Das Album zum Klimawandel? David Longstreth von den Dirty Projectors nahm sich mit „Song Of The Earth“ vor, einen Song-Zyklus für Gesang und Orchester zu schreiben, der das schiere Chaos der Welt (im ökologischen Sinne) zusammenfasst. Das Ergebnis, in Kooperation mit dem Berliner Kammerorchester s t a r g a z e, ist entsprechend etwas größenwahnsinnig, herausfordernd, aber auch sehr überraschend.
Drei Fakten können vorab falsche Erwartungen an diese Platte schüren:
- Dass Longstreth als Grammy-nominierter Singer/Songwriter und Produzent bereits mit Acts wie Solange und Kanye West gearbeitet hat.
- Dass „Song Of The Earth“ auf Ausführungen von Gustav Mahler „Von Der Erde“ beruht.
- Dass die Platte inmitten der Pandemie und der Waldbrände von Kalifornien in 2020 entstanden ist.
Die Erwartungshaltung legt somit nahe, dass ein durchaus poetisches, aber dennoch immer irgendwie fürs Mainstream-Ohr geschulte Stück Musik entstanden ist, das sich entweder den finsteren Zukunftsaussichten der Welt entgegenstellt – oder sich in ihrem Verfall hingibt.
Nun, „Song Of The Earth“ macht es dann doch ganz anders und klingt wahlweise nach ambitionierter Musikhochschule und der goldenen Ära von Disney. Wie passend, dass dieses Projekt seine Bühnen-Premiere 2024 in der Disney Hall in Los Angeles feierte.
Longstreth selbst stellt zum Album fest, dass es sich hier nicht um eine Klimawandel-Oper handelt, sondern dass hinter dieser allumfassenden Trauer und all dem Schaden auch noch Schönheit und Zuversicht stecken sollen.
Gemeinsam mit den anderen Dirty Projectors (Felicia Douglass, Maia Friedman und Olga Bell) sowie einem bunten Potpourri aus Gästen wie Steve Lacy, Patrick Shiroishi, Ayoni und dem Autoren David Wallace-Wells kamen so 24 Stücke bei einer Spieldauer von knapp 65 Minuten zusammen. Ich sag ja: ambitioniert.
Und zwar so ambitioniert, dass man zwar anerkennend klatschen, aber nicht unbedingt Hörgenuss erfahren muss. Hervorzuheben sind insbesondere die Arrangements, die ihre Rolle als Musik gewordene Natur sehr gut verstanden haben.
Mal entwickeln sie sich gemeinsam mit den Stimmen in einen reißenden Flusslauf („Same River Twice“), mal säuseln sie brummend ins Ohr („Gimme Bread“), mal wiegen sich die Streicher wie ein Wind in der Luft („Bank On“).
Longstreth und Kolleg*innen erzählen über diesem Soundtrack, der häufig mehr nach Cartoon-Showdown denn nach dramatischem Epos klingt, ihre Geschichten. Das machen sie textlich und im Songwriting interessant – dennoch ist Longstreths Timbre und Intonation genau so eine Geschmackssache wie der permanente Verzicht auf pop-geschulte Strukturen.
Immerhin: „Song Of The Earth“ ist damit so widerspenstig und anstrengend wie der Klimawandel selbst. Wer für derart kantige Kompositionen Liebe empfindet, möge sich ins Rabbit Hole begeben.