werden.

MusikBlog: Diese Vorstellung von guter und schlechter Musik ist ja auch total subjektiv und erschafft ein falsches Bild von dem, was Musik ist.

Zola Jesus: Ja, ich glaube, es ist der kapitalistische Zwang, in einem Markt zu existieren und die Menschen haben dann die Macht, es zu bestätigen oder abzustoßen. Das ist die Kaufkraft – “Ich wähle diese Marke, ich wähle dieses Produkt”. Die Industrie will, dass Musik wie ein Produkt behandelt wird. Ich mache keine Musik mit dieser Mentalität. Ich mache keine Musik für Leute, die so denken. Menschen, die meine Musik hören, müssen das mit einer Offenheit machen und nicht mit Widerstand.

MusikBlog: Gibt es denn bestimmte Gefühle, die du mit dieser Platte besonders hervorrufen möchtest? Vielleicht das Empowerment, das du selbst gespürt hast?

Zola Jesus: Es würde mich freuen, wenn ich den Hörer*innen Hoffnung geben könnte, aber auch Trost. Wenn ich ihnen das bieten könnte, was ich durch Kunst entdeckt habe: Ein Portal in das Unbekannte. Ein Portal, das größer ist als wir selbst. Ein Weg zum Göttlichen. Das klingt vielleicht komisch, aber ich habe das Gefühl, wir brauchen Kunst, die Menschen in einer göttlicheren Weise denken lässt und nicht nur in dieser rationalen Mentalität. Nicht in dem Sinne von “Das ist gute Musik, die passt auf mein Festival oder geht viral auf TikTok”. Nein, wir brauchen Musik, die Leute dazu inspiriert, über ihren eigenen Platz in der Welt nachzudenken.

MusikBlog: Wenn Leute etwas Rationales wollen, sollen sie ein Buch über Wirtschaft lesen.

Zola Jesus: Genau. Musik ist kein Ort für das Rationale.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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