Freitag, der 15. August. Ich steche mit der MS Dockville in See. Mein Ziel: An den drei Festivaltagen möglichst viele Acts auf den verschiedenen Bühnen sehen und so viel an Eindrücken aufsaugen, wie es nur geht.
Als ich ankomme, sind die Voraussetzungen für ein gelungenes Festivalwochenende gut. In Hamburg-Wilhelmsburg ist es zwar frisch, aber nicht kalt und es scheint sogar ein bisschen die Sonne. Dass ich mir vorher in der Stadt noch einen Regenschirm gekauft habe, stellt sich später dennoch als richtig heraus.
Mein persönliches Dockville-Erlebnis startet mit Joy Wellboy im Maschinenraum, einer mittelgroßen Bühne, die für die Bands mit elektronischen Einflüssen reserviert ist. Trotz minimalistischer Instrumentenausstattung – ich kann lediglich eine Gitarre, eine Drum Machine und einen DJ ausmachen – klingt die Musik der beiden Belgier erstaunlich voll. Sie spielen ein paar Perlen von ihrem letztjährigen Album “Yorokobi’s Mantra” und ich bin froh, denn viel besser hätte der Nachmittag eigentlich nicht starten können.
Kurz darauf befinde ich mich schon im Discohimmel. Jungle heizen auf der Hauptbühne dem immer größer werdenden Publikum ein und beweisen völlig tiefenentspannt, warum sie dieses Jahr als ganz heißes Ding gefeiert werden. “Julia”, “Busy Earnin'” und “The Heat” lassen die anfangs noch etwas schüchterne Menge alsbald auftauen. Es mutet wie eine musikalische Reinkarnation der Bee Gees an. Nur ohne den Peinlichkeitsfaktor.
Nebenan schlagen Lowlakes mittlerweile auf der Vorschot-Bühne ruhigere Töne an. Im Publikum herrscht zunächst Verwirrung. Da La Femme ihren Auftritt absagen mussten (schade, schade), hat sich einiges im Programm verschoben und statt Say Yes Dog stehen eben besagte Lowlakes auf der Bühne, die jedoch von vielen (auch von mir) zunächst für Say Yes Dog gehalten werden. So oder so spielen sie eine melancholische Mischung aus Post-Rock, Elektro und einer geheimen Zutat, die ihrer Musik einen ganz besonderen Zauber verleiht.
Das Kontrastprogramm schallt aus dem benachbarten Butterland (die Bühne heißt wirklich so) herüber. Dort kredenzt die DJane Bandulera eine extravagante Mixtur aus allen möglichen Elektrogenres, wobei Trap am lautesten hervorschallt. Die Wiese ist gut gefüllt und obwohl es erst halb sechs ist, fühlt es sich schon wie ein 24 Stunden-Rave in einem urigen Waldstück an.
Für eine gewisse Ironie sorgt das Wetter eine halbe Stunde später. Auf der Vorschot steht der Südafrikaner St. Lucia, der mit seinem poppigen Indie eigentlich immer für Urlaubsstimmung sorgt. Just in diesem Moment fängt es zum ersten Mal an zu regnen. Glücklicherweise versteht sich Jean-Philip Grobler, so St. Lucias bürgerlicher Name, darauf, auch bei trübem Wetter die gute Laune zu erhalten und schon bald ist der Regenschauer vorübergezogen. Romantischerweise neigt sich nun ein Regenbogen über die Bühne und verschafft Songs wie “Wait For Love” oder “We Got It Wrong” doch noch den Rahmen, den sie verdienen.
Die echten Say Yes Dog finde ich dann auch noch. Sie übernehmen den Slot von La Femme im Maschinenraum. Leider bin ich ein bisschen spät dran und muss mich ganz hinten anstellen. Was ich von dort mitbekomme, weiß zu gefallen. Das gleiche Schicksal ereilt mich kurz darauf an der Klüse, einer weiteren kleinen Elektro-Bühne. Dort legt gerade das Kollektiv Ost auf, doch ich habe keine Chance auch nur in den Zuschauerraum vorzudringen, so voll ist.
Kein Problem, dann begebe ich mich eben zurück zur Hauptbühne, wo schon mit Spannung die Nu-Disco-Veteranen Hercules & Love Affair erwartet werden. Natürlich halten sie, was sie versprechen. Ihr Ruf als gute Liveband kommt schließlich nicht von ungefähr. Das Publikum ist zwar noch vergleichsweise überschaubar, aber Hymnen à la “My House” bringen alle in Tanzlaune.
Mich verschlägt es derweil ins Nest, eine weitere kleine Bühne, der ich bis dato noch keinen Besuch abgestattet habe. Mein Weg führt mich unter einem Haus mit Ausblickterrasse auf dem Dach und einer kuriosen Fahrradreifeninstallation der Künstlergruppe Zonenkinder in ein verstecktes, von Büschen umwuchertes Eckchen des Festivalgeländes. Melokind legt Electronica auf und die Menge ist ebenso ekstatisch wie schon zuvor bei Bandulera. Obwohl das Dockville kein ausgewiesenes Elektro-Festival ist, scheinen sich diese kleinen Rave-Bühnen doch größter Beliebtheit zu erfreuen, denke ich mir. Während sich vor den Hauptbühnen meistens noch ein Plätzchen finden lässt, bekomme ich hier im Nest kaum einen Fuß auf den Boden.
Ein Stück weiter präsentieren die Black Lips ihren Punk Rock mit Garage-Einschlägen. Antifa-Fahnen werden geschwenkt und die ersten Pogotänze des Tages werden begangen. Hier wird ohne Kompromisse ganz schnörkellos gerockt. Auch die politisch weniger Aktiven singen beim Klassiker “Drive By Buddy” lauthals mit.
Ich mache mich erneut auf den Weg zum anderen Ende des Geländes. Ry X wird auftreten und als ich an der Bühne ankomme, verziehe ich mich freiwillig etwas nach hinten, denn vorne ist Kreischalarm angesagt. Mir war überhaupt nicht bewusst, dass der Australier ein so großer Teenieschwarm ist. Die passende Musik zum Verlieben liefert er auf jeden Fall. Sanfte Singer/Songwriter-Musik mit Vocals im Stil von Bon Iver spielt der junge Mann aus Los Angeles und spätestens bei “Berlin” drehen die Zuschauer (und vor allem die ersten fünf Reihen) am Rad.
Ein weiterer Star tritt an der Vorschot auf. Ich mache mich auf den Weg, passiere die Hauptbühne und bekomme mit, wie Birdy gerade “Young Blood” von The Naked And Famous covert. Obwohl ich kein großer Fan der Engländerin bin, klingt das ganz schön gut. Ich will allerdings weiter zu Mø. Auch hier gibt es großes Gekreische. Bisher dachte ich, dass sie eher ein Geheimtipp unter Popfans ist, aber hier und heute könnte man fast meinen, sie wäre die nächste Lady Gaga. Mit aufwendiger Lichtshow und Live-Interpretation der elektronischen Beats ihrer Lieder hat sie die Festivalbesucher im Nu um den kleinen Finger gewickelt. Bei “XXX 88”, “No Mythologies To Follow” und einigen anderen Songs zeigen sie sich textsicher. Bei einem Stagedive-Versuch plumpst Mø kurz darauf in den Zuschauerraum, klettert aber wenig später unversehrt und unbeeindruckt zurück auf die Bühne.
Mittlerweile ist es Zeit für den ersten richtig großen Headliner des Dockvilles 2014. Jake Bugg, dieser kleine Junge aus Clifton, begibt sich auf die riesige Bühne. Etwas verloren steht er da mit seiner Band, spielt sich quer durch “Jake Bugg” und “Shangri La” und kündigt recht einsilbig die folgenden Songs an. Trotz offenkundiger Schüchternheit macht er seine Sache gut. Seine treuen Fans singen jede Zeile mit und sorgen für eine schöne, gemütliche Stimmung.
Ein paar Meter weiter lauschen die Elektrofans gespannt SOHN, dem Multitalent aus Wien, das mit “Tremors” vor einigen Monaten ein absolutes Überalbum veröffentlicht hat. Live tüftelt er sitzend an seinen Synthesizern herum, singt dazu herzerweichend und alles klingt mindestens so gut wie in der Studioversion. Selig lasse ich den ersten Festivaltag des Dockvilles auf der Tanzfläche zu Klängen von Cashmere Cat und dem Kollektiv Turmstraße ausklingen.