Während draußen die Nacht Leipzig umarmte, erschufen Die Sterne gestern in der improvisierten Theaterheimat der ag(o)ra auf dem Agra-Gelände ein Universum aus Erinnerung und Gegenwart, während das Schauspiel im Zentrum der Stadt seine 5,3-Millionen-Euro-Sanierungs-Metamorphose durchlebt. Der Ersatzraum verwandelte sich unter dem Klangkosmos der Hamburger in einen Ballsaal der deutschen Indie-Mythologie.

Als Frank Spilker und seine Gefährten nach einer vorangegangenen Theatervorstellung um 22:00 Uhr die Bühne betraten (zu einer Zeit, zu der manch alternder Fan bereits mit dem Schlafanzug liebäugelte), floss die Zeit plötzlich rückwärts.

Hier versammelten sich Körper, die gemeinsam durch Jahrzehnte deutscher Popgeschichte getanzt waren – eine Generation, die mit den Sternen groß wurde und nun, in ehrwürdigem Paralleluniversum, immer noch zu ihnen tanzt.

„Hallo Euphoria“ vom gleichnamigen Album – eine Begrüßung, die zunächst mehr Versprechen als Erfüllung blieb. Der Sound schwebte durch den Raum wie ein vertrauter Gast, der seine Hausschuhe bereits an der Tür abgestellt hat. Vertrautheit, die manchmal ans Routinierte grenzte, ein musikalisches Ritual mit kleinen Stolpersteinen.

Bei „Big In Berlin“ öffnete Spilker kurz den Vorhang seiner persönlichen Geschichte und erwähnte die Zusammenarbeit mit Edwin Collins, der den Song abmischte, einem Jugendidol, der plötzlich greifbar im Klanggefüge des Songs wurde. Dieser Moment persönlicher Offenbarung durchbrach die vierte Wand zwischen Band und Publikum, schuf einen Raum intimer Verbundenheit im sonst so wohltemperierten Konzertablauf.

„Ich nehme das Amt nicht an“ vibrierte durch den Raum – eine politische Resonanz, die nicht predigt, sondern poetisch durchschimmert. Während „Wenn dir St. Pauli auf den Geist fällt“ erklang, verwandelte sich die ag(o)ra in einen hanseatischen Mikrokosmos, transplantiert in sächsisches Terrain.

Die musikalische Landschaft erfuhr eine unerwartete Topographie-Änderung mit dem neuen Song „Open Water“ – Keyboarderin Dyan Valdés‘ Stimme war ein frischer Strom im vertrauten Flussbett des Sterne-Sounds. Ihre Präsenz durchbrach die männlich dominierte Geschichte der Hamburger Schule, wenn auch nur für einen kurzen, glänzenden Moment.

Das Publikum, anfangs noch in respektvoller Distanz erstarrt, löste sich mit fortschreitender Stunde aus seiner Bewegungssteifheit. Körper, die tagsüber in Bürostühlen gefangen waren, fanden zurück zu ihrer rhythmischen Autonomie. Die Tanzfläche wurde zum Beweis, dass die Zeit zwar Knochen brüchiger macht, aber nicht den Geist des Pop zerstören kann.

Mit „Nach fest kommt lose“ endete die Sternstunde in Leipzig – ein Konzert, das nicht durch Innovation, sondern durch beharrliche Treue zu sich selbst glänzte.

Die Sterne leuchteten am gestrigen Abend nicht als Supernova, sondern als beständige Fixsterne am deutschen Popfirmament – verlässliche Navigationspunkte in einem Meer musikalischer Vergänglichkeit.

In der Provinz der Mitternacht offenbarte sich die zeitlose Kraft ihrer musikalischen Kartographie – eine Konstellation, die auch nach Jahrzehnten nichts von ihrer orientierenden Kraft verloren hat. Trotz später Stunde und gelegentlicher Routine – der Lichtkegel der Hamburger Schule strahlt weiterhin.

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