Vergleiche hinken, helfen aber manchmal, eine Faszination fassbarer zu machen. Lael Neale ist eine Sirene, aber keine warnende, sondern eine angenehme und ähnelt in ihren durchdringenden Höhentönen ein bisschen Kate Bush, im Flow ihrer Intonation der jungen Cat Power.
Doch die Parallelen sind schmal. Cat Power und Lael Neale haben immerhin beide etwas Sozialisation mit Hippie-Musik abbekommen. Bei Lael waren es konkret Grateful Dead. Beide haben einen Schuss Alternative-Country in manchen Stücken stecken, Lael in den ersten beiden Tracks ihres neuen Albums „Altogether Stranger“.
Die Referenz auf Kate Bush hinkt hingegen, weil Lael ihre Ausflüge in die Gipfel der Tonleitern nie dramatisch inszeniert, sondern sehr gleichmäßige Lautstärke-Kurven und flache Spannungsbögen in ihren Liedern hat.
Die Künstlerin von der Ost- und jetzt Westküste nahm als nationaler Act schon vor zehn Jahren ihr Debütalbum auf. Erst nach dem ersten Corona-Lockdown hatte sie aber international ihren Durchbruch über das Label Sub Pop. In jedem Falle ist sie eine Spätstarterin in der Branche.
„Altogether Stranger“ ist ein erwachsenes Songwriter-Album, im Vertrauen auf die Macht der Worte, die Qualität der Arrangements und die charismatische Aura der Sängerin. Es verzichtet auf alle erdenklichen Schnörkel oder Brüche: Soli, Skits, Effekte.
Sogar das Cover mit der barfuß auf einem Schachbrettmuster-Fliesenboden hockenden Protagonistin bleibt schlicht und klar. Teils reicht die klangliche Klarheit gegen Ende des Albums so weit, dass man Lo-Fi dazu sagen kann. Gute Beispiele für die entsprechende Atmosphäre sind das minimalistische „All Is Never Lost“ und „There From Here“.
Obwohl die 37-Jährige zuhause in ihrer Jugend mit den Beastie Boys beschallt wurde, setzen sich drei ganz andere Bezugspunkte auf „Altogether Stranger“ durch:
Erstens wäre da Folk-Pop mit dem Charme, dass er sich wie vorm heimischen Kamin aufgenommen anhört.
Zweitens tritt eine imposante Wucht an Orgel-Bräsigkeit dem entgegen, die manchmal erdrückt. Analoge warme Vintage-Töne prägen die Platte und ihre Richtung. Einige Songs wie „Tell Me How To Be Here“ und „New Ages“ ächzen unter der Last dieser schweren Klänge.
Die dritte Strömung wurzelt im Gospel und Easy-Listening-Pop-Soul der Sechziger. Im Mittelteil sind sie mit „Sleep Through The Night“ und „Come On“ vertreten. Diese Zitate wirken nicht nostalgisch, sondern nacht-umwoben.
Die Omnichord-Spielerin textet einiges so, dass man den Zeilen anmerkt, sie dürften beim nächtlichen Wachliegen und Legospielen mit Vokabeln entstanden sein, im Grübeln über psychologische Zusammenhänge, in beachtlich intensiver Selbstanalyse. „Da ist Staub auf meinem Kissen / ich kann heute Nacht nicht schlafen“, heißt es einmal.
Immer wieder dreht sich Neales lyrisches Ich um unstillbare Bedürfnisse und um das Gras, das stets auf der anderen Seite grüner ausschaut. In „New Ages“ ist von „wanting much more than I can hold on to“ die Rede. „I eat, but I’m always hungry“ singt die Amerikanerin im Schlusslied.
Ein längeres Zitat lohnt sich aus dem ruhigsten und kürzesten Lied „Sleep Through The Night“, das zugleich am bedrückendsten ist und wohl aus Rastlosigkeit entstand: „I want what I can’t buy – I buy any true lie (…) My mind is a jungle of sirens and stoplights / the traffic is static / no station to heaven / I’m heavy as plastic in the belly Atlantic. I want what I can’t find / I find what I can’t hide.“
Zwischen dem zitternden Saug-Brummen des Mellotrons und dem Flirren der Drum-Machine findet sich phasenweise immer wieder mal Gesang im tiefen Spektrum, etwa in „Down On The Freeway“. In solchen Momenten zeigt Leal, wie sicher sie zwischen den Oktaven springen kann.
Leider hat Lael Neale ihren besten Song „Electricity“, der ihre Signatur gut zeigt und im Sommer 2024 als Single erschien, nicht auf die LP gepackt. Somit dauert diese nur knapp 32 Minuten.