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Die Leute malen mich gern als einen düsteren Gesellen- Editors im Interview

Die Editors bringen ihr fünftes Werk unter die Indie-Rock liebende Meute – ein Grund, die Hände in die Höhe zu schmeißen und mit sehnsuchtsvollem Blick ihre Tour-Pläne zu checken; ein weiterer Grund, die Herrschaften für ein Interview zu bemühen. Wir sprachen mit den Gründungsvätern Tom Smith – seines Zeichens Sänger und Gitarrist der Formation – und Bassist Russell Leetch darüber, wie viel Disko in ihrem neuen Schützling „In Dream“ tatsächlich steckt, was genau sie zu einem altbekannten Soundwandel veranlasste und welche besonderen Schlüsselmomente ihr junges Musikerleben prägten.

MusikBlog: Wo Editors draufsteht, ist zumeist auch ein gewisser handgemachter 80er-Editors-Gehalt drin – So dachte ich zumindest bis vor eurem letzten Album. Doch mit dem extremen Fokus auf das Elektronische, das Wiederbeleben des bereits auf „In This Light And On This Evening“ Geschehenen habe ich nach eurem letztmalig Rock-lastigen Output nun wirklich nicht gerechnet. Was ist passiert?

Tom: Was unseren letzten Output betrifft – das ist ganz einfach der Sound, der für uns stand als wir versuchten, gemeinsam als Band zu funktionieren. Als Chris uns verließ gestaltete sich das Zusammenraufen natürlich auch etwas schwierig. Ich denke, wir wollten uns ganz einfach durch den eher rocklastigen Sound als eine Band beweisen. Das wäre zumindest eine Erklärung. Ich bin dennoch stolz auf die Art und Weise, wie dieses Album klingt. Doch nun fühlen wir uns, nach allem Beschnuppern und miteinander Warmwerden, einfach wohl in unseren Rollen – und wollten ein Album anstreben, welches sich mehr an unseren Drittling anlehnt und die elektronischen Instrumente neben dem Akustischen hervorkramen lässt. Ich denke, es ist bisher unser experimentierfreudigstes Werk.

MusikBlog: Neben einer solchen PR-freundlichen Antwort brütete ich zudem zwei weitere Hypothesen aus. Zum Beispiel, dass euer jüngstes Album auf nicht allzu viel KritikerInnenliebe stieß, was ein Abwenden von ihm erklären würde.

Russell: Nein, eher nicht. Es gab tatsächlich sehr durchmischte Reviews, doch auf die geben wir nicht allzu viel. Andernfalls wären wir nun mit einem EDM-Werk um die Ecke gekommen. (lacht)

MusikBlog: Doch abgesehen davon gab es natürlich noch die versprochene zweite Hypothese: Tom, Du sprachst einmal in einem euren ersten Elektroausflug rechtfertigenden Interview davon, dass es schlichtweg langweilen würde, auf von euch ausgelutschten Sounds weiterhin herum zu kauen. Wäre eine Fortsetzung eures vierten Sprösslings also schlichtweg im Gähnenchor verlaufen?

Tom: Oh je, „langweilig“ klingt da schon ein bisschen harsch. Doch ich denke, wir alle fühlen uns dabei wohl, neue Dinge auszuprobieren. Nicht, dass wir ein Innovationssiegel darauf benötigen würden – auch darauf legen wir keinen elementaren Wert – doch ja, einen kleinen Einfluss mag auch das gehabt haben, wie auch unser drittes Album sich von dem zweiten abhob – das ist ganz einfach die Band, welche wir schon immer waren.

MusikBlog: Stimmt, doch spielte bei der damaligen Kehrtwende Ex-Mitglied Chris noch eine große Rolle, welcher ursprünglich die Keyboards in den Proberaum hiefte.

Tom: Nun ja, so ganz kann man das natürlich nicht pauschalisieren. Chris wollte natürlich nicht mehr allzu viel Gitarre spielen, doch er nahm mit der Idee keinerlei Monopolstellung ein, sie kam von uns allen zusammen. An ihm fiel der Wandel jedoch am meisten auf, da gerade er nicht mehr seine ursprünglichen Instrumente bespielte.

MusikBlog: Doch versetzte nun eine kleine Fortführung damaliger Sounds euch nicht noch einmal in gute alte Zeiten, wie sie mich in diese hineinversetzte?

Russell: Dadurch, dass Justin sehr viele Songs mitschrieb, kam das gar nicht so zum Tragen, da unsere Arbeitsweise wirklich sehr anders vonstattengeht, als jene mit Chris – das fängt beispielsweise bei den Synthesizerklängen an.

MusikBlog: Gab es denn etwas, das ihr voneinander lernen musstet, um dieses Album als eine gemeinsame Band zu stemmen?

Tom: Nun ja, wir spielen in dieser Formation ja mittlerweile seit… 2012, glaube ich. Mit den einhergehenden Touren konnte man ganz einfach feststellen, dass wir miteinander funktionieren – und dass wir die gemeinsame Sache, die uns verbindet, weiterspinnen wollen. Das Wertvollste, auf das wir dabei zurückgreifen, ist unsere lockere und ungezwungene Art, miteinander umzugehen. Wir haben keinen Rudelführer, keine maßgeblichen Meinungsherrschenden. Es ist großartig, auch nach einer solch langen Zeit im Business sich noch wie eine Band im Sinne eines Teams fühlen zu können.

MusikBlog: Ja, Teamsynergien sind etwas Feines. Spielen wir daher einmal eine Runde Comunio: Könntet ihr euch noch ein Mitglied anschmieden, wie ihr es bereits tatet, welches wäre das?

Tom: Rachel von Slowdive war beispielsweise ein paar Tage bei uns, um mit uns das neue Werk zu schmieden. Sie wäre eine ganz heiße Wahl.

MusikBlog: Mit dieser Kavaliers-Antwort rechnete ich fest.

Russell: Rick Wakeman von Yes wäre auch eine wunderbare Wahl. Der könnte noch für das Extra an Keyboards sorgen. Das wäre ein feiner Spaß.

MusikBlog: Ein Herr, der euch maßgeblich inspiriert?

Tom: Ja, in diese Liga spielen noch so einige andere mit hinein. Zum einen sind wir beim Schreiben und Recorden der Songs natürlich sehr selbstfokussiert. Doch als es an das Formieren der Band ging, spielten auch persönliche Vorlieben mit hinein, seien es R.E.M. oder andere. Heutzutage haben sich auch diese gewandelt. Wir hören zum Beispiel Jon Hopkins und verrückterweise Robert Palmers „Clues“ in Endlosschleife.

MusikBlog: Herrschaften, denen euer Album auch gefallen soll bzw. hätte gefallen sollen?

Tom: Dahingehend sind wir ziemlich selbstsüchtig. Wir geben relativ wenig darauf, was andere sagen – das würde keinen Einfluss auf unsere Art haben, an die Musik heranzugehen.

MusikBlog: Und doch sollten sich bestenfalls ein paar Liebende und Kaufende finden lassen.

Russell: Wir sind dankbar dafür, dass wir von unserer Musik leben können – und das schon seit über zehn Jahren. Ein Indikator mag sein, dass wir uns eben selbst treu blieben und stets auf unser Innerstes gehört haben, unseren Instinkten gefolgt sind. Ginge es darum, einem bestimmten Typ HörerIn zu gefallen, wären wir längst von der Bildfläche verschwunden.

MusikBlog: Zauberschön gesagt. Doch wie gewährleistet ihr, dass die Menge eure Botschaft versteht?

Tom: Wir haben nicht wirklich eine Botschaft. Du möchtest, dass die Leute von Deiner Sache emotional berührt werden, dass diese sie ergreift. Doch dahinter soll nicht dieses eine namhafte Gefühl stecken, welches alle Zuschauenden oder Zuhörenden greifen können. Stattdessen ist ein jeder Mensch so speziell, dass er oder sie auch unsere Musik auf die ganz eigene Art und Weise verarbeiten soll.

MusikBlog: Doch nehmen wir uns eine kleine Unterbotschaft aus euren Texten, so heißt es in „Salvation“: „Forgiveness makes fools of all of us“. Eine Sache, an die man wirklich glauben sollte?

Russell: Nun ja, an manchen Tagen sicherlich – und an manchen Tagen auch nicht.

Tom: Ich denke, dass alle in die Situationen kommen, in denen sie beispielsweise das Vergeben als Nachteil empfinden. Es kommt darauf an, mit welchem Fuß man eben aufsteht und bildet keineswegs ab, was unsere Lebensphilosophie besagt. Entsprechend würde ich mir diese Phrase nicht als Tattoo stechen lassen.

MusikBlog: Es streichelt mein Herz, dass diese Phrase nicht eurem Credo entspricht.

Tom: Die Leute malen mich recht gerne als einen düsteren Gesellen, gerade, da eben ich als Songwriter die melancholischen Texte präge. Dabei mag ich es einfach, wie diese Art Lyrics von den tragenden Melodien emporgehoben werden. Und dann auch noch zu erleben, wie die Menge jene Texte interpretiert, sie bei Auftritten sogar verinnerlicht und mitsingt, das streichelt wiederum unser Herz. Ich liebe diesen Kontrast.

MusikBlog: … für welchen Du jedoch nicht allzu viele schlecht gelaunte Tage verleben musst, um die Texte zu schreiben?

Tom: Definitiv nicht. Ich finde nicht, dass Du in einer traurigen Lage sein musst, um einen traurigen Song zu schreiben, oder aber nur in einem fröhlichen Moment beschwingte Songs schreiben kannst.

MusikBlog: Welche Wortfetzen für treffende Momentaufnahmen kann man denn „In Dream“ eurer Meinung nach zu schreiben?

Russell: Auf die Schnelle? „Verschwommen“, „Disko“ und „leuchtend“.

MusikBlog: Huch – an welcher Stelle des neuen Albums feiert man denn im Diskolicht?

Russell: Ein paar Songs haben dieses gewisse Disko-esque, welches aus ihnen spricht. Man merkt etwa der Hälfte der Songs an, dass sie auf eine Art Push-Button hauen, welcher sie nach vorne marschieren lässt. Doch auch in den kleinen ruhigeren Facetten kann ein solches Brodeln hervorschimmern.

MusikBlog: „All The Kings“ fiele mir da etwa ein.

Russell: Ganz genau. Auch dieser Track zeigt, was in allen Artgenossen zu unterschiedlichen Teilen steckt: das Träumerische, Popbehaftete, Kosmische. Daher heißt das Ganze zusammen dann auch „In Dream“.

MusikBlog: Das Verschwommene aus euren Beschreibungen deckt sich mit meinen Worten für euer Album, welche noch mit „Dystopie“ und „Synthesie“ komplettiert wird. Denn die Dystopie ist eine Sache, die sich für mich durch all eure Alben zieht, welche auch einschlägige Soundtracks darstellen könnten.

Tom: Genau diese Vorstellung lieben wir. Wir mögen das Cineastische.

Russell: Und Dramatische…

Tom: … und das Empfinden, dass unsere Musik einem solchen Erlebnis als zugehörig empfunden werden kann.

Russell: Wir können uns wirklich vorstellen, eines Tages einen Filmsoundtrack zu kreieren.

MusikBlog: Was für eine Art Film schwirrt euch da vor Augen?

Tom: Für mich wäre das ein Drama, in die Richtung des Science-Fiction gehend.

MusikBlog: Und für welche Handlung könnte euer neues Werk herhalten?

Russell: In jedem Fall würde er von vielen Entscheidungen, sowie einer Menge Umstellungen handeln und etwa 2 Stunden 37 Minuten lang sein.

Tom: Genau. Es spielen fünf junge Männer eine Rolle, welche sich in ländliche Gefilde begeben, etwa West-Schottland. Und dort werden sie von Aliens abgefangen. Er wird nicht gut ausgehen.

MusikBlog: Er handelt also von euch – und von Aliens.

Russell: Ganz genau. Mag sein, dass das Ganze etwas von „Gravity“ hat. Aber halt noch besser!

MusikBlog: Weiterhin erscheint „In Dream“ nun irgendwie in sich gekehrter – als könne sich das auch auf die Räume übertragen, in denen ihr spielt. Kleiner, nahbarer, intimer – ist eure Vorstellung der nächsten Aufspiele?

Tom: Nicht wirklich – wir werden auch diese Sounds auf große Bühnen bringen, denke ich. Wir spielten etwa in Hamburg, oder aber auch in der Columbiahalle in Berlin. Doch es wird immer eine Thematik beider Größen sein, das ist das Spannende daran: Unsere Musik in unterschiedlichen Wirkungsräumen zu testen.

Russell: Dafür ist es auch dankbar, erst einmal die unmittelbaren Reaktionen der kleineren Mengen abzupassen, bevor es etwa an Festivals geht. Wir üben immer eine Unmenge, bevor es die Songs tatsächlich auf die Bühne schaffen – und das geschieht nach und nach, immer fein eingestreut. Doch alle Songs funktionieren eigentlich überall.

MusikBlog: Gibt es denn eine ganz spezielle Location, die es euch hier in Deutschland angetan hat?

Tom: Ganz ehrlich? In Deutschland hatten wir bei all unseren Auftritten eigentlich immer ein sehr gutes Gefühl. Ob es nun das „Melt!“-Festival war, oder aber kleinere Locations, die sich großartig gestalteten.

Russell: Haldern! Das war großartig!

MusikBlog: Gab es denn auf dem schnuckeligen Wald- und Wiesenfestival ein Schlüsselerlebnis für euch?

Tom: Nicht im Speziellen. Als Schlüsselerlebnisse würde ich eher die Zeit bezeichnen, als wir selbst zu Festivals gingen – noch vor der Bandzeit – und uns etwa R.E.M. anschauten. Als ich 16 Jahre alt war, gab es für mich diesen einen Moment: Ich stand bei eiskaltem Regen im ollen Schlamm treu vor der Bühne Radioheads, als gerade „OK Computer“ herauskam. Diese ganze Atmosphäre: Das war ein prägender Moment in meinem Leben. Ich stellte fest, genau das machen und dort stehen zu wollen.

MusikBlog: Russell?

Russell: Ja, also, das Glastonbury ist einfach immer gut. Zwar ist es groß, doch es hat einfach in meinen Augen den richtigen Vibe und verbreitet die richtige Message mit seinen Leuten und Stimmungen.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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