Im Namen Maria Iskariot gibt es keine Maria, wohl aber einen Aufstand, einen riot. Gleichzeitig kontrastiert die Maria als Mutter Jesu im Namen auch Jesus Verräter Judas Iskariot. Es geht aber nicht religiös, sondern bissig bei der belgischen Band zu. „Wereldwaan“ („Weltwahn“) heißt das Debütalbum der schnell viral gegangenen Newcomer-Band aus Gent.

Auch wenn der Großteil der Welt die flämischen Texte kaum verstehen dürfte, übertragen sich die rohe Punk-Energie und das Ausrasten der Sängerin eindeutig.

Das Besondere an dem jungen Quartett ist allerdings, dass sie Punk mit Augenzwinkern ausleben, mitunter lyrisch subtil und musikalisch irritierend, indem Maria Iskariot herausfordernd zwischen Genres und Chiffren springen.

Tiefer melancholischer Weltschmerz und Verzweiflung nehmen Raum ein, etwa in der Ballade „Dat Vind Ik Lekker“, wo sich sehr leise und knisternde abwartende Stellen, sogar Flüstern (und ein kirchenchorales Outro) zwischen Grunge und Shoegaze schummeln.

Dissonanz ist ein großes Thema auf „Wereldwaan“, Lärm und Übersteuerung stellenweise auch, wie in „Leugenaar“ („Lügner“), „Tijm“ („Thymian“) oder im Titelsong. Die Rhythmus-Fraktion feuert dort scharf darauf los, Helena durchquert das umgebende Verstärker-Dröhnen mit heiseren, keuchenden, kämpferischen, gebrochenen, manchmal wiehernden und glucksenden Lauten.

Ein bisschen anders gestaltet sich ihre Rolle in „Rozemarijn“ („Rosemarie“). Dort führt sie einen mehrstimmigen rasiermesser-scharfen Brüll-Gesang an, der sich aber nicht gegen die Hauptzutaten Snare, Hi-Hats und knatternde Bassgitarre erwehren kann, gegen die Klangwand prallt und im Echo-Strudel verschwimmt.

Zwei überlange Stücke stechen hervor, das trockene, elastische Post-Punk-Stück „Zes Beckers“ („Sechs Becher“), das in wilden und dröhnenden Free-Jazz mündet.

Zum anderen durchläuft „Niets Gaat Verloren“ („Nichts Geht Verloren“) einen ungeahnten Spannungsbogen. Die Akustik-Aufnahme dauert fast sieben Minuten und durchbricht die Album-Dramaturgie kurz vor Schluss unerwartet. Was erst so beginnt wie ein Pfadfinder-Lied am Lagerfeuer und als Text über weite Strecken auf „la-la-la“ beruht, bindet nach dem ersten Drittel überraschend ein Klavier ein.

„Niets Gaat Verloren“ hört sich in seinem schunkeligen Rhythmus und dem Durcheinanderlaufen der Stimmen wie ein Trinklied in einem Pub zu fortgeschrittener Stunde an. Aufzähl-Anweisungen aus der Session-Aufnahme stehen am Anfang, Geschrei am Ende des Tracks.

Es gibt keine Verstärker an den Gitarren, deren Akkorde wiederholt ohne Worte frei stehen, in der längsten Phase über eine ganze Minute hinweg. Mehr und mehr steigern sich Helena und die beiden Background singenden Saiten-Kolleginnen in vehementes Exklamieren aus ganzer Seele hinein.

„Wereldwaan“ testet auf reizvolle Weise die Ästhetik von Punk(rock) aus. Welche Spielarten unter dieser Bezeichnung dazu gehören, welche nicht, definieren Maria Iskariot für sich neu, selbstbewusst und eigenwillig.

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