Lisa O’Neill, mittlerweile seit 15 Jahren im Folk-Business unterwegs, nahm zuletzt für ihr vorheriges Album einen Preis vom BBC entgegen und ist seither nicht nur im Heimatland Irland, sondern über die Ländergrenzen bekannt. Jetzt, mit ihrem vierten Album „All Of This Is Chance“, versucht sie, sich mit emotionalen, träumerischen Arrangements dem Lebensschmerz zu stellen.

„All of this is chance as any chance is chance.“ – Ziemlich viele Chancen in so einem Satz. O’Neill manifestiert sich den Albumtitel mit einer dynamischen Symphonie gleich zu Beginn der Platte. Wellenartig bäumt und flacht das begleitende Orchester ab, die Stimme kratzt der Künstlerin beim Sprechgesang im Rachen, es entsteht eine virtuose Disharmonie mit den sorgfältig erzählten Erfahrungen.

Die Übergänge zwischen sowie auch in den Songs selbst sind im ganzen Album ähnlich gemächlich ausgestaltet: Fast unsicher schleicht sich Lisa O’Neill zunächst langsam an die Thematik an. Als würde sie nicht schon längst wissen, was zu tun, was zu singen ist.

Auch ähnlich bleibt die Instrumenten-Palette in der nächsten dreiviertel Stunde: Gitarre, Klavier, Streicher. Doch dessen Einsätze ändern sich, wie daraufhin „Silver Seed“ zeigt: Die Streicher verabschieden sich in eine passivere Rolle, mit irischem abgeplattetem Dialekt taucht O’Neill nun so richtig in ihren erzählenden Singsang ein. Anhand naturnaher Metaphern versucht die Folk-Sängerin, den Umgang mit Tod und Trauer zu finden.

Oppositionell zum Beginn von „All Of This Is Chance“ wird es zum Ende des Albums immer ruhiger: „Old Note“ und „Birdy From Another Realm“ lassen sich wie vertonte, ausschweifende Tagebuch-Einträge anhören, vor allem, wenn weitere Elemente wie Memos oder Gepfeife eingespielt werden. Die Instrumente sind der Soundtrack – der Film, der sich vor dem inneren Auge beim Hören auftut, ist der Text, den Lisa O’Neill vor sich hin spricht.

Auch „The Globe“ schließt daran an. Eine rhythmisch eindringliche, doch simple Melodie wird erstmals durch Chorgesänge ergänzt, die der Erzählung eine gewisse ausdehnende Räumlichkeit geben. Hier wird nun der andauernde Unterton des Weltschmerzes aufgegriffen: Man findet keinen Zutritt zur Welt, zur Natur. Für sich allein kann sich die Sängerin öffnen und untergräbt jegliche Anonymität im Hinblick auf den Zuhörer.

Zuletzt schafft „Whisht, The Wild Workings Of The Mind“, eines der letzten Stücke, nun zum ersten Mal ausgiebig Platz für die klangliche Kulisse: Die filigranen Streicher lösen eine seelische Gemächlichkeit aus, die der Hörer genießt, bevor O’Neill abschließend mit „Goodnight World“ Abschied von der Welt nimmt, zu der sie sich immer noch unverbunden fühlt.

Naturbilder machen es ein letztes Mal deutlich. Mit dem leisen Song, der nur von der Gitarre begleitet wird, richtet Lisa O’Neill ihren Blick auf die Landschaft, versucht diese Welt in ihrer Schönheit zu erkennen. Am Ende von „All Of This Is Chance“ verabschiedet sie sich mit einem kindlichen Pfeifen, das zum Träumen einlädt. Und jeder Traum – ist eine neue Chance auf Hoffnung.

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