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Marius Müller-Westernhagen – Live auf der Loreley Freilichtbühne

Anachronismus wäre vielleicht etwas zu hoch gegriffen, und doch geht der Auftritt von Deutschlands dienstältestem Rock’n’Roller eben darin auf, nie jedoch darin unter. Mit den 75 Jahren, die Marius Müller Westernhagen auf die Bühne bringt, lässt sich das ein Stück weit kaum vermeiden.

Westernhagen, der Rock-Poet, der durch die Nachkriegsjahre streifte, das Lebensgefühl einer Generation in Worte fasste, die sich nach Freiheit sehnte, er hat von Beginn an nie ein Blatt vor den Mund genommen. Vor allem nicht in seinen Songtexten.

Im Zweifel textete er lieber einmal zu explizit, als auch nur einmal blumig zu wirken. Auch wenn das bedeutete, schonungsloser, schmutziger und derber als die Grönemeyers unter seinen Kollegen zu sein.

Gerade weil er des Öfteren auf die Pietät gepfiffen hat, wurde er von seinen Fans als intensiveres Pfefferminzbonbon deutschsprachiger Rockmusik geschätzt.

Sicher ist aber auch, dass so manches heute – gelinde ausgedrückt – problematisch wäre. Ob Bodyshaming in „Dicke“, das deshalb erst gar nicht auf der Setlist steht, oder das N-Wort, das er in „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ live kurzerhand ersetzt, weil sich darin wohl nicht nur seine von Diversität geprägte, hervorragende amerikanische Band getroffen sähe.

Es gäbe etliche Stolpersteine, über die er fallen könnte. Doch vor der imposanten Kulisse einer restlos ausverkauften Freilichtbühne Loreley räumt er alle beiseite.

Im weißen Anzug gibt er von Beginn an den Elder Statesman des Rock’n’Roll, der um seine Stellung weiß und sich als „Alphatier“ in Position bringt, nachdem er sich passenderweise zum Einlaufen für „I’m Waiting For The Man“ von The Velvet Underground entschieden hat. Er wirkt fidel und überspielt rein äußerlich mühelos das Alter. Seinen Stimmbändern gelingt das nicht immer.

Es dauert zwei Songs, bis mit „Fertig“ ein erster Klassiker seines Oeuvres kommt, gefolgt vom heimlichen Publikumsliebling „Taximann“. Da ist jenseits des Rheins gerade erst die Sonne verschwunden, so dass das einzigartige Amphitheater nun gänzlich dem stimmungsvollen Licht der Bühnenstrahler gehört.

Darin fühlen sich auch Scharen von Fliegen wohl: „Das ist proteinhaltige Nahrung heute Abend. Ich hab‘ mindestens 30 Mücken gefressen“, kommentiert Westernhagen ironischerweise die Plage auf dem ganzen Gelände nach „Luft zum Atmen“, das er zusammen mit seiner Frau Lindiwe Suttel singt.

Sie kommt nach einer Stunde Spielzeit erneut auf die Bühne, um an der Seite ihres Mannes zum Ende des offiziellen Sets „Wieder Hier“ zu performen. Westernhagen zeigt sich dabei emotional berührt von der Kulisse und der Menschmenge und bedankt sich wiederholt dafür, dass so viele gekommen sind. Er und seine zehnköpfige Band zahlen es mit nicht weniger als sieben Zugaben zurück.

Darunter auch ein Block für drei Akustik-Gitarren, dem in puristischer Weise „Weil ich dich liebe“ und die Alkoholiker-Hymne „Johnny Walker“ gehören, das der aufpolierten Loreley-Kulisse charmant den Glanz aus den Lichtern nimmt.

Eines der Highlights dieses so umfangreichen wie logischen Zugabenblocks (nachdem sich die Band viel zu früh erstmalig von der Bühne machte), heißt „Schweigen ist feige“. In den Visuals auf der großen LED-Wand im Rücken der Band werden Regenbogen-Flaggen plakativ ins Bewusstsein der Ü-60 Generation geschwenkt. Hier wehrt sich der Protagonist am entschiedensten und erfolgreichsten gegen den Anachronismus.

Im Grunde ist das Stück ein weiterer Beweis dafür, dass seine Songs immer auch ein Spiegel ihrer Zeit waren, mit Westernhagen als Chronisten. Doch die zeitlosesten darunter haben heute eine andere, beinahe größere Bedeutung als zu ihrer Entstehungsphase.

Einer davon kommt ganz zuletzt, den der Urheber in seiner längsten Anmoderation mit der aktuellen politischen Brisanz in Verbindung bringt, die an diesem Wochenende mit den Wahlen im Osten des Landes bevorsteht. Es beginnt mit den Worten: „Die Verträge sind gemacht, und es wurde viel gelacht.“

Danke Marius, für deine Monument gewordenen Version von Freiheit.

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