Ist es möglich, einen Schlussstrich zu ziehen? Kann man einfach einen Neustart hinlegen? Fragen wir am besten Die Höchste Eisenbahn, die nach fünf Jahren Sendepause mit „Wenn wir uns wiedersehen schreien wir uns wieder an“ ihr viertes Studioalbum vorlegen.

In „Vor jedem Anfang“, dem Schlussstein des neuen Longplayers ziehen Francesco Wilking und Moritz Krämer, die beiden Köpfe der 2011 in Berlin gegründeten Band, ein ernüchterndes Fazit. „Nichts fängt von vorne an“, heißt es darin. Denn: „Da ist so viel passiert, vor jedem Anfang.“

Folgt man den mit Sprachwitz und Feingefühl entwickelten Wilking/Krämer-Texten, ist der Wunsch, sich von seiner Vergangenheit loszusagen, geradezu absurd. „Wir spielen nur noch nach, was damals so schön war / Aber jedes Wort ist ein Stich, jede Verletzung kommt wieder.“

Ob wir wollen oder nicht: wir sind Wesen, befüllt mir Erfahrungen, eingebettet in Geschichte und Geschichten – und in jenem Geiste erklingen auch die 14 Songs des neuen Albums. All die kleinen geschilderten Begegnungen scheinen nie ohne Vorbehalt – und am Ende schreit man sich gegenseitig an.

Das Album wimmelt vor Anfängen und Enden, sich kreuzenden Blicken und schmerzenden Trennungen. „Ein Schlüssel mehr, ein leeres Bett“, singen Krämer und Wilking, begleitet von gemächlichem Schlagzeug und behaglich-wummerndem Rhodes-Klavier.

Beschwingter geht es auf „Dieses Leben“ zu, einer energiegeladenen Ode an die Endlichkeit unseres irdischen Daseins. Dass jene Endlichkeit die Vorbedingung jedes Lebens ist – also „vor jedem Anfang“ steht – und den Genuss des Lebens so sehr begründet wie eintrübt, bringen die beiden Wahl-Berliner eindrucksvoll auf den Punkt.

Die Gefahr, bei all der Schnelllebigkeit nicht mehr mitzukommen, finden wir ebenfalls in der Text-Palette. Doch – die Herrschenden wird’s freuen – die Revolte bleibt aus. Denn: „Die Alten husten lauter, als die Jungen demonstrieren.“

Musikalisch trifft das seit 2012 durch Felix Weigt und Max Schröder vervollständigte 4-Mann-Kollektiv mit gewohnter Lockerheit stets den richtigen Ton. Neben dem vertraut-verspielten Sound der Band hören wir aber auch musikalische Rückgriffe auf längst vergangene Jahrzehnte:

Während „Wir machen uns fertig“ mit seinen flächigen Synthies und einem spacig-dissonantem Keyboardsolo den 80ern huldigt, erinnert „Morgens geht’s dir gut“ an die Experimentierfreude der späten Beatles.

Apropos: Lassen uns die beiden charakteristischen Stimmen Wilkings und Krämers, die sich nicht nur fließend abwechseln, sondern auch immer wieder miteinander verschmelzen, nicht durchaus an das Zusammenspiel Lennon/McCartney denken?

Wie dem auch sei: Die Höchste Eisenbahn legt mit „Wenn wir uns wieder sehen schreien wir uns wieder an“ ein äußerst gelungenes, poetisches Werk vor. Eine Inspirationsquelle für kommende vermeintliche Anfänge.

Oder, um es mit den bedachtsam geliehenen Worten der beiden Berliner Songschreiber zu sagen: „Du sagst ‚Hallo‘, ich sag ‚Auf Wiedersehen‘.“

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