Alkoholismus, Schicksalsschläge, Gefängnis und innere Dämonen – alles an Margo Price schreit nach Country, außer die Musik selbst. Wider die Klischees befreit sich die amerikanische Singer/Songwriterin auf ihrem vierten Longplayer “Strays” endgültig vom traditionellen Klanggerüst aus Nashville.

Ihre ersten drei Alben konnten sich erfolgreich in den US- und UK-Country-Charts platzieren, hinzu kam eine Nominierung für den “Grammy Award for Best New Artist 2019” sowie ein Duett mit Loretta Lynn auf ihrem letzten Studioalbum, bevor diese im Oktober 2022 als eine der einflussreichsten US-amerikanischen Country-Sängerinnen verstarb.

Trotz ihrer kürzlich erschienenen Autobiographie “Maybe We’ll Make It” hat Margo Price auf “Strays” noch immer viel Neues zu erzählen. Der Opener “Been To The Mountain” klingt zunächst verdächtig nach The Doors, zeigt sich dann rockig und stellt im Text abgeklärt fest: “Well, I wish I was God, but I’m glad that I’m not, cause I think too much, got my head in a knot”

Die meisten Songs stammen aus der gemeinsamen Feder mit ihrem Ehemann Jeremy Ivey und holen sich musikalisch auch mal prominente Verstärkung. Das reißerische “Light Me Up” besticht durch eine abwechslungsreiche Dynamik und Mike Campbell (Tom Petty and the Heartbreakers, Fleetwood Mac) an der E-Gitarre.

Rastlos und schunkelnd sucht Margo Price in der Synth-Pop-Nummer “Radio” nach Ruhe und inneren Frieden. Doch stattdessen ortet sie sich gemeinsam mit Sharon Van Etten als Zentrum des Irrsinns: “I think the whole world’s going crazy and it makes us look insane”

Erst die sanften Klavierklänge im schwermütigen “County Road” drosseln das Tempo und läuten damit den ruhigeren Teil von “Strays” ein. Mit einem bitteren “You’re so lucky, you made it out and don’t even know” wird hier der Tod eines nahestehenden Menschen verarbeitet.

Im Kontrast zum opulenten Rest der Platte bildet die schmerzvolle Ballade “Lydia” ohne durchgehende Melodie, Refrain oder Reim eindeutig den Höhepunkt. Dezente Streicher und ihre einsame Akustikgitarre untermalen die Geschichte einer unentschlossenen Frau in einer Abtreibungsklinik. Der Song soll in lediglich acht Minuten in einem Hotelzimmer in Vancouver entstanden sein, sagt Margo.

Zunächst täuscht “Hell In The Heartland” harmloses Geplänkel vor, verdichtet sich aber zunehmend zu einem Reigen aus Farben und Hall. Mit steigendem Tempo manifestiert sich eine weitere Form des Verlusts: “You’re everything I want in someone I don’t want anymore”

Zwischen Psychedelic-Rock, Pop und Blues offenbart sich Margo Price ehrlich, verletzlich und zugleich unverwüstlich. Mit empathischem Songwriting bringt sie vielschichtige Narrative hervor, ohne sich in Gefühlsduseligkeiten zu verlieren.

Als unkonventionelles Country-Album zelebriert “Strays” genüsslich seine radiotauglichen Ohrwurm-Ambitionen und streunt gezielt durch neue Gefilde jenseits von Tennessee.

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