Im Herzen des Leipziger Conne Island entlud sich am gestrigen Samstagabend ein musikalisches Erdbeben, das selbst die hartgesottensten Kulturkonsument*innen aus den Socken haute. Die Goldenen Zitronen, die unverwüstliche Truppe der deutschen Punk-Avantgarde, bewies zu ihrem 40-jährigen Bandjubiläum einmal mehr, dass Zeitgeist keine Frage des Alters, sondern der Haltung ist.

Kurz nach 21:00 Uhr eroberten Die Goldies die Bühne und begannen eine zweieinhalbstündige Zeitreise durch vier Jahrzehnte musikalischer Rebellion, gespickt mit Kostümen, die zwischen Kunstperformance und Straßentheater changierten. Schorsch Kamerun trug ein orangefarbenes Kreppkostüm, Ted Gaier einen Gürtel mit Pillen-Blistern, als wäre er der Hausarzt der Punk-Revolution persönlich.

Die Band bewies ihre unnachahmliche Dynamik durch ständige Instrumentenwechsel – ein choreografischer Tanz zwischen Sound und Subversion. Wie Partisanen der Klangrevolution inszenierten sie jeden Titel als politische Aussage. Unterstützt wurden Die Goldenen Zitronen von Gästen wie Rebecca Walsh aka Nixe, die mit ihrer Präsenz zusätzliche klangliche Nuancen einwebte.

Die Setlist war eine archäologische Ausgrabung der Bandgeschichte: Von frühen Werken bis zu aktuellen Statements durchquerten die Goldies ihre eigene musikalische Landkarte.

Der Song „Alles Was Ich Will (Nur Die Regierung Stürzen)“ entpuppte sich als satirischer Seitenhieb auf politische Strukturen, während „Wir Verlassen Die Erde“ kollektiv mit dem Publikum zum existenziellen Kampfgesang wurde.

Besondere Momente waren der melancholisch-zarte Auftritt von Hans Unstern aka Camille O an der Harfe bei „Porsche, Genscher, Hallo HSV“, die hymnische Performance mit DAF-Einschlag von „Wenn Ich Ein Turnschuh Wär“ (ohne dass im Publikum viele Turnschuhe gefunden worden wären) und der nostalgische Rückblick auf die Leipziger Punk-Geschichte von Schorsch, der einen Augenzeugenbericht aus dem Jahr 1989 zum Besten gab, als Die Goldenen Zitronen zum ersten Mal in Leipzig im Mockauer Keller auftraten.

Shannon Soundquist „aus einem Dorf hier irgendwo“ dekonstruierte in ihrer Performance zum Song „Am Tag Als Thomas Anders Starb“ gekonnt Geschlechterrollen und musikalische Traditionen. Ein Song wie ein soziologisches Seminar, nur eben mit mehr Gitarre und Wut.

Eine Episode, die geradezu emblematisch für die unbeugsame Punk-Attitüde der Goldenen Zitronen ist, war ihre Konfrontation mit dem amerikanischen Publikum während ihrer Support-Show für Wesley Willis. Die „Fuck Wall“ – ein brutales Phänomen, bei dem das Publikum demonstrativ mit dem Rücken zur Bühne stand – wurde zur performativen Metapher der Verweigerung. Während andere Bands vielleicht kapituliert hätten, machten Die Goldenen Zitronen aus der Ablehnung eine Kunstform: Soundwände gegen die Gleichgültigkeit, Punk als existenzielle Widerstandshaltung.

Der Abend kulminierte in einer Coverversion von „Am Tag Als Conny Kramer Starb“ – ein Rausschmeißer, der das Publikum zwischen Melancholie und Euphorie zurückließ.

Die Goldenen Zitronen haben erneut bewiesen: Sie sind kein Museum der Punk-Geschichte, sondern lebendige Kommentatoren unserer Zeit. Und ihre Musik sprach Bände von Widerstand, Kunst und unbändigem Lebenswillen.

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