Viel zu selten schweift der Blick rüber zu unseren französischen Nachbarn und ihrer Musikkultur, auch wenn diese in den letzten Jahren immer wieder international erfolgreiche Bands wie Air oder Phoenix hervorgebracht hat. Nicht zu vergessen all die leidenschaftlichen Chansons, die sich der Tristesse hingeben und wohl immer noch das prägendste Aushängeschild französischsprachiger Musik sind. Mittendrin kommt nun eine junge Dame aus dem Westen Frankreichs daher, die seit dem letzten Sommer mit ihrem Debütalbum „Chaleur Humaine“ einen so beachtlichen Erfolg in ihrer Heimat und darüber hinaus verzeichnet, dass der (beinahe) Status Doppel-Platin wie ein Echo auf jenes Werk folgte.

Am 20. Februar erscheint das Album dann auch hierzulande, was Christine And The Queens schon einmal vorab mit einer Stippvisite in Berlin feierten. Beim Stimmengewirr im Foyer des Admiralspalast Studios wurde schnell klar – der Trubel um die Sängerin und ihre hochgelobten Performances hatte an diesem Abend neben neugierigen Einheimischen auch viele ihrer Landsmänner/-frauen angezogen, die Héloïse Letissier, wie sie mit richtigen Namen heisst, im französisch-sprachigen Raum nicht mehr in dieser Größenordnung zu sehen bekommen dürften.

Passend zum Theater-Ambiente, in dem das Publikum jeden Sitzplatz bis in die obersten Reihen hinaus auszufüllen schien, bot sich den Fans dann auch weitaus mehr als eine normale Show in Konzertform. Neben der Musik ist der Tanz eine weitere Leidenschaft der jungen Französin, die es sich auch live bei ihren Auftritten nicht nehmen lässt, ihre Songs mit tänzerischen Bewegungen zu begleiten. Unterstützt wurde sie neben einer dreiköpfigen Band dann ebenfalls von zwei männlichen Tänzern, deren non-verbale, physische Kommunikation so fließend und leicht wirkte, als würden sie durch die Musik hindurch auf den Bühnenboden dringen. Dabei legte die Choreographie viel Wert auf einen harmonisch-weichen Stil, der nicht zwingend synchron und dem modernen Tanz entlehnt war.

Während die riesige Leinwand im Hintergrund wahlweise farblich schrille Visuals, großflächig projizierte Tanzeinlagen oder atmosphärisch dezente Akzente setzte, unterstrich „Christine“, zumeist eingerahmt von ihren Tänzern, eindrucksvoll ihren Ruf als „Performance-Queen“. Dazu zählte ein durchgängig perfekter Gesang, ebenso wie kleine humorvolle Interaktionen mit dem Publikum und eine tänzerische Körpersprache, aus der in jedem Moment eine persönliche Begeisterung für ihre Arbeit auf der Bühne sprach. Da brauchte es kaum mehr als eine Handvoll Songs, bis die Fans sich ohne Aufforderung von ihren Plätzen erhoben. Den frenetischen Jubel samt hingerissenen Begeisterungsrufen konnte Letissier dagegen sofort nach dem ersten Song für sich verbuchen und zuckte angesichts der ihr entgegengebrachten Euphorie für einen Augenblick positiv erschrocken mit einem Lächeln auf den Lippen zusammen.

Musikalisch mag die Französin ihren Facettenreichtum von Pop, R’n’B, Elektro und auch dem klassischen Chanson gleich über eine ganze Bandbreite an Stilen ausdehnen. Tänzerisch gesehen entpuppte sie sich dagegen als eine Künstlerin, die ihr Idol Michael Jackson bisweilen auch in Sachen Mimik bestens einstudiert hatte. Immer wieder schlichen sich kleinste markante Gesten in ihre Bewegungsabläufe ein, die an den wohl größten aller Performer erinnerten. Auch die Beleuchtung der Bühne mit ausgewählten, gut platzierten Spots trug zur Hommage an Jackson bei, die später im Set mit dem „Who Is It?“ Cover auch musikalisch gekrönt wurde. Was vielerorts bei Künstlern zu aufgesetzt wirkt, wenn sie Versuche dieser Art unternehmen, sich ihrem Idol zu nähern, schaffte Christine dagegen mühelos – nämlich ihren eigenen Stil ganz ungezwungen mit dem eines Kalibers wie des King of Pop zu verbinden.

Mit schwarzen Slippern an den Füßen, einer Hochwasserhose samt Blazer und den immer wieder ins Gesicht fallenden Haarsträhnen kombinierte die Sängerin den typischen Jackson-Stil mit französischer Eleganz. Im Gegensatz zu vielen anderen Popstars punktete sie sowohl mit ihrem Können als auch ihrer charmanten Art zugleich und trug statt dickem Make-Up lieber musikalisch ein paar Schichten mehr auf. Musikalische Breaks mit Salt-N-Pepa Referenzen oder improvisierten Drake-Einlagen inklusive. Ihr eigenes Material ließ den Eindruck einer Künstlerin zurück, die sich in gleich mehreren Genres zu Hause fühlt und ziemlich lässig elektronisch wabernde Grooves, R’n’B Einflüsse oder aber auch lupenreine Pop-Balladen zum Ausdruck bringen kann, ohne dabei einen Zustand der Verwirrung auszulösen.

Scherzend versprach sie, in ein paar Jahren wie Bruce Springsteen in einem weissen Unterhemd dreistündige Konzerte geben zu wollen. Bis dahin mussten sich die Fans jedoch mit einer 90-minütigen-Show zufrieden geben, in der Christine And The Queens dem klassischen Pop-Entertainment einige Male lächelnd davon liefen und ihm mit viel künstlerischer Integrität die nötigen Ecken und Kanten verpassten.

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