Tamino zupft sich auf „Every Dawn’s A Mountain“ die Seele aus dem Leib. Der belgische Künstler mit ägyptischen Wurzeln verbindet die minimalistische Schönheit arabischer Gitarrenmusik mit der melancholischen Epik von Radiohead.
Ein Mann läuft durch die Wüste. Über ihm kreisen die Raben. Die Erinnerung an die letzte Stadt ist eine ferne Erinnerung. Auf seinem Rücken hängt eine Gitarre. Sie ist sein einziger Besitz. Sein einziger Bezug zur Welt der Menschen.
Vor ihm erstrecken sich endlose Weiten. Ein Weltraum aus Sand und Stein und flirrender Hitze. Der Horizont ist hinter dem Horizont verschwunden. Die einzigen Farben sind gelb und blau. Beide verschwimmen zu einem schmutzigen Regenbogen vor den schweißverkrusteten Augen.
Der Mann lässt sich nieder im Schatten eines Dornenbuschs. Im Schutz der Zweige haben Spatzen ihr Nest gebaut. Ihr Zwitschern übertönt für einen Augenblick die lärmende Stille der Wüste.
Der Mann schaut zum Himmel. Sonne und Mond stehen sich gegenüber. Zwei weiße Scheiben auf einem bleiern blauen Tuch. Flugzeuge ziehen perfekte Linien über die Leere zwischen den Himmelskörpern. Zum Greifen nah und doch unendlich weit entfernt.
Tamino greift zur Gitarre. Greift die ersten Akkorde. Die Hand greift sicher und gleitet wie von einem Zauber getrieben über die Saiten. Der Mund formt Worte und die Worte springen über den staubigen Boden wie Wüstenmäuse.
Auf „Every Dawn’s A Mountain“ verbindet Tamino die Melodien seiner ägyptischen Wurzeln mit den orchestralen Verästelungen der Musik von Radiohead.
Jeder Song schöpft aus einer tiefen Quelle der gewachsenen Reife des Sängers. Er benetzt zuerst sein Gesicht mit dem kühlen Nass. Das Wasser rinnt über Hände und den Körper in den totgeglaubten Sand der endlosen Wüste. Wie ein Verdurstender saugt sie jeden Tropfen in sich auf.
Die Wüste erwacht zu neuem Leben. Der Mann erhebt sich. Sein Werk ist getan. Er schnallt sich die Gitarre um. Und zieht zum Horizont hinter dem Horizont.