Es ist vielleicht das außergewöhnlichste Album der ersten Jahreshälfte. Wie kein anderer kombiniert Richard Dawson auf seinem sechsten Studioalbum mittelalterliche Laute-Klänge mit moderner elektronischer Verzerrung und zeitgenössischer Schrägheit. Pünktlich zu Pfingsten könnte man sagen, fährt der Engländer aus Newcastle mit barocken und archaischen Klängen auf.

Es ist anstrengende Musik. Es ist ein anstrengendes Album. Es klingt wie eine Parodie auf den English-Folk, schweift auch mal ab in Richtung Psychedelic-Folk, um dann wieder ganz sanften Klängen einer Laute Platz zu machen. Dawson Stimme schreit häufig. Schmerzt gar in den Ohren. Und manchmal fragt man sich: wieso? Wieso schreit er? Zumal er auch anders kann.

“Peasant” ist ein Konzeptalbum. Der Troubadour besingt mal das einfache Volk (“Soldier” oder “Prostitute”) mal Archetypen (“Herald” oder “Ogre”) aus der dunklen anglo-saxischen Zeit des Königreiches Bryneich im 6./7. Jahrhundert. Bryneich war der walisische Name dieses Königreiches im Norden Englands. Das alte Königreich war da, wo heute Newcastle ist.

Diese mittelalterliche Welt zieht Dawson auch weiter in die bislang veröffentlichten Videoclips. Allen voran der zum Song “Ogre”, der als Nummer zwei auf dem Album zu finden ist und nach dem sphärischen Trompeten-Intro “Herald” mit den ersten Worten der Platte beginnt “In the kingdom of Bryneich…”. Das Mise-en Place wäre also angerichtet.

Landwirtschaftliche Szenen, Menschen in mittelalterlichen Kostümen, am Wasser, im Feld und Dawson selber irgendwo mittendrin. Gitarre und Fiedel, klingt nach einem Volkslied, der Chor singt. Dann beginnt die Strophe und Richard Dawson singt falsch und schräg, schreiend, gepresst.

Irgendwann wird auch die Szenerie des Clips skurriler und psychedelischer, bis sich das Bauernvolk zusammen findet und sich schminkend auf einen heidnischen Brauch vorbereitet. Eine Opfergabe vielleicht? Zumindest wird schließlich Dawson gefesselt zum Feuerhaufen gebracht.

In der nächsten Nummer “Soldier” hört man zum ersten Mal Dawsons nackte Stimme, begleitet von seiner Gitarre, die nicht nur kaputt klingt, sondern es auch ist. Und gerade deshalb des Musikers Liebling wurde, weil sie nun einen so speziellen Klang habe, wie er sagt. Man könnte dem aber auch “Scheppern” sagen.

Auch in Nummer vier “Weaver” scheppert es die ersten 18 Sekunden gründlich vor sich hin, dann setzt eine sehr rhythmische Akkordfolge ein und Richard Dawson singt. Sanft. Leise. Nicht schreiend oder gepresst. “Weaver” ist das erste harmonische Stück auf der Scheibe. Und Achtung, der Refrain wird zum Ohrwurm, wer hätte das nach diesem Einstieg gedacht!

Dass Dawson seine Stimme eben sehr genau kontrollieren kann, wird im nächsten Song “Prostitute” hörbar. Er benutzt sie wie ein weiteres Instrument, mit zielgenauen atonalen Einschüben. In dieser Nummer verdichtet er so alles was ihn eben ausmacht: kaputte Gitarre, atonale Klänge, elektronische Verzerrtheit, leicht brüchige Stimme, endend in einem barocken Rezitativ, eingebettet in seiner mittelalterlichen Welt.

Einfältige Halbtonverschiebungen wie es im Pop gang und gäbe ist, sucht man bei Richard Dawson vergeblich. Doch ab und an gibt es leichte harmonische Klänge und in “Shapeshifter” dringt er vor in die Welt des Jazz und klingt manchmal gar ein wenig nach Django Reinhardt.

Einen letzten Song gilt es noch speziell hervorzuheben: Nummer 9, “Beggar”. Hier zeigt der britische Barde über sieben Minuten das volle Spektrum seiner Stimme. Über mehrere Oktaven runter und hoch, wirklich hoch. Kräftig, leise und zerbrechlich, sanft, Wirklich sanft. Und wieder, wie zu Beginn des Albums, fragt man sich, warum er sonst so oft schreit? Dass es schmerzt?

Gut. Immerhin endet das Album versöhnlich, nachdem die letzte Nummer “Masseuse” nochmals über 10 Minuten psychedelisch und krachend war. Aber das nächste Mal, lieber Richard Dawson, darfst du ruhig ein bisschen mehr singen und dafür weniger schreien.

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