Manche Hochzeits-DJs kassieren an einem Abend mehr als andere in einem Monat verdienen. Für Jens Lekman ergab sich gar die Möglichkeit, regelmäßig auf Hochzeiten zu singen. Mit dem Interesse an solchen „Songs For Other People’s Weddings“ hatte er nicht gerechnet. Mehr und mehr erkannte er aber, dass diese Engagements ein wichtiges Standbein wurden, zumal sich Tonträger in Genres wie Indie-Folk-Soul und Barock-Pop nicht gerade prächtig verkaufen.

Gerade seine Platten dürften schon beim Einspielen kostenaufwändig sein, zumal Lekman eine stattliche Anzahl an Session-Musikern aufkreuzen lässt. Sie streichen, blasen, trommeln oder ziehen und quetschen das Akkordeon. Sequencer, Klavier und Gitarre gehen meist auf das Konto des Komponisten.

Bei „Songs For Other People’s Weddings“ schlüpft Lekman zudem in die Rolle eines Roman-Co-Autors. Der Amerikaner David Levithan, gewohnt in Tandems zu schreiben, ist hierzulande wohl am bekanntesten durch seine Drehbuch-Vorlage für die Teenie-Komödie „Nick und Norah – Soundtrack einer Nacht“. Jetzt legt er gemeinsam mit dem Singer/Songwriter Lekman den Roman „Songs For Other People’s Weddings“ vor.

Seit 20 Jahren stehen die beiden in Kontakt, denn beim Schreiben habe Levithan damals Lekmans Debütalbum in Rotation gehört, so heißt es. Man muss das neue Buch nicht lesen, um dieses zugehörige Album auf sich wirken zu lassen und es zu genießen.

Allerdings erklärt das Begleitwerk ein bisschen, wieso der Longplayer mit 80 Minuten, verteilt auf 17 Tracks, für heutige Verhältnisse recht üppig geriet: Es erzählt assoziativ eine zusammenhängende Geschichte, ist quasi ein Konzeptwerk. Die ganze Zeit geht es um Liebe und ums Heiraten, sofern sich ein Inhalt eindeutig ausfindig machen lässt.

Um in diese gleich bleibende Thematik etwas Abwechslung hinein zu bringen, singt bei drei Liedern hauptsächlich eine regionale Kollegin aus Göteborg, Matilda Sargren. Zwei weitere Stücke sind Duette mit ihr, in einigen Songs trällert sie außerdem markant im Background. Ihre Stimme glänzt in Soul- und Disco-Fieber.

Passend dazu entscheiden sich Jens und Matilda, auch auf smarte Dance-Grooves im Stile von The Shapeshifters zu setzen („On A Pier, On The Hudson“) oder auf Easy-Listening (bei „Candy From A Stranger“). Vieles andere auf der Platte sortiert sich hingegen zwischen majestätischen Balladen, Kammermusik, Brit-Pop und der Quiet-is-the-new-loud-Bewegung ein.

Eine ganze Menge Indie-Pop-Girlanden in der Verspieltheit von Vampire Weekend zieren den Weg über diese verschiedenen Spielwiesen. Trotz eines breiten Angebots stilistischer Auswüchse und trotz Quantität fehlt jedoch ein Lied von zeitloser Güte und wirklicher Relevanz.

Die meisten Tracks lassen sich als ganz nette Ideen gut anhören, sofern man auf süße Harmonien steht. Burt Bacharach sollte man gut finden, sonst wird es eher schwierig, während der Platte bei der Stange zu bleiben.

Aber auch, wenn diese Voraussetzung erfüllt ist, trägt etwa „The First Lovesong“ reichlich und übertrieben dick auf, während „Two Little Pigs“ in seiner rustikalen Folk-Lieblichkeit so klingt, als wäre das der Soundtrack zu einer neuen „Michel aus Lönneberga“-Verfilmung, die Ende des 19. Jahrhunderts auf dem Land spielt.

Als jemand, der Samples und Loops geschickt in organische Musik integriert, wurde Jens Lekman 2004 bekannt. Im fast elfminütigen „Wedding In Leipzig“ macht er von diesem Talent wieder rege Gebrauch und zaubert einen vielschichtigen Art-Pop in Form einer mehrteiligen Suite mit Brüchen in Instrumentierung, Tempo und Stimmung. ‚Leipzig‘ spricht er dabei ‚Leipzisch‘ aus. Es ist schwer, im Mittelteil dieser Nummer keine Anleihen an Annie Lennox‘ „No More ‚I Love You’s'“ heraus zu hören.

Auch wenn der Song „I Want To Want You Again“ in Teilen der Machart typischer 1980er-Jahre-Kommerz-Balladen folgt, ist dieser der wohl am nachhaltigsten berührende Tune. Matilda Sargren lässt sich hier über die wechselseitige Abhängigkeit zweier zweifelnder Liebender aus und über das Verblassen initialer Emotionen mit fortschreitender Zeit.

Der dritt- und viertstärkste Song sind die beiden stilistisch am klarsten abgegrenzten: Da fesselt zum einen das warme stille Crooning-Kuschellied „GOT-JFK“, benannt nach dem Kürzel für Flüge von Göteborg nach New York.

Zum anderen bezirzt der Ausflug in den Club-House mit „On A Pier, On The Hudson“, angekommen am Hudson River, mit Kindheitserinnerungen an den Fernsehapparat als treuen Begleiter.

Der schwedische Multiinstrumentalist Jens Lekman legt mit 44 Jahren ein visionäres und durchaus inspiriertes Album vor. Allerdings schiebt es beim Hören immer wieder Stolpersteine in den Weg, platziert kitschige Ausrutscher.

Es ist interessant, aber spleenig und speziell, greift aber in seiner Andersartigkeit ausgerechnet auf Elemente zurück, die in früheren Jahrzehnten gängige Mainstream-Bausteine waren.

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