Kalt wie Stahl und nicht wie Silber, sanft und schimmernd wie der frühe Morgennebel: Jenny Hvals neues Album „Iris Silver Mist“ trägt den Namen eines Parfüms des französischen Dufthauses Serge Lutens und entfaltet sich ebenso vielschichtig wie sein namengebender Duft – ein Werk, das alle Sinne umhüllt und die Grenzen zwischen Klang und Körperlichkeit verschwimmen lässt.

Die glockenreine Stimme der norwegischen Sängerin schwebt auf dem Album-Opener „Lay Down“ über einem Bett aus Ambient-Texturen und Naturgeräuschen – eine Einladung, vollständig in die akustische Welt des Albums einzutauchen.

Die nordische Klangsignatur erinnert an Aurora, iamamiwhoami oder die isländische Band Samaris – durchzogen von blubbernder Percussion, Noise- und Ambient-Elementen, Jazz-Loops und industriellen Geräuschen.

„To Be A Rose“ erweitert die botanische Thematik mit jazzigen Vocal Arrangements, während „I Want To Start At The Beginning“ als dreiminütiges Spoken-Word-Stück über himmlischen Synthesizerflächen den meditativen Charakter des Albums vertieft.

In „All Night Long“ experimentiert Hval mit orchestralen Passagen, langen Pausen und Drum-Loops – ein musikalischer Fiebertraum, der sich in unerwartete Richtungen entfaltet.

Der abstrakte Kurztrack „Heiner Muller“ offenbart Hvals Faszination für den deutschen Dramatiker, während „I Don’t Know What Free Is“ mit seinem mehrstimmigen, teils dissonanten Gesang unweigerlich an Björk erinnert. „Sign me out, out of the digital earth“, singt Hval hier, während darunter einer der wenigen groovenden Beats des Albums pulsiert.

Auffällig ist auch die häufige Nutzung der Spoken-Word-Technik, die dem Album eine literarische Dimension verleiht und die Grenzen zwischen Musik und Poesie verschwimmen lässt.

Die abschließenden Tracks bilden einen introspektiven Bogen: „Huffing My Arm“ erzeugt mit gemurmelten Vocals ein musikalisches Schwindelgefühl, „A Ballad“ wirft als träumerische Pianoballade existenzielle Fragen des Künstler*innen-Daseins auf.

Die hellen und himmlischen Klanglandschaften auf „Iris Silver Mist“ stehen in faszinierendem Kontrast zu den dunkleren Dissonanzen und existenziellen, fast nihilistischen Themen der Texte. Oft kombiniert Hval alltägliche Situationen mit abstrakten Metaphern. Zeitweise wünscht man sich mehr Halt, eine wiederkehrende Hook, an der man sich festklammern könnte in diesem Meer aus losen Strukturen und Fragmenten.

Der rein instrumentale Closer „I Want The End To Sound Like This“, der die verträumten, ätherischen Klänge, die das Album definieren, ein letztes Mal zum Ausdruck bringt, spielt mit der Doppeldeutigkeit von „The End“ – als Albumende oder als Tod.

Wer sich auf „Iris Silver Mist“ einlässt, wird mit einem immersiven Erlebnis belohnt, das sich wie ein komplexer Duft nach und nach entfaltet – subtil und dennoch nachhaltig präsent. Ein Album für alle, die bereit sind, den sicheren Boden des Mainstream zu verlassen und sich in kühle, glitzernde Welt von Jenny Hval zu begeben.

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