Die Supergroup ist in neuer Besetzung zurück: In “The Good Life“ fragt sich das österreichische Trio My Ugly Clementine, was ein gutes Leben ausmacht und lässt 12 mitreißenden Songs auf die Welt los, die die Hörer*innen einer gehörigen Psychohygiene unterzieht.

Es ist eine beispiellose Erfolgsgeschichte, die My Ugly Clementine von anderen Indie-Rock-Gruppen abhebt: 2019 spielte die Band in voller Montur ihr erstes Konzert in Wien – und es war binnen eines Tages restlos ausverkauft. Der Clou daran: Zu dem Zeitpunkt existierte von ihnen noch kein einziger Tonträger. Erst später im Jahr zogen die vier mit ihrem Debütsong „Never Be Yours“ alle Blicke der deutschsprachigen Indie-Szene auf sich. 

My Ugly Clementine wurde 2019 von Sophie Lindinger in Wien gegründet, die erst Anfang dieses Jahres ihr Solo-Debüt mit einem selbstbetitelten Album hingelegt hat. Damals noch in vierköpfiger Besetzung, von der heute neben Frontfrau Sophie nur noch Nastasja Ronck übrig geblieben sind, die seit Kurzem um Mira Lu Kovacs verstärkt werden.

Mit “Vitamin C“ folgte dann 2020 ihr Debütalbum, auf dem sich eine ungeheure emanzipatorische Energie ballte – und das sogleich den ersten Award absahnte, den “European Independent Album of the Year“. Sicher eine enorme Ermutigung, wenn man beachtet, das zuvor ihre internationalen Kolleg*innen Adele und The xx mit dem Preis nach Hause gingen. 

Der tosende Applaus, den My Ugly Clementine für ihr Debüt einheimsen konnten, hat seitdem auch nicht an Lautstärke verloren. Mit dem Sound, der von allen Alternative-Bewegungen der letzten Jahrzehnte etwas mitnimmt, Lindinger’s Stimme, die sich in unverwechselbarer Intensität in Rage singt und der selbstironischen Attitüde der Gruppe treffen die drei auch in “The Good Life“ den Nerv der Zeit.

Man könnte jedoch anfangs zweifeln, ob das Erfolgsrezept weiterhin Bestand hat, denn schließlich ist sich My Ugly Clementine treu geblieben: Ihr Stil ist geprägt von starken Melodien, harmonischem Gesang und eingängigen Arrangements. Der eingängige Klang, der sich daraus ergibt, wird in “The Good Life“ mit Gesellschaftskritik kombiniert.

So checken die drei im ersten Song “Are You In?“ mit einer direkten Frage an die Hörer*innen erstmal ab, ob die sich auf die bevorstehende Therapie einlassen können. Weiter geht es ins Eingemachte: “The Advisor“ thematisiert die Frustration des Phänomens people pleasing, bei dem es um den inneren Zwang geht, jedem möglichst alles Recht zu machen – und im Umkehrschluss nicht für sich selbst einzustehen.

Nach dieser Selbstermächtigung geht es weiter zu “WWW“, der den Optimierungszwang und das Suchtpotential des Internets reflektiert. Die Antwort auf diese Ambivalenz von My Ugly Clementine: ein grummelnder Beat und schiefe Melodien, die von verzerrten Gitarren ermächtigt werden.

“The Good Life“ sucht nicht nach Antworten – es ist ein safe space für alle, die über die Unzulänglichkeiten des Lebens mit diskutieren wollen. Lindinger, Ronck und Kovacs haben mit ihrem neuen Album erneut einer wankelmütigen Identität den Kampf angesagt und liefern eine unterhaltsame aber einfühlsame Charakterstudie für so ziemlich alle Menschen, die im 21. Jahrhundert leben.

Nastasja Ronck fasst passend zur Platte schlussendlich zusammen: “Es ist ein gutes Leben, wenn es okay ist. Wenn man hinter sich gelassen hat, dass alles optimiert werden muss und dass man das beste Leben führen muss.“

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