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Ich kenne dieses furchtbare Gefühl – Jeanne Added im Interview

Jeanne Added zählt momentan zu den hellsten Sternen am europäischen Elektropop-Himmel. Der aus dem französischen Reims stammenden Sängerin mit der platinblonden Andy Warhol-Gedenkfrisur ist das aber völlig schnuppe. Mit Trends und Hypes hat Jeanne Added nichts am Hut. Und mit aufgeplustertem King-for-day-Ruhm auch nicht. Die gelernte Jazz-Musikerin macht einfach nur ihr Ding. Nach ihrem EP-Einstieg im vergangenen Jahr folgt nun die Album-Premiere. “Be Sensational” heißt das gute Stück; ein Album, das Erinnerungen an schillernde New Wave-Zeiten weckt. Aufgepeppt mit Soundelementen aus der Neuzeit präsentiert sich eine elektronisch wabernde Retrospektive der besonderen Art. Wir trafen die Französin im vergangenen November in Berlin und sprachen über dunkle Prophezeiungen, englischsprachige Musik und die Aufregung vor dem ersten Mal.

MusikBlog: Jeanne, im Opener (“A War Is Coming”) deines Debütalbums sprichst du Klartext. Du beschäftigst dich mit einem sich anbahnenden Krieg. Vor wenigen Monaten wurde Paris von Terroristen angegriffen. Derzeit flüchten Millionen Kriegsopfer nach Europa. Man könnte fast glauben, du hast das alles bereits vor Monaten kommen sehen.

Jeanne Added: Oberflächlich betrachtet könnte man das so sehen. Aber dem ist natürlich nicht so. Der Song lässt natürlich viel Interpretationsspielraum. In erster Linie geht es dabei aber um mich und um meine ganz persönliche Zerrissenheit.

MusikBlog: Du stammst aus Reims, wohnst aber mittlerweile in Paris. Die Terrorangriffe sind noch nicht so lange her. Wie fühlst du dich dieser Tage, wenn du vor die Tür gehst?

Jeanne Added: Glücklicherweise war ich während der letzten Attacken nicht in Paris. Ich weiß aber, wie es sich anfühlt; denn ich war während des Charlie Hebdo-Anschlags zuhause. Und ich wohne nicht weit entfernt von der Redaktion. Ich kenne dieses furchtbare Gefühl, eine Mischung aus Angst und Ohnmacht. Als Mensch mache ich mir natürlich meine Gedanken, ganz klar. Als Künstlerin versuche ich, diese Gedanken aber zu verdrängen.

MusikBlog: Warum?

Jeanne Added: Weil ich sonst nicht arbeiten könnte. Musik ist mein Leben, mein Job, meine Leidenschaft. Ich kann nichts anderes. Ich muss das einfach trennen und ausblenden.

MusikBlog: Wann beginnt der Verdrängungsprozess? Bereits vor dem Musizieren? Oder erst währenddessen?

Jeanne Added: Hauptsächlich währenddessen. Wenn ich Musik mache, vergesse ich alles um mich herum. Da ist dann nur noch die Musik präsent.

MusikBlog: Kannst du Kollegen verstehen, die nach den Anschlägen ihre Shows cancelten?

Jeanne Added: Natürlich. Jeder geht anders mit der Situation um. Ich kann da nur für mich sprechen. Für mich hat Musik auch immer etwas Heilendes und Befreiendes. Das würde ich mir niemals nehmen lassen.

MusikBlog: Deine Musik klingt sehr eigenständig. Du bedienst dich keiner Hypes oder Trends. Auch dahingehend scheinst du eine strikte Linie zu verfolgen?

Jeanne Added: Ich bin schon ein Mensch, der weiß, was er will. Ich lasse mich aber auch inspirieren. Mir ist es wichtig, eine Balance zu finden. Sicher, die Grundsounds des Albums hatte ich schon vor dem Produktionsprozess auf dem Schirm. Aber ich habe auch Neues zugelassen. Dan (Produzent Dan Levy) kam beispielsweise oft mit neuen Ideen an, die ich letztlich auch mit eingebaut habe. Auch Marielle Chatain, die einige Gesangspassagen, Keyboards und Percussions mit eingebracht hat, machte Vorschläge, die hilfreich waren. Das alles entwickelte sich irgendwie zu einem großen Ganzen. Und am Ende waren alle happy. (lacht)

MusikBlog: In Deutschland hat man vollstes Verständnis für Musiker, die sich für die englische Sprache entscheiden. Wie sieht das in Frankreich aus?

Jeanne Added: Natürlich gibt es auch bei uns viele Leute, die lieber französischsprachige Künstler hören. Aber das ist, glaube ich, überall so.

MusikBlog: Du gehörst aber nicht dazu?

Jeanne Added: Nein. Ich bin mit englischsprachiger Musik aufgewachsen. Alles was mich seit meiner Kindheit musikalisches inspiriert hat, war englischsprachig. Für mich war immer klar, dass ich in Englisch singen werde. Ich finde auch, dass die englische Sprache viel mehr Freiräume zulässt. Die Muttersprache ist immer sehr direkt. Jedes Wort landet auf der Goldwaage. Es gibt kaum Interpretationsspielraum. Eine fremde Sprache lockert das alles ein wenig auf. Außerdem präsentieren sich Text und Musik auf einer Ebene. Das war mir schon immer sehr wichtig. Wenn jemand mit den Texten nichts anfangen kann, dann hat er aber noch die Musik. Und umgekehrt. Das würde mit französischen Texten nur schwer funktionieren.

MusikBlog: Du warst in der Vergangenheit schon des Öfteren mit Nebenprojekten unterwegs. Demnächst steht nun deine erste große Tour unter eigenem Namen an. Aufgeregt?

Jeanne Added: Und wie! Ich bin erstmals der Mittelpunkt des Ganzen. Das ist schon ein großer Unterschied zu früher. Ich hoffe auch, dass alles klappt und wir schnell mit der neuen Situation klarkommen.

MusikBlog: Deine Stimme, ein Bass, ein Keyboard und ein Drumset: Das Bühnen-Setup verspricht eine organische Umsetzung deines Albums.

Jeanne Added: Ja. Mir ist es wichtig, dass wir auf der Bühne ein Live-Feeling entwickeln. Ich will aber auch nicht, dass es zu sehr in eine andere Richtung driftet. Es geht auch hier um die richtige Balance. Für das Album haben wir viel mit dem Computer gearbeitet. Live soll eine neue Dynamik dazukommen. Das alles muss sich aber erst einmal einspielen. Ich bin jedenfalls sehr gespannt, und freue mich drauf.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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