Natürlich war es absehbar. Als im Mai die recht gut gemachte Kurt Cobain-Doku „Montage Of Heck“ erschien, war schon zu ahnen, dass die im Film auftauchenden Demos, Skizzen, Collagen, Schnipsel und Geräuschfetzen auch noch separat zur Veröffentlichung kommen werden.

Passend zum Weihnachtsgeschäft ist es jetzt so weit. Und „Montage Of Heck: The Home Recordings“ kommt dabei direkt in zwei Versionen. In einer stringenteren nur auf dreizehn Demos/Skizzen/Entwürfe reduzierten Standard Fassung. Und einer um achtzehn Schnipsel/Collagen etc. erweiterten Deluxe-Ausgabe.

Alles Cobain pur. Ohne Nirvana und nur mit Gitarre, Stimme und Kassettenrecorder. Quasi Sachen aus seinem akustischen Notizbuch. Nur für sich festgehalten und niemals zur Veröffentlichung gedacht. Aufgenommen überwiegend in der zweiten Hälfte der Achtziger, als Cobain noch in seinen frühen Zwanzigern war.

Dabei stellen sich natürlich diverse Fragen: Funktionieren diese Stücke auch ohne den Kontext zur Doku? Haben sie in dieser Form wirklich so viel Eigenwert? Braucht man das? Bzw. was kann man als Käufer/Hörer daraus ziehen?

Natürlich lässt sich argumentieren, dass man hier einen absolut unverstellten Einblick nicht nur in Kurt Cobains Songwriter-Werkstatt bekommt, sondern auch in den nicht öffentlichen Cobain. Immerhin war er unbestritten der letzte große Rockstar mit weltweiter Breitenwirkung. Und wie es generell gerne bei früh verblichenen Künstlern – also auch Schriftstellern, Malern, Schauspielern etc. – ist, trägt der Mythos um die persönliche Lebenstragik auch hier zur posthumen Faszination einiges bei. Wieviel man dann davon in das künstlerische Werk reinlesen möchte, ist dabei natürlich jedem selbst überlassen.

Allerdings kommt man im Fall von „Montage Of Heck: The Home Recordings“ auch nicht ganz um den Verdacht herum, dass hier wie bei Hendrix, Jim Morrison, John Lennon etc. die Zitrone bis zum letzten Ton ausgequetscht wird. Und nachdem man aus der Nirvana-Goldmine schon für diverse Sampler und Deluxe-Ausgaben die letzten Nuggets rausgeschürft hat, sind jetzt eben nur noch Kurt Cobains private Demos über.

Ok, es ist nett, mal gehört zu haben, wie er sich an Songs wie „Been A Son“ (Nirvana Fassung später auf dem „Incesticide“-Sampler), „Scoff“ („Bleach“), „Sappy“ („Bleach Deluxe“) und „Frances Farmer Has Her Revenge On Seattle“ („In Utero“) herantastet. Oder “You Can’t Change Me/Burn My Britches” benannte Vorstufen schließlich zu “Something In The Way” („Nevermind“) werden. Sogar ein Beatles-Cover gibt’s mit „And I Love Her“. Manches davon wurde auch schon vor zehn Jahren für die „With The Lights Out“-Box ausgegraben, so zum Beispiel „Clean Up Before She Comes“ und “Beans”. Aber essentiell ist das alles mit Sicherheit nicht.

Oft klampft Cobain nur zur unverstärkten E-Gitarre und der Gesang wird nicht selten nur angedeutet. Hin und wieder macht er sich dabei selbst Notizen wie “Basspart“, „Chorus“ oder „Solo“. „Burn The Rain“ wird vom Klingeln des Telefons unterbrochen und man erfährt, dass irgendjemand (Cobains Mutter? Damalige Freundin?) nicht zu Hause ist. „Hello? No she is not.” Der Künstler als Privatmann. Ha!

Ab und zu gibt’s mal den ein oder anderen Aha-Moment. So das Demo zu „Clean Up Before She Comes“. Die stark verhallte Gitarre und Cobains Gesang lassen da schon einen  schönen atmosphärischen Moment entstehen. Oder das frühe Demo von „Sappy“, das er mit ungewohnt tiefer Baritonstimme singt.

Nicht selten ist es aber auch einfach nur banal. So zum Beispiel auf dem von wem auch immer “Reverb Experiment” benannten Track. Über drei Minuten bastelt er hier an einem Heavy-Riff mit Verzerrer und Wah Wah rum. Ist jetzt wirklich nicht so wahnsinnig aufregend zu hören. Klar wird das für ihn seinerzeit schon irgendeine Bedeutung gehabt haben. Sonst hätte er es ja nicht aufgenommen. Aber muss man es auch unbedingt veröffentlichen? Und wieso eigentlich Reverb? Das Ding klingt absolut trocken.

Noch extremer wird es bei den nur textbasierten Stücken, die auf der Deluxe-Version von „Montage Of Heck: The Home Recordings“ zu finden sind. Obskuritäten wie der „1988 Capitol Lake Jam Commercial“, ein mit zwei verfremdeten Stimmen vorgetragener Werbespot für ein frühes Nirvana-Konzert.

Solche Sachen scheint er überhaupt in frühen Jahren gerne mit seinem Mehrspur-Kassettenrecorder angestellt zu haben. Nachzuhören auch auf den beiden „Montage Of Kurt“-Teilen, „Rhesus Monkey“ und „Sea Monkeys“. Absolut überflüssig wird es dann bei dem „Kurt Audio Collage“ genannten 24-Sekunden Stück, das quasi nur aus Wasserrauschen und Vogelgezwitscher besteht. Eine Menge Leute haben in dieser Zeit und in diesem Alter im bekifften Kopf mit ihren Fostex-Recordern o.ä. ähnlich seltsame Sachen gemacht. Und bei Cobain sollte man es jetzt auch nicht auf die Goldwaage legen. Genauso wenig wie man es im Nachhinein zu frühen Geniestreichen verklären sollte.

Es fällt einem schwer, sich vorzustellen, dass der inzwischen 48-jährige die auf „Montage Of Heck“ enthaltenen Aufnahmen selber zur Veröffentlichung frei gegeben hätte. Natürlich ist es ist mal nett und interessant diese rohen Songnotizen gehört zu haben. Aber unter dem Strich ist  das Album wirklich nur etwas für Extrem-Ultra-Komplett-Cobainisten. Der Rest tut ihm und sich selber einen besseren Gefallen, in dem er mal wieder „Nevermind“, „In Utero“ oder „Live At Reading“ rauskramt, auflegt und dazu diverse Biere köpft.

„Montage Of Heck“, wie bei Wikipedia gelesen, als Cobains einziges Solo-Album zu bezeichnen, führt jedenfalls definitiv zu weit und ist absolut abstrus.

Tipp: Besser die Doku gucken und das Geld, das man für „Montage of Heck“ ausgegeben hätte, in das Album einer jungen oder unbekannten Band investieren, die es wirklich nötiger hat.

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