Als Madonna in den 90ern mit Produzenten wie David Morales oder William Orbit arbeitete, entstand ein ähnlicher Zuschnitt von Elektro-Pop mit Ecken und Kanten, House- und Drum-and-Bass-Abschnitten wie jetzt bei FKA twigs. „EUSEXUA“ ist – zählt man das Mixtape „Caprisongs“ mit – das vierte Album der 37-jährigen Südwest-Engländerin jamaikanisch-spanischer Eltern.

Zwischenzeitlich war die Texterin, Tänzerin, Ko-Komponistin und Ko-Produzentin auf der Leinwand in „The Crow“ zu sehen.

Mit Fantasy hat das Genre ihres Albums nun nicht zu tun, erheblich mehr dagegen mit der Freude am eigenen Körper, mit Bewegung und Sexualität, teils mit Spaß, teils mit Ängsten.

Bezüglich des Kunstworts im Albumtitel, einer Neuschöpfung, erklärt FKA twigs gegenüber The Standard, „EUSEXUA“ sei „dieser Moment vor einem Orgasmus“, „pure nothingness but also pure focus“.

Musikalisch liefert es ein klares Gegenangebot zum funktionalen Dancefloor-Sound einer Ava Max, zur Glätte und zur überfrachtenden Üppigkeit einer Bat For Lashes oder den 80er-Synthie-Bezügen einer Mira Lu Kovacs. „EUSEXUA“ ist gute Club-Musik mit Art-Pop-Anspruch und vielen überraschenden Momenten.

Sie entstehen im Wesentlichen durch drei Tricks, die sich in den meisten Tracks wiederholen, gleichwohl nicht abnutzen:

1. Da wäre einmal das Spiel mit vocoder-artigen Verfremdungen der Tonspuren der Stimme, das etliche Songs lebendig und abwechslungsreich gestaltet.

2. Zudem fasziniert die Sängerin mit einer Achterbahnfahrt durch unterschiedliche Tonhöhen und Stimmfarben. So variiert sie von Falsett-Piepsen und schrill-hohem Plärren über glasklaren Gesang in mittleren Lagen bis zu dröhnendem Kläffen im Stil einer Aerobic-Trainerin, die ihr Kommando heraus posaunt.

Ein 3. Pluspunkt: Es gibt zwar selten Leute, die Auto-Tune noch kreativ einsetzen. Aber bei FKA twigs dient dieses Stilmittel der rhythmischen Orchestrierung.

Die Stimme wandelt sich in ein weiteres Schlag-Instrument, durch Zerteilen der Stücke in Takte, deren Betonungszeichen kein Schlagzeug, keine Drum-Machine, sondern ein entsprechend zurecht gehacktes Hüpfen in ihrem Gesang setzt.

Wirkungsstark zeigt sich dann auch die Dichte, in der mehrere Gesangs-Schichten übereinander laufen und einen Effekt erzeugen, als würde man gregorianischen Chören von himmlischer Klarheit lauschen.

Passend dazu gibt es sogar eine (pseudo-)religiöse Textstelle in „Childlike Things“. Gast-Rapperin North West verbindet eine Strophe auf Japanisch mit einem ironischen Lob auf Jesus. North West ist 11 Jahre jung, Tochter von Kim Kardashian und Kanye West.

„Childlike Things“ dürfte sich als Tanzflächen-Magnet des Albums heraus kristallisieren. Es ist zwar auch insgesamt eine zeitgemäße Platte für die Clubs, aber in diesem Song ballt sich besonders viel Energie.

Während für den Chorus ein super eingängiges „dam-dam-dam“ als Text genügt, lobt sich FKA twigs in der ersten Strophe mit kreativen Non-Sense-Metaphern, die für gute Laune sorgen: „I’ve got super sonic powers that are polyphonic / like a chocolate teapot / Melt ‚em down and burn it up“.

Zwischen der dekonstruierenden Industrial-Dubstep-Klangkunst am Ende von „Sticky“, dem New Age-Pop von „Keep It, Hold It“ und dem kühlen Klirren von „Striptease“ bleibt gelegentlich Platz für Tischtennis-Elektro der Marke Fujiya & Miyagi.

Vorfreudige Erwartung paart sich in „Girl Feels Good“ mit der schönen Zeile „Beautiful boys, I wish you knew how precious you are“, die sich wertschätzend gegen sexistischen Zeitgeist stellt.

Besonders schön ragt auch „Room Of Fools“ heraus. Hier offenbart sich ein weiterer Clou der Platte: Weiche Beats und immer wieder aufscheinende Drum-and-Bass-Einflüsse, die miteinander zu verschmelzen.

An den meisten Beats werkelte Koreless mit, den man vor Jahren als Support-Act und auch als Remixer für Caribou kennen lernen konnte. Ihm, FKA twigs und vereinzelten Gast-Co-Produzenten glückt es stellenweise, dass man sich in der hervorragend abgemischten und gemasterten Musik ein bisschen verlieren, in ihr abtauchen kann.

Durch den ein oder anderen Extended-Mix wäre hier aber mehr möglich gewesen. Dafür hätte es das viel gepriesene, aber bremsende „24 h Dog“ nicht gebraucht.

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