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Sigur Ros – Live in der Jahrhunderthalle, Frankfurt

Sigur Rós gehören zu den besten Live-Bands des Planeten. Daran zweifelt keiner, der die Isländer schon einmal live gesehen hat. Ihre Shows sind einzigartig, bei jeder Tour anders und immer wieder für Überraschungen gut.

Und auch wer sie schon mehrfach gesehen hat, lässt sich immer wieder gerne durch die märchenhaften Shoegaze- und Postrock-Landschaften, über die brachialen Naturgewalten und – mit Jonsis Falsett – auch über die eisigsten Gipfel ihres Herkunftslandes tragen.

Als die Band vor vier Jahren zuletzt auf ausgedehnter Europa-Tour war, musste sie gerade den Ausstieg ihres Keyboarders Kjartan Sveinsson überspielen. Seither sind Sigur Rós zu einem Trio geschrumpft. Bei Konzerten wurden sie aber stets von einer mehrköpfigen Streicher- und Bläserbesatzung begleitet. Auf dieser Tour verzichten sie auch darauf.

Jonsi Birgisson, Goggi Hólm und Ágúst Gunnarsson sind ganz auf sich allein gestellt. Nicht, dass sie ihren gewaltigen Sound nicht auch zu dritt gestemmt bekämen. Auf ihren Kern reduziert ist die Band aber unweigerlich dazu gezwungen, mehr zu sampeln als jemals zuvor. Und das wird zum Wehrmutstropfen – dem einzigen in einer ansonsten hervorragenden Live-Show gestern in der Frankfurter Jahrhunderthalle.

Vielleicht liegt für die Band auch gerade darin der Reiz des Neuen und die Entscheidung, überhaupt zu touren. Seit der letzten gab es schließlich kein neues Album. Es wäre die Besinnung auf das Wesentliche: Goggi Hólm am Bass, der tickt wie ein Uhrwerk, selten irgend eine Form von emotionaler Regung zeigt und sich mit Schlagzeuger Gunnarsson die weggebrochenen Keyboard-Parts von Sveinsson aufteilt.

Gunnarsson, der wiederum als dynamischer Virtuose am Schlagzeug, mit Drumsticks, Besen oder Filzknüppeln und bald oberkörperfrei, den Aktivsten der Band gibt.

Und zuletzt Jonsi, mit seiner schwindelerregend hohen Kopfstimme, die er auch mal mit der Stirn am Mikro angelehnt durch die Jahrhunderthalle schickt. Jonsi, der stets mit Geigenbogen seine Gitarre spielt und damit seine Compagnons durch den Abend dirigiert.

In dieser Aufstellung nehmen sie die Verantwortung auf sich, auch zu dritt eine riesige Bühne auszufüllen. Das gelingt deshalb problemlos, weil das Bühnenbild – erneut ganz anders als bei der letzten Tour – eine große Fluchtpunktperspektive aufmacht.

Alle kreuzförmigen, wie Segelmasten anmutenden Lichtelemente sind auf einen zentralen Punkt in der hinteren Bühnenmitte ausgerichtet. Dadurch entsteht eine große räumliche Tiefe und an vorderster Bühnenfront ein Wide-Screen-Format, gleich einem amerikanischen Breitwandfilm.

Der zweite Trick sind zwei LED-Leinwände hintereinander und zwei Sets mit jeweils einer Stunde Spieldauer. Das erste spielen Sigur Rós vor beiden Leinwänden. Mit den kalten Bühnenfarben wirkt dieser Teil des Auftritts deutlich distanzierter und unterkühlter als gewohnt.

Das zweite Set beginnen Sie zwischen beiden Leinwänden. Zu “Sæglópur” fährt die erste dann zur Hälfte hoch und die Band findet sich allmählich wieder am vorderen Bühnenrand ein.Die Farben finden wärmere Töne, die Songs mit jedem weiteren ein bisschen mehr Bekanntheit und die Band in den beiden Schlussakten “Kveikur” und “Popplagið” ihren intensiven Höhepunkt.

Jonsi wirft seinen Mikrofonständer um, Gunnarsson räumt mit seiner Hi-hat das Keyboard vom Ständer. Und als wüssten beide selbst genau, dass dieser ruppige Abgang den sympathischen und doch unnahbaren Isländern nicht ganz zu Gesicht steht, kommen sie gleich zwei Mal zurück, um sich in Theatermanier zu verneigen. Eine Zugabe gibt es nicht.

Wer Sigur Ros zum ersten Mal gesehen hat, wird ganz sicher eines seiner eindrücklichsten Konzerterlebnisse mit nach Hause nehmen. Wer sie schon mehrfach gesehen hat, wird sich insgeheim wünschen, diese Tour sei ein vorübergehender Findungsprozess für ein neues Album, das dann irgendwann wieder mit mehr Personal und dadurch mit dem kleinen Müh mehr an Überwältigung auf die Bühne kommt.

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