„Ich ziehe meinen Bademantel genau einmal im Jahr an. In der Philharmonie. Eigentlich habe ich den nur dafür gekauft“, erzählt ein Besucher in der Schlange seiner Begleitung. Man merkt schnell: Besonders in Köln hat Chilly Gonzales eine ausgewachsene Fanbase. Schließlich wohnt der Kanadier seit mittlerweile 12 Jahren in der Domstadt, die er im Laufe des Abends immer wieder als seine „Wahlheimat“ bezeichnet. Für viele sind seine jährlichen Konzerte um den Jahreswechsel in besagter Philharmonie zur Tradition geworden.
Aber heute spielt Gonzales nicht im „Elfenbeinturm der Klassik“ auf, wie er selbst später die großen Konzerthallen Europas betitelt, sondern ein paar Meter nebendran. Eine eindrucksvollere Location kann man sich in Köln nicht vorstellen. Die Bühne auf dem Roncalliplatz steht direkt neben dem Dom, der die Show in eine eindrucksvolle Kulisse einbettet.
Zu diesem Hintergrundbild passt der Einstieg des Konzerts wunderbar. Mit „Lac Du Cerf“ eröffnen Gonzales und seine vier Mitmusiker*innen den Abend mit einer ruhigen Instrumentalnummer als sanfte Einstimmung.
Aber natürlich wissen alle, dass das nicht alles sein wird. Chilly Gonzales ist der Meister des Genresprengens und niemand schafft es auf derart mühelose Weise, klassische Musik, rotzigen Sprechgesang und Eskalation unter einen Hut zu bringen.
Genau das passiert auch im Laufe der Show. Immer wieder wechseln sich Instrumentalstücke wie „Advantage Points“ (ein Hoch auf die passionierten Streicher, die für den entsprechenden Wumms sorgen) mit Songs ab, zu denen Gonzales zum Mikro greift. Und das für die ein oder andere ausufernde Ansage auf charmantestem Denglisch auch schon davor.
Auch die neuen Singles gibt er mit seiner Band zum Besten, obwohl er vorher vom Publikum etwas Nachsicht für seine noch „ofenfrischen“ Stücke fordert. „Ich liebe Köln, aber es gibt eine Sache, die ich nicht mag. Es gibt eine Richard-Wagner-Straße“, beginnt er und liefert für Unwissende anschließend einen kurzen Exkurs über die antisemitische Haltung des berühmten Komponisten. Aber bringt eben auch auf den Punkt, dass die Welt, wie heute viel zu oft suggeriert, nicht nur Schwarz oder Weiß ist.
„Man kann nicht einfach einen Schalter umlegen und die perfekte Meinung und Geschmack haben. Wir können Wagners Opern immer noch lieben. Aber vielleicht entfernen wir endlich seinen Namen von dieser Straße.“. Einen Alternativvorschlag hat er auch im Gepäck: Tina-Turner-Straße. Und, kein Witz, nach einer offiziellen Anfrage beim Bürgeramt hat er eine Petition gestartet, um diesen Wunsch umzusetzen und fordert die Zuschauer*innen zum Unterschreiben auf.
Für eine Coverversion von Tina Turners „Private Dancer“ betritt Special-Guest Peaches, ebenfalls stilecht in einem feuerroten Bademantel, die Bühne und schwingt sich bei der Wiederholung des Refrains mit derartiger Power an die Ränder ihrer Stimmbänder, dass ihr ganzer Körper zittert.
„Mein erstes Konzert in Köln habe ich im Studio 672 vor 14 Leuten gespielt. Und heute, im Schatten des Doms, fühle ich mich wie am Broadway“, kündigt Chilly den letzten Song des regulären Sets an.
Zeit für eine Zugabe bleibt aber noch und so huldigt er mit einer eigenwilligen Coverversion von „Summer Of ’69“ von Bryan Adams, bei der der Gesang vom Band kommt und die Bandmitglieder mal Richtung Jazz, mal Richtung Rock abbiegen, einem großen, kanadischen Musiker. So viele gäbe es in Kanada nicht, die meisten guten, kanadischen Musiker stünden heute Abend hier auf der Bühne, bemerkt Gonzales.
Aber natürlich wäre es kein richtiges Chilly-Gonzales-Konzert, wenn er sich nicht noch selbst in die Menge schmeißen würde. Bei „Surfing The Crowd“ ist der Name Programm. Mit seinem Mikro läuft Gonzales sprechsingend durch die Menge, gesellt sich auch mal zu den Menschen auf der Tribüne mit Sitzplätzen und lässt sich zum fulminanten Finale auf Händen durch die die Zuschauerschar tragen.
Eigentlich kann danach nichts mehr kommen und der Meinung sind auch einige Zuschauer*innen, die sich anschließend Richtung Ausgang bewegen. Aber die Lichter auf der Bühne bleiben noch an, genau wie das Klatschkonzert weiter geht. Und so werden die Ausdauernden belohnt, denn für einen letzten Song kommen Gonzales und seine Band nochmal zurück, bevor um kurz nach 22:00 Uhr dann endgültig die Lichter ausgehen.