Nick Cave ist ein Jahr nach seiner fulminanten „The Wild God“-Tour zurück in Deutschland. Zweimal Elbphilharmonie, zweimal Festspielhaus Baden-Baden. Nur er, ein Flügel und Colin Greenwood am Bass.

„This audience is different than yesterday“, kommentiert er noch vor dem ersten Ton sein zweites Gastspiel in Baden-Baden, bevor er zu einem Konzert ansetzt, das deutlich leiser, aber kaum weniger intensiv ausfällt als die Shows von 2024 mit seinen grandiosen Bad Seeds.

Es ist die Art von Konzert, die für gewöhnlich mit „An evening with…“ angepriesen wird. Darauf verzichtet der Australier und gibt stattdessen seinem zurückhaltend agierenden Begleiter den gebührenden Raum in den Headlines. Nick Cave & Colin Greenwood steht auf den Tickets und in den Werbeanzeigen für die ausgewählten Konzerte. Greenwood, seines Zeichens Bassist bei Radiohead, ist seit geraumer Zeit Teil der Bad Seeds und sorgt jetzt auch bei den Soloshows von Cave für die tieftönende Geschmeidigkeit.

Er applaudiert seinem Chef, geht beim Bassspiel immer leicht in die Knie und wippt wahlweise mit dem Fuß im Takt. Er tippelt zwei Schritte vor und drei zurück, oder umgekehrt. Und manchmal, sowie bei „I Need You“, verschwindet er ganz in der dunklen Ecke der Bühne und überlässt Cave sich und seinen Trauersongs.

Cave wiederum war schon immer exzentrischer, wirft nach jedem Stück die Notenblätter hinter sich, und erzählt zu Beginn eines jedes neuen eine kleine Anekdote: Worum geht‘s in dem Song, wo ist er entstanden, für wen war er gedacht. Momente, die hinter die Kulissen blicken lassen und eine Art intimes „Making Of“ aufspannen. „Galleon Ship“ etwa meldet er als Song für seine Frau Susie Bick an und kommentiert lakonisch: „In our house it‘s a hit“.

Es entsteht unweigerlich eine Atmosphäre, bei der sich die Distanz zwischen Publikum und Künstler im Vergleich zur Arena verkürzt. Eine, bei der die Songs heruntergebrochen werden auf ihre Harmonien und den Text. Bei der man deshalb zuvor gar nicht genau weiß, wie das eigentlich im Detail funktionieren soll, wenn das Aufbrausende, das exaltierte Drama, die Lautstärke drumherum fehlt.

Bis Cave es einfach wagt und alle Zweifel zerstreut. Das erste Mal bei „Papa Won‘t Leave You, Henry“, das die zwei auf der Bühne als eines der energetischsten Stücke umsetzen, die eine solche Besetzung aus vier Basssaiten und Tasten hergibt.

Und dann noch eindrücklicher bei „The Mercy Seat“. In diesem Fall ist es Cave allein am Piano, der sich an einen der lautesten Bad-Seeds-Songs herantraut und dann selbst in dieser reduzierten Version eine Intensität heraufbeschwört, die explosiven Charakter besitzt. Es ist ein bis dato starkes Konzert, das immer besser wurde, und hier seine vorläufige Klimax findet.

Und das, obwohl zuvor mit „The Balkony Man“ bereits der interaktivste Teil des Abend platziert wurde. „A Song for the people in the balkony“, sagt Cave und hält damit die Tribüne an, auszurasten, wann auch immer die Refrain Zeile ertönt – das Publikum lässt sich das nicht zweimal sagen.

Und dann kommt einer dieser typischen Cave-Momente, der alles invertiert. „The next song is for the people on the ground. It’s called ‘The Mercy Seat’. I sing this song, and you shut the fuck up.” Es ist der Lacher des Abends, die gute Laune, die zwischen den musikalisch schwer wiegenden Momenten für eine wohlige Balance sorgt.

Auch dann noch, als Cave seinem Idol Leonard Cohen huldigt und mit dem Cover „Avalanche“ einen der düstersten Songs des Kanadiers wählt. „May Cohen forgive me“, sagt Cave und lässt dann einen weiteren magischen Moment folgen.

Der nächste gelingt im Zugabenblock bei „Tupelo“. Noch so ein Stück, bei dem man sich zuvor überhaupt nicht vorstellen kann, wie das in dieser reduzierten Form funktionieren könnte, bis es die beiden mit stoischem Bass und ordentlich Reverb auf Caves Stimme einfach tun und so klingen lassen, als hätte es einen Warren Ellis und die lärmenden Bad Seeds nie gegeben.

Es gäbe noch unzählige weitere magische Momente, die sich nicht alle im Detail auflisten lassen. Nur so viel sei noch erwähnt: Warum Cave Colin Greenwood als einzige Begleitung wählte, wird spätestens in dessen grazilem Bass-Solo beim T-Rex-Cover „Cosmic Dancer“ deutlich, womit sich der Radiohead-Bassist gebührend verabschieden darf, bevor mit „Into My Arms“ der obligatorische Schlusspunkt folgt, der nochmal vor Augen führt, warum andere diesen Abend als ‚An evening with Nick Cave‘ verkauft hätten.

Ein Abend, der immer seltener werden dürfte, weil er für die Generation der Swifties viel zu sehr out of the box gedacht ist. Dabei ist hier eigentlich alles ursprünglich. Ein Konzertsaal, ein Flügel, ein Bass und eine Stimme, die Songs spielen, die derartige Unikate sind, dass sie sich von ihren Studioaufnahmen weit entfernen dürfen, und trotzdem markant und einzigartig bleiben.

Ein Konzerterlebnis, das ausstirbt, wenn die letzten großen alternativen Solokünstler irgendwann nicht mehr sind. Und das ist wahrscheinlich diese melancholisch bittere Note, die Nick Cave solo am nachhaltigsten von Nick Cave And The Bad Seeds unterscheidet.

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