Cherry Glazerr sind im Wandel der Zeit. Vieles hat sich geändert in der Band, die genau genommen gar keine mehr ist: Hauptcharakter des Projekts ist die bisherige Frontfrau und nun alleinige Bandleaderin Clementine Creevy.
Mit den personellen Änderungen kam auch eine inhaltliche: War das 2019er Album “Stuffed And Ready” noch ein grungiger Fuzz-Brocken, der es sich zwischen verdächtig lieblichem Indie und garstigem Garage-Rock gemütlich gemacht hat, ließ Creevy sich danach anderweitig inspirieren.
Und zwar aus einer unverhofften Richtung: Mit den zwischenzeitlichen Singles “Soft Drink” und “Rabbit Hole” taucht der Name Cherry Glazerr erstmalig unter einem ungewohnt elektronischen Banner auf. Die US-Amerikanerin tummelt sich vergnüglich in zeitgenössischem Synth-Pop.
Der Umschwung machte die Wartezeit auf ein neues Album umso spannender: Was wird mit den Gitarren geschehen? Ist das die neue Cherry Glazerr, die gekommen ist, um zu bleiben? Kann man mit diesem Hochglanz-Pop überhaupt etwas anfangen?
“I Don’t Want You Anymore” beantwortet keine dieser Fragen wirklich genau. Das ist aber auch überhaupt nicht der Anspruch des vierten Albums von Cherry Glazerr, denn Creevy lässt einfach alles heraus, was ihr durch Kopf, Herz und Bauch geht.
Es ist ein selbstreflektierendes Album geworden, besonders im Bezug auf Zwischenmenschlichkeit. Die Sängerin erzählt Geschichten von unausgeglichenen und ungleichen Beziehungen, vom Selbstwert, der von anderen Menschen abhängig und damit durchgehend zerbrechlich ist.
Die Thematik ist eine traurige, manchmal hoffnungslose. Ihr schneidert Creevy einen passenden musikalischen Hintergrund auf den Leib, der Altes mit Neuem verbindet und neue Kontexte zwischen Elektronik und Rock setzt.
Der erste Schritt dabei ist, mit keinem der beiden Pole zu beginnen: Der Opener “Addicted To Your Love” ist ein kurzes, ruhiges Intro, das nur aus besonnenem Gesang und leiser Akustikgitarre besteht.
Darauf folgt allerdings die erste poppige Breitseite mit “Bad Habit”, das sich tanzbar und mit durchdringenden Synth-Melodien zeigt. Es groovt und es funkt melancholisch mit der ein oder anderen Träne auf der Tanzfläche.
“Ready For You” ist das erste richtige Anzeichen dafür, woher Cherry Glazer eigentlich kommt: In der Struktur zwar noch poppig gehalten, dominieren allerdings saftige E-Gitarren und ein krachendes Schlagzeug in den Refrains. Außerhalb davon treibt der Bass nach vorn.
Im Laufe von “I Don’t Want You Anymore” dominieren dann doch wieder die Gitarrensongs, Creevy findet allerdings an vielen Stellen gute Gelegenheiten, ein wenig mit den neu gefundenen Inspirationen zu spielen und den ursprünglichen Sound spannend elektronisch zu ergänzen.
Ein reines Synth-Pop-Album ist es also nicht geworden, sondern ein gitarrenlastiger Hybrid, der mit guten und frischen Ideen aufwartet. Und wenn diese Ideen dann noch gleichzeitig Tanzwut und Melancholie herauslassen: umso besser.