Von der ersten Sekunde an liegt Wehmut in der schwülen Luft. Gerade weil sich noch einmal so unmittelbar nachvollziehen lässt, was alles fehlen wird in Zukunft. Nach 14 Jahren ist das Maifeld Derby mit dieser Ausgabe Geschichte.
Wieso Kulturförderung der Stadt Mannheim so wenig wert ist, dass man in dieser entspannten kleinen Größenordnung eines der besten Festivals Europas einfach auslaufen lässt (es sei hier noch einmal an den Best Small European Festival Award erinnert, mit dem das Maifeld Derby ausgezeichnet wurde) bleibt rätselhaft.
Allein es ist nicht nur ein Phänomen des Rhein-Neckar-Raums, sondern eines von nationaler Tragweite. Kulturförderung steckt in der Krise. Und es trifft meistens immer die alternativen, subversiven Räume zuerst.
„Wir brauchen solche kleinen Festivals“, sagt Maurice Ernst von Bilderbuch mit dem gewohnten Wiener Schmäh zwischen den Silben. „Wo auf der Bühne auch mal andere spannende Dinge passieren dürfen als bei Rock am Ring.“ Er meint damit natürlich auch seine eigene Band, die am Sonntag einen Festival-Schlusspunkt setzt, der bei allen künftigen Unwägbarkeiten eines überdeutlich zementiert:
Bilderbuch sind inzwischen die beste Gitarrenband des deutschsprachigen Raums, die trotz raffiniertem Poppapeal, Groove und Funk ihre Liebe zu grandios ausufernden Instrumentalpassagen entdeckt hat. Die seit Jahren andauernde steile Formkurve der Wiener stagniert nicht auf hohem Niveau, sie zeigt noch immer nach oben.
In dieselbe Kategorie fallen auch The Notwist. Egal, wie oft man diese süddeutsche Ausnahmeband schon live gesehen hat – und man konnte sie, genau wie Bilderbuch, schon mehrfach beim Maifeld Derby erleben – sie sind jedes Mal aufs Neue noch eine Spur besser als zuvor. Und das will was heißen, bei einer Band, von der in über 30 Jahren nicht eine einzige durchwachsene Live-Show übermittelt ist.
Neben einigen Wiederholungstätern hat das Line-Up aber auch einige Maifeld-Novizen zu bieten. So sind etwa Franz Ferdinand erstmalig zu Gast und spielen mit schottischer Coolness und manchem Luftsprung am Samstag ein mehr als souveränes Set.
An selber Stelle hat am Tag zuvor Zaho de Sagazan allerdings den bemerkenswerteren Auftritt. Die französische Künstlerin, auf dem besten Weg zum globalen Superstar, beherrscht die komplette Klaviatur der Emotionen, von tränenziehender Klavierballade bis zur clubtauglichen Technoshow, hat ihr Auftritt nicht einen einzigen Durchhänger.
Das lässt sich von Kraftklub nicht in Gänze behaupten. Sie sind der Überraschungsact am Freitag und sorgen auf der Open-Air-Bühne für fliegende Bierbecher und Circlepits. Man spürt allerdings, dass beim geheim gehaltenen Festivalauftritt, der als Tourauftakt zur kommenden Platte geplant ist, noch nicht alles wieder rund läuft.
Andere starten auch von vorne. Wie etwa Olli Schulz, der Sonntags im Palastzelt die Fahne für Musik im Allgemeinen, Schallplatten im Besonderen und Spielerfrauen aus den 90ern hochhält.
Oder auch Die Höchste Eisenbahn, die erstmals seit vier Jahren wieder Konzerte gibt. „Wir haben vier Jahre Schönheitsschlaf gemacht“, kommentiert Francesco Wilking charmant die ein oder andere wacklige Passage. „Jetzt sind wir schön, aber können nicht mehr spielen.“
Nicht nur wegen solcher Sätze fühlt es sich ein bisschen nach Familien an, vor und auf der Bühne. Vor allem, wenn an jeder Ecke bekannte Gesichter stehen, denen man bei aller Freude über die 2025er Ausgabe auch die Melancholie des Abschieds ansieht.
Wo sonst lassen sich schließlich auf so engem Raum derart vielversprechende neue Künstler*innen entdecken? Beim Reeperbahn Festival wollen die langen Wege und somit das Programm weit im Vorfeld geplant sein. Beim Maifeld Derby lässt es sich spontan zu Big Special gehen. Welch großartige Stimme, die neben dem herrlich durchgehallten Drummer nur noch ein paar mehr Mitmusiker verdient hätte.
Oder nehmen wir einen Act wie DJ Koze. Zu welchem Festival würde dieses Urgestein der elektronischen Musik besser passen als zum Maifeld Derby? In seine Fußstapfen stellt sich der ein oder andere Headphones-Act, was nicht nur rein optisch der bunten Ohrmuscheln wegen ein gelungenes Konzept darstellt. Über die Kopfhörer kommt der subtile Elektro mit Cello von Philipp Johann Thimm noch intensiver.
An dieser Stelle reißt Uzi Freyja ein paar Stunden zuvor jede und jeden mit, der es vor die Bühne wagt. Dabei steht ihr Auftritt zunächst auf der Kippe, weil am Samstagabend eine Sturm- und Unwetterwarnung das Programm auf den Open-Air-Bühnen zum Erliegen bringt.
Müssen die Besucher*innen zu ihrer eigenen Sicherheit auf der Tribüne des Parcours D’Amour oder im Palastzelt ausharren, kann das Programm nach einem heftigen Regenschauer mit Verzögerung auch draußen weitergehen – nicht zuletzt mit einer körperbetonten, feministischen Kampfansage von Uzi Freyja.
Bis Konstantin Gropper & Friends später auf der kleinsten der vier Bühnen viele seiner Get Well Soon Songs zum Besten gibt, befindet sich das nach hinten verschobene Programm wieder halbwegs im Zeitplan.
Hier darf dann auch sein ehemaliger Get-Well-Soon-Bassist und Maifeld-Derby-Veranstalter Timo Kumpf nicht fehlen, der die Gelegenheit nutzt, um beim letzten Festival auch ein letztes Mal auf der Bühne zu stehen. Dabei schließt sich ein Kreis, waren vor 14 Jahren doch Get Well Soon mit Gropper und Kumpf die ersten Headliner des Maifeld Derbys.
Die Wehmut ist an dieser Stelle besonders groß. Denn dieses Festival wird fehlen, und das nicht nur wegen des fein kuratierten Programms für Musikliebhaber*innen.
Dieses Festival war immer auch ein Ort der Begegnung, der Toleranz, der Gemeinschaft. Ein Ort, an dem man sich vergewissern konnte, dass die Welt nicht nur von Idioten bevölkert wird und vor die Hunde geht, wie das aktuell den Anschein hat. Es bräuchte mehr solcher Orte nicht weniger.