Maria Iskariot ist keine Solistin namens Maria, sondern ein Quartett. Mit „Wereldwaan„, das sie komplett auf Niederländisch eingesungen haben, liegt ihr erster Longplayer vor. Live hat sich die Band durch die Anzahl und ins Auge springende Art ihrer Auftritte einen Ruf als Krachmacher erarbeitet, entsprechend bot es sich an, die Combo nach einem ihrer Auftritte zu treffen. Maria Iskariot sind Amanda (Mandy), Helena und Loeke (Luca) an den Saiten, Sybe an den Stöcken. Im Interview erzählen sie, wie ihre neuen Songs entstanden, wer in der Band das Sagen hat und warum sie urplötzlich bekannt wurden.
MusikBlog: Ich habe mich im Vorfeld unseres Gesprächs umgehört, ihr werdet hierzulande mitunter als ‚vier Mädchen aus Holland‘ wahrgenommen. Was sagt ihr dazu?
Helena Cazaerck: Alles falsch!
Loeke Vanhoutteghem: Eben, wir sind drei Mädchen und ein Junge und kommen aus Belgien.
Helena Cazaerck: Ehrlich gesagt, definieren wir uns nicht übers Geschlecht. Das spielt sowieso keine Rolle, wir sind Menschen.
Amanda Barbosa: Wir sind Freunde, die Musik machen.
MusikBlog: Was ist denn eigentlich der Unterschied zwischen Holländisch und dem belgischen Flämisch? Beide hören sich ja schon ähnlich an.
Loeke: Flämisch ist cooler.
Sybe Versluys: Es ist ungeschliffener, roher, mit u-, öa- und oa-Vokalen aus der Kehle, Holländisch klingt freundlicher, mit Vokalen wie i, e, ä, a.
Amanda: Der Unterschied ist gering, eher wie bei Dialekten, und holländische und flämische Personen verstehen einander gegenseitig. Es gibt ein paar Wörter, die verschieden sind, aber vor allem ist es der Klang.
Loeke: Ihr könnt es mit englischem und amerikanischem Englisch vergleichen. Selbe Sprache – unterschiedliche Aussprachen.
MusikBlog: Wenn Flämisch cooler und offenbar auch härter und wohl tauglicher für Punk ist, wieso setzt ihr dann in den Songs Niederländisch ein?
Helena: Man könnte hinzufügen, dass die Flamen höflicher sind als die Leute in den Niederlanden. Wir haben eine Tendenz im Flämischen, überall ein ‚u‘ oder ‚uw‘ – ausgesprochen ‚ü‘ – einfügen: Pronomen, die alles auf eine förmliche Sprachebene heben. Triffst du Niederländer*innen, dann sagen sie, ’nein, das muss doch jij heißen statt u‘. Aber wir lassen uns davon nicht abbringen. Wir sind höfliche Leute.
MusikBlog: Dann ist das wohl so ähnlich wie beim Österreichischen mit den Anreden. Ihr sprecht ja nun fröhlich darauf los. Liegt euch das generell oder habe ich euch einfach an eurem High Energy-Level direkt nach dem Auftritt erwischt und das ist eine Momentaufnahme?
Loeke Vanhoutteghem: Ich bin sicher nicht jemand, der immer reden kann. Manchmal fühle ich mich nicht danach.
Helena Cazaerck: Ja, man muss das fühlen. Manchmal ist man in der Stimmung, manchmal aber auch nicht.
MusikBlog: Wie kommt eure bewegungsreiche Art aufzutreten beim deutschen Publikum an?
Loeke Vanhoutteghem: Die Leute fangen damit an, ihre Augenbrauen hochzuziehen. Ihren Körper bewegen sie erst einmal nicht, aber man sieht an ihren Augenbrauen eine kleine Bewegung. Da denken sie wohl gerade: ‚Oh, was ist das?‘ Es braucht einfach etwas Zeit. Nach und nach sinkt unsere Musik in die Körper ein. Wenn Helena dann an den Bühnenrand springt, erst dann formt sich oft ein Mosh-Pit.
MusikBlog: Ist es also ein fester Bestandteil in jeder Show, dass du herum springst, Helena?
Helena Cazaerck: Natürlich! Das ist ein Teil von uns. Denn uns geht es um Musik, die für uns selbst eine große Menge Energie auf der Bühne erzeugt. Wie eine Batterie: Wir versuchen, selbst in diesen energetischen Zustand zu kommen und übertragen ihn danach aufs Publikum. Das heißt, die Batterie lädt von zwei Seiten. Wir laden das Publikum auf, und die Zuschauer*innen füllen dann wiederum unsere Ladekapazität.
MusikBlog: Diese Beschreibung mit der Batterie mutet gleichermaßen wie Physik, aber auch spirituell an.
Helena Cazaerck: Ja, so funktioniert die Welt, oder? Sie ist sowohl physikalisch als auch spirituell.
Loeke Vanhoutteghem: Genau aus diesem Grund solltest du mit einer elektrischen Gitarre tanzen gehen. Denn der elektrische Strom dringt durchs Instrument, und wenn du deinen Oberkörper mit dem Korpus der Gitarre berührst, fühlst du den Strom – insbesondere am Bass. Wenn du mit einem E-Bass tanzt, spürst du seine Tiefton-Frequenzen. Stimmt doch, Amanda, oder?
Amanda Barbosa: Ja, das ist wahr. Und ich muss während solcher Shows deshalb eine Menge Wasser trinken. Mir wird da immer richtig heiß.
MusikBlog: Helena, bist du als sehr präsente Sängerin dann automatisch in der Funktion, stellvertretend für die Band Auskunft zu geben? Bei euch wirkt es jetzt zunächst mal nicht so, als ob du die Band leiten würdest, aber oft kommt einem ja diese Rolle der ‚Frontfrau‘ dann durch die Reaktionen der Außenwelt zu.
Helena Cazaerck: Wir repräsentieren die Band alle in der Art, die jedem einzelnen Mitglied eigen ist. Vor langer Zeit habe ich dieses Projekt Maria Iskariot gestartet, aber der Punkt ist: Nachdem wir dann angefangen hatten, miteinander zu spielen, entwickelte es sich zu ‚unserem‘ Projekt. Es sind nicht mehr ‚meine‘ Lieder, es sind unsere. Schließlich haben wir sie gemeinsam auf die Welt gebracht. Ich kann demnach die Gruppe auch nicht mehr alleine nach außen darstellen, ich brauche die anderen, um das ganze Bild abzugeben.
MusikBlog: Welche sind eure Lieblingssongs auf dem Album?
Loeke Vanhoutteghem: Ich wähle „Waaromdaarom“, was auf Deutsch „Warum Darum“ heißt. Es ist einer der ersten Songs, an dem wir bei seiner Entstehung alle vier gearbeitet haben. So sind auch manche Teile, die ich darin spiele, eigentlich von einem anderen Bandmitglied komponiert, und umgekehrt, und das mag ich daran: Freundschaft und künstlerischer Ausdruck kommen in diesem Stück zusammen.
Helena Cazaerck: Wir haben einen Song ohne Drums, „Niets Gaat Verloren“. Er hat folgende Entstehungsgeschichte: Wir konnten in der Abwesenheit des Hauseigentümers im Winter ein großes Haus mit Swimming-Pool und Kamin nutzen. Wir gingen dort jeden Tag schwimmen. Im Obergeschoss saßen wir und arbeiteten zusammen an den Songs. Dort stand ein sehr altes Klavier. Wir nahmen ein Demo auf, später versuchten wir, es im Studio einzuspielen, aber es hatte nicht mehr die Magie von der Demo-Aufnahme. Also nahmen wir die Demoversion für das Album. Dadurch hört sich dieser Track sehr verschieden von den anderen an.
MusikBlog: Und ihr habt es nicht bereut?
Helena Cazaerck: Der Track hat nichts mit dem zu tun, was Leute von Punk erwarten, dass alles hart ist. Aber es ist ja eben gerade ‚punky‘, einen solchen Song ans Ende eines harten Punk-Albums zu setzen. Genau darum geht es auch im Punk: Du machst, was du willst, und hältst dich nicht an konventionelle Regeln.
Amanda Barbosa: Mein Lieblingssong ist „Leugenaar“. Den haben wir auch zusammen geschrieben. Und diesen Song haben wir in einer Radio-Session gespielt. Ein Reel von diesem Auftritt im Hörfunk-Studio ging danach auf Instagram viral und öffnete uns Türen auf der ganzen Welt. Von überall her schrieben uns Leute an, gaben uns Support.
Loeke Vanhoutteghem: Das führte dazu, dass wir mit der australischen Band Tropical Fuckstorm getourt sind.
Amanda Barbosa: So kamen wir das erste Mal nach Deutschland, aber auch nach Dänemark, spielten in Großbritannien.
MusikBlog: Das heißt, für all diese Shows wart ihr nicht angeheuert, bevor dieses Lied viral ging?
Helena Cazaerck: Nein! Aber gut, uns gibt es jetzt gerade mal zwei Jahre. So gesehen ging alles sehr schnell! Zuerst hatte uns eine holländische Band mit auf Tour genommen sowie auch auf ihr Label. Dann haben wir einen Rock-Wettbewerb gewonnen. Das vollzog sich alles innerhalb weniger Monate. Und danach hatten wir auf einmal 180 oder 200 Auftritte in zwei Jahren.
MusikBlog: Ihr wurdet also recht spontan gebucht. Dann musstet ihr erst einmal eure eigentlichen Jobs kündigen, um diese Shows spielen zu können?
Helena Cazaerck: Nein, das Verrückte ist, dass wir alle darauf ausgerichtet waren, genau das zu tun. Für andere Bands ist das – denke ich – oft das größte Problem, dass die Mitglieder andere Sachen machen wollen und jeder sein Leben hat. Für uns war das Bandleben von Anfang an eine Priorität, und wir konnten uns entsprechend den Platz im Leben dafür frei machen. Das half uns groß zu werden – bei uns streben alle in dieselbe Richtung. Das Ganze verlangt viel, die Band ist ein Vollzeit-Job.
MusikBlog: Was waren denn eure Tätigkeiten zuvor?
Amanda Barbosa: Ich habe deutsche Literatur in einem Erasmus-Programm studiert.
Sybe Versluys: Ich habe Musik studiert. Seit ich 13 bin, habe ich allerdings auch immer in Bands gespielt. Um mir mein Studium zu finanzieren, habe ich fünf Jahre lang als Postbote gearbeitet.
Helena Cazaerck: Ich war Journalistin und habe von dem Krieg in der Ukraine berichtet. Die Band hat mich sozusagen gerettet. Wenn du als Reporterin in den Krieg ziehst, macht das auf gewisse Weise süchtig. Durch die Band konnte ich mich aber darauf fokussieren, Schönheit zu erschaffen, und das ist jetzt ein ganz anderes Leben.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.
