„Ein Abend mit Amanda Palmer und Edward Ka-Spel“ in der Hamburger Fabrik, Dresden Dolls trifft auf The Legendary Pink Dots. Wunderschöne Location, purer Industrial, aber aus Holzbalken. Das Glasdach nicht abgedunkelt, nahezu taghell.
Idealer Ort, um die neue Platte „I Can Spin A Rainbow“ mit allen Widersprüchen live umzusetzen. Die Bühne dekoriert mit Blumen, ironisch anmutend in Gerüstschellen geklemmt und mit Gaffa-Tape an die Mikroständer geklebt. Dank der Temperatur mit hängenden Köpfen erinnern sie an alternde Grabbeigaben, passend zu Current 93 als Pausenmusik.
Amanda und Edward sind beide barfuß, Edward auch nach vielen Jahren gewohnt mit Sonnenbrille und im umhangähnlichen Kittel. Amanda im esoterisch anmutenden Kleid, die Haare kompliziert mit Krönchen hochgesteckt. Ein optisch ungleiches Paar.
Die „überdramatisierten Streicher“ der Platte manifestieren sich in einer Person. Patrick Q Wright, ehemals Geiger von The Legendary Pink Dots. Beim Opener aus Patrick’s Feder dominiert Edwards Stimme, Amanda bleibt musikalisch im Hintergrund.
Es geht fließend über in „Pulp Fiction“, dem ersten Track der Scheibe und alles ändert sich. Das Konzept der Platte konsequent umgesetzt, singt Amanda irgendwie wie Edward. Ihr Gesang und die immense Präsenz am Bühnenrand nimmt den Raum komplett ein. Ka-Spel’s Mikroexperimente mit Glöckchen im Hintergrund sind der organische Gegenpool zur Elektronik.
„Das wird wohl die hellste Rockshow, auf der Ihr jemals wart“, damit setzt Amanda den ersten Running Gag des Abends. Sie erzählt gerne, ganze Geschichten, keine Ansagen. „Shala’s Missing Page“ z.B. erzählt von einem afghanischen Mädchen, das immer eine Giftkapsel mit sich trägt.
Der Abend wird explizit politisch, Trump ist Thema. Theresa May darf nicht fehlen, ist Edward doch Engländer. Immerhin, Patrick ist optimistisch – in Italien sind sie Berlusconi ja auch losgeworden. Auch dieses Thema wird uns den Abend nicht mehr verlassen.
Der von Amanda gesungene Pink Dots Klassiker „The Schock Of Contact“ kommt akustisch subtiler als die Aufnahme, dafür vielfach intensiver. Tiefgehende eindringliche Stimme, in-den-bann-ziehende Mimik mit echten (!) Augenbrauen, ausgefeilte extrovertierte Gestik. Ganz am Bühnenrand stehend verschwimmt die Grenze zwischen Konzert und Theater in ihrer Person.
Zur Abwechslung gibt’s Dresden Dolls. Der Applaus explodiert förmlich, da kommen also die meisten Gäste her. Aller Politik und tiefen Emotionen zum Trotz fröhliche Wohnzimmer-Atmosphäre auf der Bühne.
Man kann auch mal ’ne Flasche Wein holen und allen einschenken. Das ist keine Unterbrechung, das macht Sinn. Zusammen wird zum Miteinander. Kleine Problemchen wie ein verlegter Geigenbogen oder lose Fäden an diesem werden humoristischer Teil der gemeinsamen Performance.
Sprachsequenzen werden immer länger und ausführlicher. Mal kabarettistisch humorvoll von Edward, dann fast einer Gruselgeschichte ähnelnd von Amanda. Durchwegs im Dialog mit dem Publikum. Aber immer dominiert die Musik, und zunehmen die Freude der Drei am Spielen.
Etwas ruhigere Gangart zum Runterkommen, aber dann „Machete“. Jetzt geht es zur Sache. Man würde nicht denken, dass Amanda damit den Tod ihres besten Freundes vor einem Jahr verarbeitet. Ihre Stimme wird zum treibenden Instrument, selber unerbittlich getrieben durch die Geige. Edward springt hinter seinem Keyboard wie ein Derwisch auf einer Techno Party.
Die Zugabe eröffnet ein weiterer Track von Patrick. Zur Abwechslung Amanda an der Geige, Patrick an ihrem Keyboard. Der fliegende Wechsel zurück in die Originalbesetzung hilft, vor allem der Geige.
Eine abstrakte Jamversion des Dresden Dolls Klassikers „Half Jack“ beschließt den Abend. Stimmen und Geige schaukeln sich gegenseitig in ein nimmer enden wollendes Stakkato. Alle gehen ekstatisch in der Musik auf. An Edwards Frisur kann nichts kaputt gehen, Patricks Zylinder hält aus magischen Gründen auf dem Kopf, nur Amandas Krönchen erliegt den Fliehkräften.
Furioses Finale. Strahlen, Verabschiedung, Hinweis auf die finanziellen Bedürfnisse von Künstlern, Ende.
Tiefgründiges alternatives Konzert, politisches Kabarett mit Musik, musikalische Gesellschaftskritik, Musikzirkus? Auf alle Fälle drei höchst spannende, sich in ihrer Widersprüchlichkeit perfekt ergänzende Charaktere und intensiver düsterschöner Sound.