Eine der größten Alternative-Rock-Bands jenseits der Jahrtausendwende würdigt ihr Opus Magnum „Morning View“ (2001) in voller Länge. Incubus touren mit diesem Versprechen um die ganze Welt, planten aber nur einen einzigen Stopp in Deutschland. Da wundert es kaum, dass sich die Kölner Lanxess Arena bereits Monate zuvor restlos ausverkaufte.

Die einstige Jugend der 00er Jahre kommt aus allen Winkeln der Republik zusammen, um das Album zu feiern, das bei nicht wenigen der Millenials zu einem Fixpunkt der musikalischen Sozialisation avancierte, als die Mehrheit bevorzugt den Stumpfsinn von Nu-Metal anhimmelte.

Turmhoch stapeln sich daher die Erwartungen im Vorfeld an diesen Abend. Und prompt macht die Arena und ihr leidiger Sound einen ersten dicken Strich durch die Rechnung. Blechern, giftig und schrill klingt der Auftakt von „Nice To Know You“ bis „Wish You Were Here“, was gerade diesen beiden Songs für die Ewigkeit nicht gerecht wird. Auch wenn die Technik das Problem im Laufe des Abends etwas besser in den Griff bekommt, der brillante Sound, den diese Songs verdient hätten, bleibt ihnen verwehrt.

An der Band selbst liegt das mitnichten. Jose Pasilla am Schlagzeug und Chris Kilmore an den Turntables und Keys spielen ihre Sache so tight und treffsicher wie eh und je. Das Rhythmische sitzt bis ins letzte Detail. Mark Einziger als alternativer Gitarrenhexer und Effektboard-Virtuose überzeugt in gewohnter Manier an einer beachtlichen Palette von Saiteninstrumenten.

Und dann ist da die neue Bassistin Nicole Row, die im Februar 2024 offiziell als festes Mitglied der Band bestätigt wurde, als Ersatz für den langjährigen Bassisten Ben Kenney, der aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden war. Row war bereits an der Neuaufnahme des Albums „Morning View XXIII“ von 2023 beteiligt, das es als Veröffentlichung nicht unbedingt gebraucht hätte. Die einstige Panic-At-The-Disco-Bassistin scheint dadurch aber derart mit den Songs vertraut, dass ihr Livespiel wirkt, als wäre sie an deren Entstehung beteiligt gewesen.

Neben Brandon Boyd, der auch mit leicht ergrauten Haaren und im schwarzen Talking-Heads-Shirt noch immer problemlos als  Surfer- und Posterboy durchgeht und bei bester stimmlicher Verfassung zu sein scheint, übernimmt Nicole Row – nicht weniger Postergirl – die Zweitstimmen. Das geht nicht zuletzt bei „Warning“ hervorragend auf.

Row und Boyd, der aus dynamischen Gründen sein Mikrofon nicht selten zu seinem Mund hin- und wieder wegbewegt wie ein posaunen-ähnliches Instrument, sie steigen für „Blood On The Ground“ zusammen mit Einziger auf das große Schlagzeugpodest. Es ist ein seltener Moment der Eintracht, sind die Protagonisten ansonsten doch in ihren weit auseinander liegenden Bühnenecken verhaftet.

Vom anschließenden „Mexico“ über die großartigen „Echo“ und „Are You In“ zeigt die Band eindrücklich, dass dieses Album nicht einen einzigen Schwachpunkt kennt. „Morning View“ entstand im Sommer 2001 in einem gemieteten Strandhaus in Malibu, in das sich Incubus zum Schreiben und Aufnehmen komplett zurückgezogen haben. Inspiriert von der pazifischen Umgebung floß mehr Melodie, Ruhe und Atmosphäre in die Songs als je zuvor – ein Kontrast zur Härte des Vorgängers „Make Yourself“ (1999).

Gerade das abschließende „Aqueous Transmission“, bei dem Mark Einziger auch live die markante Pipa, ein traditionelles chinesisches Zupfinstrument spielt, als hätte er nie etwas anderes gemacht, es wäre zuvor nicht denkbar gewesen.

Nach diesem Song strahlt der Ausblick, den Incubus während der Aufnahmen von „Morning View“ hatten, in Form des Plattencovers über die LED-Wand und markiert den Schlusspunkt des offiziellen Albumparts. Danach folgt der Teil, der mit „Hits“ angekündigt wurde, als wären die größten nicht bereits soeben gespielt worden.

Vom kommenden Studioalbum „Something In The Water“, das im Herbst 2025 erscheinen soll, gibt es an diesem Abend indes noch nichts zu hören, was nicht bedeutet, dass die Band nicht auch Überraschungen in petto hätte.

Bei „Are You In“ rutschen sie in eine Coverversion von „In The Air Tonight“. Ihr darauffolgendes „Under My Umbrella“ leiten Incubus mit dem gleichnamigen Song von Rihanna ein.

Deutlich näher an ihrer künstlerischen DNA liegt allerdings das Portishead-Cover „Glory Box“, das Incubus zum Ausklang von „Vitamin“ spielen – ihr einziges Stück von vor der Jahrtausendwende und die wohl größte aller Überraschungen, weil es nicht so recht mit der Überschrift „Hits“ harmoniert und gerade damit ein angenehmer Ausreißer bleibt.

Denn auch, wenn nach „Pardon Me“ und „Drive“ ohne Zugaben Schluss ist, feiern Incubus an diesem Abend doch vor allem ihren künstlerischen Zenit, dessen Niveau die Band so lediglich mit dem unmittelbaren Nachfolger von „Morning View“ halten kann.

Umso erstaunlicher ist es, dass nach dem offiziellen Albumteil kein einziger Song vom Album „A Crow Left Of A Murder“ (2004) stammt. Dabei hätte die Platte so einiges zu bieten, auch über das eigentlich als gesetzt geltende „Megalomaniac“ hinaus.

Womöglich nehmen Incubus aber auch diesen Meilenstein ihrer Karriere zum Anlass, eine vergleichbare Tour zu wiederholen. Es wäre ausdrücklich zu begrüßen.

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