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stargaze – One

Ein klassisches Album aus der Cloud. Stargaze betreten produktionstechnisches Neuland, auf musikalischer Seite gar ein Paralleluniversum, in dem Köpfe in Wolken stecken und dann Wolken in Köpfen entstehen.

Klingt komisch? Ist auch so. Denn für den reinen Popzirkel bietet „One“ ein erfrischend anderes Hörerlebnis. Aber immer schön der Reihe nach.

Für Rock- und Popproduktionen sind remote produzierte Alben nicht erst seit der Pandemie gang und gäbe. Files von A nach B zu schicken, um sie in Variation C zurückzuerhalten – die kompakten, digitalen Produktionstechnologien machen‘s möglich.

Eine entfernt aufgenommene Orchestersuite, die klassische und aktuelle Produktionsmethoden verbindet, ist aber nach wie vor exotischer Natur. Da sich die stargaze-Mitglieder über den ganzen Globus verstreuen, führte auf Grund der Reisebeschränkungen durch das Virus aber nichts an elektronischen Postfächern vorbei.

Das in Berlin und Amsterdam gegründete Musikerkollektiv unter der Leitung von Merle Scheske, Emanuel Florakis und dem Dirigenten André de Ridder war es bislang ausschließlich gewohnt, wie bei Klassikern üblich, zusammen in einem Aufnahmeraum zu arbeiten, obwohl es seit jeher die Grenzen zwischen klassischer und moderner Musik auslotet.

Und irgendwo in dieser Nische verbirgt sich auch das Geheimnis dieses Ensembles. Warum sonst liest sich die Liste ihrer Kooperationen wohl wie ein Who-Is-Who der Indie High Society: Von John Cale bis Nils Frahm, von Poliça, Julia Holter und den Villagers bis The National, Bon Iver und Anna Calvi – alle ließen sich von stargaze veredeln.

Mit „One“ folgt jetzt ein fünf Suiten langes Destillat ihres Könnens, rein instrumental und märchenhaft verschoben. Apropos Märchen: Sergej Porokfjew’s „Peter und der Wolf“ aus der Kinderstube in die Avantgarde gestoßen, gibt eine wage Vorstellung vom ersten Stück „Metaphor“. Arnold Schönberg und Gustav Maler grüßen hier mit Zwölftonmusik. Harmonisch ist alles erlaubt.

Kaskaden von Schlaginstrumenten errichten ein fulminantes Hörspiel. Bei „Vacancy“ gleichen die Motive flüchtigen Savannen-Hirschen. Ideal auch für Jagdszenen unter Echsen und Amphibien.

In „Recollection Pulse“ wiederum fehlt nur noch Damo Suzuki: So klingt Krautrock auf klassischen Instrumenten. Mag sein, dass das für geeichte Hörer*innen zu viel an Abstraktion abverlangt, oder einfach zu abstrakt bleibt. Die Cloud im Kopf kann undurchdringlich sein.

Wer sich indes auf „One“ einlässt, findet hier womöglich einen neuen Zugang zu der herrlich lautmalerischen und erzählerischen Kunst reiner Instrumentalmusik.

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