Goldene Zitronen (Credit Frank Egel)„Who´s Bad“-wer ist hier denn nun der Böse? Die Frage die das 11. Album der Goldenen Zitronen aus Hamburg stellt, überforderte einst bereits Michael Jackson. Denn so wie der Beelzebub in wechselnder Erscheinung durch die Geschichte schleicht, ist  die Frage doch eher, welcher Projektionsfläche sich das Böse in der Gegenwart bedient.

Während sich Deutschland und die Welt mit verwanzten Datenleitungen, toten Flüchtlingen sowie Betongold-Terroristen herumschlagen muss, scheinen derartige Unbequemlichkeiten aktuell an den hier beheimateten Musikschaffenden vorbei zu rauschen. Krampfpoesie (Bosse, Phillip Poisel), Belanglosigkeit (Frida Gold), Klonen im Selbstversuch (ehemals beste Band der Welt) und „weißt Du noch wie es früher war“ Schunkel Gassenhauer (Die Toten Hosen) bestimmen das Geschehen. Kritische Auseinandersetzung mit innen- und außenpolitischen Themen scheint das Hoheitsgebiet der rüstigen Mundart Veteranen um Wolfgang Niedecken in „Arsch huh, Zäng ussenander“ Mottoveranstaltung zu sein.

Aber es gibt noch so etwas wie ein Gewissen der hiesigen Musikszene. Die 1984 gegründeten Goldenen Zitronen legen wieder den Finger in die Wunde urbaner Brennpunkte und versuchen damit, Licht in die im Albumtitel formulierte Frage zu bringen. Dabei war die Band nicht von Beginn ihres Schaffens diesbezüglich orientiert, Titel wie „Für immer Punk“ oder „Porsche, Genscher, Hallo HSV“ ließen sie eher in der Fun-Punk Ecke landen, aus der sie sich erst 1994 mit dem Album „Das bisschen Totschlag“ befreien konnten. Inzwischen sind die Gründungsmitglieder Schorsch Kamerun und Ted Gaier neben der Musik am Theater engagiert und bringen damit verschiedene politische Aktivitäten zusammen. Zur aktuellen Besetzung zählen außerdem der musikalisch hyperaktive Mense Reents, Julius Block (alias Thomas Wenzel von Die Sterne), Stephan Rath und Enno Palucca.

Zentrale Themen auf der neuen Platte sind Gentrifizierung und kritischer Umgang mit Eventkultur wie dem Einsteiger „Scheinwerfer und Lautsprecher“ unmissverständlich zu entnehmen ist. Der künstlerische Anspruch des Kollektivs ist dabei hoch, mit Plattitüden wie „Mieten müssen bezahlbar bleiben“ oder Parolen Marke „Vermieterschweine“ ist dabei natürlich nicht zu rechnen. Es wird sich einer subtileren Sprache bedient, die seziert und wieder verbindet, um trotzdem immer konkret zu bleiben wie bei hier repräsentativ genannten Songs „Der Investor“ oder „Echohäuser“ , wobei es in letzterem (wer möchte sucht sich dort eine Querverbindung zum „Rauch-Haus-Song“ von Ton Steine Scherben) um den Erhalt der Häuser am Hamburger Spielbuden Platz geht, an dem u.a. das legendäre Molotow beheimatet ist, und damit direkt Hamburger Stadtpolitik aufgreift.

Der Erzähler in „Ich verblühe“ steuert sehenden Auges auf die Vereinnahmung  durch den Zeitgeist zu, die Unabdingbarkeit des dabei-sein-müssens was letztlich in der Love Parade Katastrophe enden kann. Wobei letztere im für Zitronen Verhältnisse untypisch düsteren und nicht bewertenden „Duisburg“ umgesetzt wird. Der Sound, in den die Goldies ihre Texte packen, bleibt unverwechselbar, diesmal einen Schritt weg von den Krautrock Elementen die „Lenin“ und „Die Entstehung der Nacht“ noch beeinflussten. Es geht es dann und wann schon  beinahe rockig zu, aber auch der bekannte Minimalismus hat Bestand.

„Eigentlich sind wir moralisch“ sagte Ted Gaier und wenn auch diese Tatsache das Hören der neuen CD wieder zum anstrengenden Erlebnis macht, ist das genau die Alternative zum sonstigen Abfall der Musikindustrie. Aktuell sind die Goldenen Zitronen auf Tour, wer kann, sollte sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, um der exzellenten Live Umsetzung des neuen Materials beizuwohnen.

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