Wenn die Kulturindustrie eines braucht, dann sind es Stimmen, die den globalen Schmelztiegel unserer Zeit nicht nur besingen, sondern tatsächlich verkörpern. Miso Extra ist so eine Stimme – und ihr Debütalbum „Earcandy“ ein beeindruckendes Statement, das die Grenzen zwischen Ost und West, Underground und Mainstream, Nostalgie und Zukunft mit exzentrischer Leichtigkeit niederreißt.
Die in England aufgewachsene Britin mit japanischen Wurzeln hat bereits mit ihrer EP „Great Taste“ angedeutet, was in ihr steckt. Mit „Earcandy“ liefert sie nun den vollen, ungefilterten Beweis ihrer künstlerischen Vision – und die ist so vielschichtig wie ihre Identität selbst.
In Studio 13, der kreativen Hochburg von Damon Albarn, hat sie gemeinsam mit dem Produzenten Ricky Damian (Ezra Collective, Jorja Smith, Sampha) sowie Künstlern wie DJ Boring, A.K. Paul und Mitgliedern von Metronomy ein Album geschaffen, das wie ein Traum zwischen Lo-Fi-Intimität und glänzender Pop-Exzentrik wirkt.
Miso Extra kombiniert scheinbar widersprüchliche Einflüsse mit spielerischer Leichtigkeit. Und genau diese kulturelle Dualität durchzieht auch „Earcandy“:
Eine hyperaktive, zuckersüße Collage aus Pop-Rap, butterweichem R&B und japanischem Hip-Hop, mit deutlicher Verneigung an K-Pop, veredelt durch südkoreanisch inspirierte Produktionsästhetik.
Die Singleauskopplung „POP“ schießt direkt los wie ein K-Pop-Hit, der an die heutigen Girlbands aus Südkorea erinnert. Die Produktion glitzert und sprudelt, während Miso zwischen englischen und japanischen Lyrics wechselt – ein Stilmittel, das Miso Extra über das gesamte Album hinweg einsetzt, nicht als Gimmick, sondern als authentischen Ausdruck ihrer transkulturellen Erfahrung.
In „Good Kisses“ zeigt sich ihre Vorliebe für weiche R&B-Texturen, produziert von Metronomy.
„Ghostly“ ist eine melancholische Hommage an den Dream-Pop der 80er Jahre, der gleichzeitig wie der Soundtrack zu einem noch nicht gedrehten Anime wirkt, der jedoch mit einer modernen Synth-Pop-Sensibilität aktualisiert wird.
Was „Earcandy“ so besonders macht, ist nicht nur die stilistische Vielseitigkeit, sondern die mühelose Art, mit der Miso Extra diese Einflüsse in einen kohärenten, persönlichen Sound verschmilzt. Es ist, als würde man durch die Playlist einer kulturell hybriden Gen-Z-Künstlerin scrollen – nur dass hier alles aus einer einzigen, klar definierten künstlerischen Vision stammt.
Ihr Spitzname Miso Extra („me so extra“) mag selbstironisch gemeint sein, trifft aber genau den Punkt: In einer Zeit, in der viele Künstler*innen sich auf ein Genre oder eine Ästhetik beschränken, umarmt die Londonerin das Überladene, das Hybride, das Widersprüchliche.
„Earcandy“ entzieht sich dem Debüt-Klischee und präsentiert sich als selbstbewusster Soundtrack einer transkulturellen Generation. Kurz gesagt: Es fasziniert. Es überrascht. Es funkelt.