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Tindersticks – Across Six Leap Years

Auf der Bühne Anzüge tragen, in Interviews Upper-Class-Englisch sprechen – das reicht, um eine komplette Band in der Schublade mit dem Etikett Dandytum und Snob-Verdacht verschwinden zu lassen. So geschehen 1993, als die zwei Jahre zuvor in Nottingham gegründeten Tindersticks ihr erstes selbstbenanntes Album vorlegten.

Und alles nur, weil die Band um Sänger Stuart A. Staples ihre überwiegend in Moll gehaltenen Kompositionen voller elegischer Eleganz auch mit dem passenden äußeren und inneren Erscheinungsbild versahen.

Nachdem „Tiny Tears“ vom “Tindersticks (II)” Album schon früh ein Denkmal in Sachen Artikulation grenzenloser Traurigkeit setzte, folgten bis 2003 mit „Curtains“, „Simple Plasure“ „Can Our Love“ und „Waiting For The Moon“ weitere Liedsammlungen und festigten den Status der Band als Produzenten exquisiten Klangerlebens sowie des Befassens mit schwierigen Themen menschlichen Miteinanders.

Trotz dieses Erfolges löste sich der Zusammenhalt der sechs Musiker, es folgten zwei Solo Alben von Staples. 2008 waren schließlich neben dem Sänger nur noch David Boulter und Neil Fraser von der Startformation übrig, um für „The Hungry Saw“  nicht nostalgisches, aber dennoch unverwechselbares neues Material einzuspielen. Es folgten bis dato mit „Falling Down A Mountain“ und „The Something Rain“ weitere Veröffentlichungen.

Zum 20 jährigen Geburtstag kam ein Best Of Sammelwerk natürlich nicht in Frage, die Herren mieteten sich in den musikgeschichtsträchtigen Londoner Abbey Road Studios ein, um dort kein neues Album aufzunehmen, sondern um zehn Liedern der Band-Historie unter den Titel „Across Six Leap Years“ neuen Glanz zu verleihen.

Ausgewählt wurden Stücke, welchen zum Zeitpunkt ihres Erscheinens nicht das Potential entlockt wurde, welches in ihnen schlummerte. Das verwundert zunächst, denn die Tindersticks standen schließlich nie im Verdacht, ihre Stücke nicht sorgsam zu produzieren.

Vielmehr konnte man sich beim Erwerb einer CD darauf verlassen, ein Qualitätsprodukt  zu erhalten, welches von Anfang bis Ende durchgehört werden kann. Weshalb also jetzt neue Aufnahmen von alten Songs? Stuart Staples sagte dazu: “Es ging uns darum zu zeigen, was für eine Band wir heute sind und dass wir bestimmten Liedern erst jetzt gerecht werden können”.

Wer befürchtet, die alten Songs nicht wieder zu erkennen, der sei beruhigt: alle Stücke sind problemlos zu identifizieren. Und auch wenn sich die Arrangements geändert haben, bleiben die Zutaten gleich.

Es kommen soulige Momente wie etwa bei „If You´re Looking For A Way Out“ dazu, Jazz Bar Atmosphäre macht sich auf „Say Goodbye To The City“ breit. Das Vibrafon hat bei „I Know That Loving“  seinen großen Moment, der Background Gesang hält sich genau dort auf, wo er hingehört, in „Dying Slowly“ wird darauf verzichtet, jede verfügbare Tonspur mit Streichern zu beladen, was dem Song sehr gut tut.

Klavier und Besenschlagzeug dominieren „She´s Gone“ und wer bisher nicht mit dem Tindersticks Virus befallen war, wird spätestens nach der brillanten ersten Instrumental Minute von „What Are You Fighting For“ damit kontaminiert.

Im Vergleich zu dem sonst eher gedrückten Gesang, klingt Staples’ Stimme über die Aufnahmen hinweg klar und weit – fast als wäre der Thorax des Sängers von einer bedrückenden Fessel (vgl. „Der Froschkönig“) befreit.

Herbst-Musik nennen es die einen, zeitlos die anderen – aber egal, wie etikettiert, eine der außergewöhnlichsten englischen Bands der letzten beiden Jahrzehnte hat mit „Across Six Leap Years“ sich und ihrer Anhängerschaft ein würdiges Geschenk zum Jahrestag gemacht.

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