Schon tragisch, dass eine große Nation wie China, die darüber hinaus auch noch über eine alte kulturelle Tradition verfügt, in Sachen Pop, Rock, Elektronik, Indie etc. international bislang Null bis Nada Gültiges aufzuweisen hatte. Während das Bild in Sachen Sport, Weltraumfahrt, Klamottenherstellung, Elektronik oder Mauerbau natürlich ein anderes ist, erschöpften sich die Aktivitäten auf dem Musiksektor vornehmlich in schmalzigem Schnulzenpop.

Die Ursachen hierfür kann man natürlich in der etwas herben gesellschaftlichen Entwicklung des Riesenlandes finden. Mit der wirtschaftlichen Öffnung hat sich in den letzten Jahren allerdings auch im Musikbereich einiges getan. Und anstatt ihr Heil als Mandopop-Sänger und Sängerinnen zu suchen, formieren sich inzwischen auch in China Indie-Bands, brüllen Hardcore- oder Metalsänger, was die Stimmbänder hergeben oder öffnen Underground Elektronik-Clubs die Türen. Sprich, der Gigant ist hier zwar noch nicht ganz wach, hat aber zumindest schon mal einen Spalt von einem Augenlid geöffnet.

Nova Heart aus Peking sind ihrer heimischen Konkurrenz allerdings schon einige Meilen voraus. Der entscheidende Pluspunkt der Band heißt Helen Feng. Aufgewachsen in den USA und Kanada kehrte sie 2002 in ihre Geburtsstadt Peking zurück und wurde als Moderatorin von MTV China schnell zu einer prominenten Gestalt und Stilikone. Musikalische Erfahrungen sammelte sie zudem als Keyboarderin und Sängerin in Free The Birds und Pet Conspiracy, zwei der bedeutendsten chinesischen Indie-Bands, mit denen sie auch international tourte.

Mit Nova Heart startete Feng 2011 ihr eigenes Projekt. Mit dabei sind noch Bassist Bo Xuan, Gitarrist Wang Zong Can und Drummerin Shi Lu. Nach der „Beautiful Boys“-EP (2012) erscheint jetzt ihr gleichnamiges Longplay-Debut. Aufgenommen wurde das Album in Berlin und Rom von dem italienischen Producer Rodion. Herausgekommen ist dabei eine ganz eigen gestaltete, dunkel schimmernde Elektro-Popwelt.

Schon der cinematisch angelegte Instrumental-Opener „Drive To Our End“ macht mit tiefer Bariton-Gitarre, pulsierenden Synthiessounds und groovendem Beat klar, dass hier nicht krampfhaft nach Anschluss an westliche Popstandards gesucht wird, sondern ein absolut eigenständiges, selbstbewusstes Statement abgegeben wird.

Und das setzt sich auch auf den anderen zehn Stücken des Albums fort. In Stücken wie „We Are Golden“, „My Song 9“, „Evil“, oder Starmaker“ entfaltet sich über die vier, fünf Minuten ihrer Laufzeit ein groovender Sog, der einen unmittelbar in eine mysteriös, kühle Klangwelt zieht. Helen Feng‘s melodiöser Gesang leitet einen dabei durch zuweilen zerklüftete Synthie- und Gitarrensounds, die getragen werden vom unmittelbar wirkenden Puls von Bass und Schlagzeug.

Geschickt spielen Nova Heart dabei mit Referenzen an ältere Stile wie zum Beispiel Achtziger New Wave, Trip-Hop oder House. Allerdings schaffen sie es, mit diesen stilistischen Assoziationen immer so umzugehen, dass sie trotzdem zeitgenössisch und absolut frisch klingen. Die geographische Herkunft der Band fällt dabei komplett unter den Tisch.

Auf „No Controversy“ wird dies allerdings mal ein bisschen konkreter. Der Disco-Groove und auch Helen Feng‘s Rap-Part erinnern an Blondie’s „Rapture”. Möglicherweise ein selbstironischer Seitenhieb auf die Bezeichnung „chinesische Debbie Harry“, den ihr die chinesische Musikpresse irgendwann mal verliehen hat.

Alles in Allem ist „Nova Heart“ ein schönes und originelles Album mit viel Persönlichkeit. Durch seine eher melancholisch, dunkle Stimmung zwar nicht unbedingt für die heitersten Sonnentage, aber es geht ja eh auf den Winter zu. Kämen Nova Heart aus London, New York oder Berlin würde die Hype-Maschine wahrscheinlich schon längst auf Hochtouren laufen.

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