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Ich fühle mich manchmal wie ein Hochstapler – Casper im Interview

Unter seinem Pseudonym Casper hat es der Wahlberliner Benjamin Griffey zu einem der ganz Großen im deutschen Hip-Hop gebracht. Wie seine vorigen Alben „XOXO“ und „Hinterland“ dürfte also auch „Lang lebe der Tod“ auf Platz 1 landen. Und das, obwohl er dafür fast vier Jahre gebraucht und die Veröffentlichung vor knapp einem Jahr überraschend verschoben hat. Uns erzählte Casper, warum das geschehen ist, was ihm Erfolg bedeutet und warum er sich manchmal wie ein gescheiterter Baumhaus-Architekt fühlt.

MusikBlog: Gibt es schon erste Verkaufszahlen deiner neuen Platte „Lang lebe der Tod“?

Casper: Noch keine, die ich kennen würde, aber ich habe das Gefühl, es läuft unerwartet gut.

MusikBlog: Unerwartet? Alles, was du seit deinem Wechsel zu Four Music 2010 angefasst hast, wurde zu Gold, beiden Alben waren Nr. 1, jetzt der Wechsel zu Sony

Casper: Schon, aber auf „XOXO“ und „Hinterland“ waren auch mehr eindeutige Hits drauf (zögert) Glaub ich… Besonders, wenn man es mit der ersten Single vergleicht, wo einer wie Blixa Bargeld dabei ist. „Lang lebe der Tod“ ist eine viel sperrigere Platte geworden als die vorherigen. Außerdem lagen zwischen dem letzten und dem neuen Album vier Jahre.

MusikBlog: Was macht es mit einem Künstler, der sich wahrscheinlich ja immer noch dem Independent näher sieht als dem Mainstream, wenn alles, was er tut, durch die Decke geht?

Casper: Einiges. Wenn man Kollegen sagt, klingt das zwar, als stünde man gemeinsam an der Zerspanungsmaschine. Aber ich habe viele, die mit dem Erfolg immer selbstsicherer geworden sind – was ich sehr bewundere. Ich dagegen hatte schon immer so ein Impostor-Syndrom (Imposter – dt. Hochstapler, Anm.d.Red.).

MusikBlog: Impostor-Syndrom?

Casper: Wenn man glaubt, sich hochgeschummelt zu haben. Ich fühle mich manchmal wie ein Hochstapler, der ist, wo er gar nicht hingehört. Deshalb stehe ich morgens auch nicht auf und sehe im Spiegel den Platin-Künstler, mit megageilen Songs, der jetzt bloß mal schnell ins Studio gehen braucht, um noch megageilere Songs zu machen.

MusikBlog: Ist das angeborene Bescheidenheit oder erlernte Selbstreflexion?

Casper: Platten zu machen ist bei mir ein komplett verkopfter, zugleich aber sehr emotionaler Puzzle-Prozess, der mir im Grunde gar nicht so viel Spaß macht. Ich liebe das Aufführen, live auf der Bühne, zu sehen, was dort passiert mit mir, mit dem Publikum. Ich möchte ein Gesamtwerk erschaffen, das mehr ist als die einzelnen Teile. Irgendwann will ich nämlich vor der Galerie meiner Albumcover stehen und sagen, jedes davon ergibt im großen Gesamtbild meines Schaffens Sinn und ist gleichermaßen liebenswert.

MusikBlog: Das Ziel ist der Weg.

Casper: Bei mir schon.

MusikBlog: Hast du „Lang lebe der Tod“ kurz vorm Release Ende 2016 noch mal zurückgezogen, weil das Ziel auf diesem Weg nicht zu erreichen war?

Casper: Kann man so sagen. Wobei das keine spontane Entscheidung nach dem Aufwachen war, sondern ein schleichender Prozess, in dem mir einfach immer klarer geworden ist – oh Mann, ich pack’s nicht, ich pack’s nicht! Persönlich und musikalisch.

MusikBlog: Inwiefern?

Casper: Persönlich war dieser Sprint aus neuer Platte, Tour, Tour, Tour, nächste Platte, Festivals, Festivals, Festivals so lange okay, wie sich die Hysterie ums Ganze gedreht hat, nicht um mich als Person. Dann aber haben die Leute so viel in mich hineinprojiziert, dass es mir echt zu viel wurde. Ich habe zwar einen Vertrag unterschrieben, der einen Teil der Privatsphäre zur Veröffentlichung freigibt; aber es wurde irgendwann so invasiv wie bei einer Boyband.

MusikBlog: Und musikalisch?

Casper: War mein Produzent Marcus Ganter einfach schon viel weiter als ich mit meinen Texten. Umso weniger fühlte es sich für mich so an, als hätten wir mit der Verschiebung Zeit gewonnen. Im Gegenteil, das war wie eine Riesenniederlage. Mir kam es vor, als wäre ich ein Stararchitekt, der nach riesigen Skyscrapern ein Baumhaus bauen soll und daran scheitert. Ich hatte das Gefühl, nochmals ganz von vorne zu beginnen.

MusikBlog: Ist der Perfektionist in dir denn jetzt trotzdem zufrieden oder wird er das nie ganz?

Casper: Doch das wird und ist er, sonst hätte ich die Platte nicht rausgebracht. Wenn du Christopher Nolan fragst, wie er seine fantastische „Batman“-Trilogie findet, hätte er garantiert massig daran auszusetzen. Perfektion gibt es nicht. Und wenn ich einen Wunsch für meine Musik frei hätte, würde ich mir daher die Platte gern mal von außen anhören, ohne sie vorher gekannt zu haben. Ich klopfe mir daher nicht auf die Schulter, weiß aber trotzdem, dass sie einen Platz in meiner Galerie verdient hat.

MusikBlog: Welche grundlegenden Veränderungen haben das bewirkt?

Casper: Vor allem, dass zwei Songs gestrichen wurden. Cut the shit! Außerdem ist alles noch detaillierter produziert und inhaltlich pointierter.

MusikBlog: Weil es noch mehr von seiner Welt ringsum aufgesaugt hat, in der seit der Verschiebung unglaublich viel passiert ist?

Casper: Thematisch ist es gleich geblieben, aber es wurde schon viel geschliffen. Böse Zungen meinten ja, weil der Titelsong mit Blixa bei den Kids nicht so reingehauen hat, werfen sie es über den Haufen und machen was Poppigeres. Das stimmt nicht. „Es lebe der Tod“ war schon vorher distorted. Es gab massig Blast. Aber alles einfach nur zu übersteuern und dann gegen die Wand rauschen zu lassen kann jeder; wir wollten einen besseren Film erzählen als im ersten Versuch und das ist uns aus meiner Sicht gelungen.

MusikBlog: Ist das Ergebnis ein politisches Hip-Hop-Album oder ein Hip-Hop-Album mit Politik?

Casper: Weil ich mich subjektiv als politisch begreife, sind es meine Platten objektiv auch. Wichtig daran ist allerdings, dass ich weder mit erhobenem Zeigefinger Lösungen anbiete noch für die geilste Punchline alles bloß ironisch breche. Ich versuche vor allem, meine eigene Rolle im Jetzt zu beschreiben. Deshalb fängt die Platte auch düster beschreibend, fast dystopisch an, wird dann aber zusehends persönlicher.

MusikBlog: Und was ist deine Rolle in diesem Jetzt – Aufklärung?

Casper: Eher Beschreibung. Zum Beispiel, wie seltsam es ist, dass die Menschen hierzulande offenbar mehr Angst vor Flüchtlingen haben als vor deren Fluchtursachen wie Krieg, Armut, Unterdrückung. Als jemand, der in der DIY- und Hardcoreszene aufgewachsen ist, fällt mir das womöglich mehr auf als jemandem, der immer im Hip-Hop zuhause war. Wobei „Lang lebe der Tod“ mein erstes Album ist, das wirklich in der Gegenwart stattfindet. Meine vorherigen waren ja noch sehr Coming-of-Age-inspiriert und haben den Leuten vor der großen Bühne erst mal erklärt, wo der Junge vom Dorf herkommt, was er ist. Ich könnte noch drei „XOXO“ und zwei „Hinterland“ schreiben und wäre damit wohl riesenerfolgreich. Aber Musik ist für mich eine Entdeckungsreise.

MusikBlog: Daher auch die Kollaboration mit Künstlern wie Blixa Bargeld oder Dagobert.

Casper: Genau, das waren ganz neue, sehr inspirierende Einflüsse für mich. Auf der Suche danach bin ich von Throbbing Gristle über KMFDM bei den Einstürzenden Neubauten gelandet, um über Japan Harsh Noise auf Lethargy zu stoßen, einer Black-Metal-Band aus New York, die mir gezeigt hat, was jenseits vom klassischen listening pleasure möglich ist. Fuck – so kann Musik aussehen? Rap entsteht ja vor allem aus die Möglichkeit, alles Umliegende aufzusaugen, aber irgendwann entstand darin das Dogma, nur noch Soul zu sampeln, Aber ich bin halt kein funky Typ und zitiere lieber Gesaffelstein oder Skinny Puppy als Soul, den ich gar nicht mag.

MusikBlog: Was dazu führt, dass viele dich gar nicht mehr für einen Hip-Hopper halten.

Casper: Ja klar.

MusikBlog: Stört dich das?

Casper: Weiß gar nicht. Ich verstehe jeden, der mich nicht für einen Rapper hält, würde auf die Frage, ob ich mich selber für einen halte, aber immer Ja antworten – obwohl ich mir selbst unsicher bin, ob ich auf ein Festival wie das Splash gehöre. Aber meine gesamte Herangehensweise an die Musik stammt ja vom Hip-Hop: Ich suche mir einen armen Tor, der mein Chaos, meine Zweifel aushält und passende Beats um meine Lyrics bastelt.

MusikBlog: Was könnte denn dein nächster Einfluss sein?

Casper: Zurzeit entdecke ich gerade meinen Zugang zum Jazz. Und da kann es gut sein, dass ich in ein Wormhole falle und monatelang nicht mehr rausfinde. So war es bei mir vor sechs Jahren mit Postrock, so ist es zuletzt mit Industrial und Noise geschehen. Als Kind habe ich unablässig Samy Deluxe oder Eins, Zwo gehört, aber plötzlich kommt spätnachts Extreme Metal wie Satyricon auf Viva 2 und es packt mich. Es heißt ja, Reisen bildet. Für mich ist auch Musikhören so eine Reise. Das öffnet Horizonte.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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