Calum Scott möchte mit seinem dritten Album „Avenoir“ die großen Gefühle einfangen – Liebe, Verlust, Sehnsucht. Der Albumtitel steht sinnbildlich dafür, wie wir durchs Leben rudern – stets vorwärts bewegt, doch den Blick nach hinten gerichtet.

Doch leider bleibt von dieser philosophischen Grundidee in den Songs selbst wenig übrig. Stattdessen serviert der britische Sänger eine glatt gebügelte Pop-Produktion, in der jede Kante für maximale Chartkompatibilität abgeschliffen wurde.

Das größte Problem von „Avenoir“ liegt in seiner vorhersehbaren Struktur: Ruhige Klavierstrophen münden in episch aufgehenden Refrains, schnellere Nummern klingen nach 2015, und die Texte spielen jedes erdenkliche Liebesklischee durch.

„Roots“ etwa wirkt wie ein verirrter Olly-Murs-Track und lässt einen stellenweise unweigerlich an Alice Mertons damaligen Hit denken – eine Assoziation, die sich beim Hören nur schwer abschütteln lässt.

„God Knows“ testet mit kitschigem Tonartwechsel die Schmerzgrenze. Besonders absurd wirkt „My World“: Ein Walzer mit orchestraler Instrumentierung kollidiert mit basslastigen Beats – eine stilistische Kombination, die weder Sinn ergibt noch irgendwen überzeugt.

Scotts Stimme ist zweifelsohne beeindruckend, mit enormer Bandbreite und Kraft. Sie bleibt das Highlight des Albums. Der Song „Lighthouse“ zeigt immerhin, was möglich wäre: ein überzeugender Pop-Song mit Musical-Grandezza à la „The Greatest Showman“, der tatsächlich funktioniert und eine packende Melodie bietet.

Doch selbst die starke Stimme wird so totproduziert, dass von Authentizität kaum noch etwas zu spüren ist. Das gesamte Album scheint darauf ausgelegt, in möglichst vielen emotionalen Momenten als Soundtrack zu dienen – die nächste Hochzeitssaison dürfte gut versorgt sein.

„Die For You“ bedient sich bei John Legend und Sam Smith, ohne eigene Akzente zu setzen. Und „One More Drink“ verpackt dieselbe Formel einfach in ein Country-Gewand – simple Reime, vorhersehbare Melodien.

Den fragwürdigsten Moment liefert das posthume Duett mit Whitney Houston. Einen unantastbaren Klassiker wie „I Wanna Dance With Somebody (Who Loves Me)“ als stripped-down, zweistimmige Version neu aufzulegen und dann als Album-Abschluss zu platzieren, ist eine kuriose Entscheidung. Die Zielgruppe bleibt rätselhaft, der künstlerische Mehrwert unklar.

Mit 14 Songs ist das Album – wie schon der Vorgänger „Bridges“ (2022) – schlicht zu lang für ein Album, das so wenig Variation bietet. Calum Scott spricht davon, wie seine Musik Menschen in bedeutenden Lebensmomenten begleitet – doch „Avenoir“ bleibt dabei erschreckend austauschbar.

Schade um die starke Stimme, die hier in Hochglanz ertrinkt.

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