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I‘m Every Man! – Maximo Park im Interview

Maximo Park (Credit: Annett Bonkowski/MusikBlog)Kaum zwei Jahre sind seit dem letzten Maxïmo Park Album vergangen. Nachdem sie auf diesem das nationale Wohlbefinden und die politischen Zustände ihrer englischen Heimat hinterfragten, liegt der Fokus ihres neuen Studiowerks auf einer viel persönlicheren Ebene. „Too Much Information“ richtet den Zeigefinger verstärkt auf das eigene Ich und gibt sich auf einer persönlichen Ebene der Selbstreflexion hin. Und das, obwohl man meinen könnte die Band hätte doch innerhalb so kurzer Zeit kaum genügend Raum gehabt um durchzuatmen. Maxïmo Park belehren uns mit ihren neuen Songs eines Besseren. Wir trafen Sänger Paul Smith und Gitarrist Duncan Lloyd in einem Berliner Hotel, dessen schummrig, geheimnisvolle Beleuchtung vielleicht die lederne Sitzecke, aber nicht den herzlichen Plauderton oder gar die Antworten in ein dunkles Licht tauchen konnte.

MusikBlog: Die Ankündigung eines neuen Albums kam etwas überraschend. “The National Health” ist noch keine zwei Jahre alt. Ganz so radikal wie Beyoncé wolltet ihr dann aber offensichtlich auch nicht über Nacht eine neue Platte herausbringen.

Paul Smith: (lacht) Nein, ich schätze dazu hätten wir auch nicht die Durchsetzungskraft. Ausserdem würde das Album auch sehr schnell wieder von der Bildfläche verschwinden. Was Album-Veröffentlichungen angeht, sind wir da doch etwas traditioneller. David Bowie hat mit seiner ersten Single im letzten Jahr ebenfalls sehr erfolgreich iTunes für sich genutzt. Beyoncé hat sich wohl ein Beispiel an ihm genommen.

MusikBlog: Gefällt es euch künstlerisch gesehen mit kleinen Teasern wie einem Song oder einem Video einen Spannungsbogen bis zum eigentlichen Release des Albums und damit euer Fans auf die Folter zu spannen?

Paul Smith: Oh ja! Es macht sehr viel Spaß die Zügel bei diesem Spiel in der Hand zu halten. Ich glaube jeder mag solche Dinge ganz gerne. Die wachsende Spannung bis man nicht nur einen Teil, sondern das Ganze dahinter kennt, fasziniert eben. Es geht letztendlich darum Interesse für die eigene Arbeit zu wecken. In England hatten wir schon immer einen Indie-Background und standen bei Warp Records unter Vertrag. Uns ging es vordergründig also stets darum Musik zu machen und diese dann unter die Leute zu bringen. Das war immer auch mit der Tatsache verbunden, dass wir uns etwas einfallen lassen mussten, um uns musikalisch Gehör zu verschaffen. Wir hatten nie und haben nach wie vor nicht die finanziellen Mittel, um eine groß angelegte Kampagne zu starten, die weltweit Leute auf unser neues Album aufmerksam macht. Wir können immer nur kleine Schritte machen.

MusikBlog: Stört euch das?

Paul Smith: Manchmal schon. Es ist verflixt, denn eigentlich möchten wir die neuen Songs so schnell es geht veröffentlichen, denn wir sind sehr stolz und aufgeregt zugleich, aber uns ist eben auch bewusst, dass nur unsere Freunde oder Hardcore-Fans dann bei solchen Nacht-und-Nebel-Aktionen Notiz davon nehmen würden. Wir sind zu realistisch eingestellt, als dass wir glauben würden so etwas könnte für uns funktionieren. Seit unserem ersten Album leben wir von der Mund-zu-Mund-Werbung, gehen raus und spielen die Songs vor Leuten und hoffen, dass die Begeisterung darüber weitergetragen wird. Wir sind in unserer Karriere schon frühzeitig nach Deutschland gekommen und haben eine Art Ochsen-Tour in kleinen Clubs hingelegt, die sich am Ende bezahlt gemacht hat. Ich bin glücklich, dass wir auf diesem Weg unsere Musik verbreiten können. Wir sind schließlich keine “Big Players” in der Musikindustrie. Es muss genügen ein Konzept für ein Album, das Artwork und vielleicht ein Video zu haben. Alles darüber hinaus ist nett, wenn man die finanziellen Mittel dazu hat.

MusikBlog: Und diese Mittel stehen leider nicht vielen Bands zur Verfügung…

Paul Smith: Eben! Kleinere Bands haben da meistens das Nachsehen. Arcade Fire können interaktive Werbekampagnen und Promotion-Ideen nach Lust und Laune umsetzen, aber wir haben gar nicht erst die Möglichkeiten dazu. Unser Ansatz ist da weniger auf den Werbefaktor ausgerichtet, sondern soll sich mehr wie ein Kunstprojekt anfühlen, bei dem unser Herz und unsere Seele drinsteckt. Natürlich stecken wir als Band auch irgendwo inmitten dieses Werberummels um unsere Musik, aber der Wettbewerb ist ein ganz anderer. Ab und zu muss man sich daher einmal etwas ausserhalb dieses “Spiels” bewegen und die einem zur Verfügung stehenden Mittel nutzen, um auf einer anderen Ebene etwas Gutes zu schaffen. Ich kann aber ebenso behaupten, dass es wichtig ist auf Tour zu gehen und sich jeden Abend die Seele aus dem Leib zu spielen. Bei all diesen Teasern zu einem neuen Album geht es letztendlich darum die Menschen für die neuen Songs zu erwärmen. Dieses Mal hatten wir auch allen Grund dazu, denn die erste Single “Brain Cells” ist viel elektronischer ausgefallen als man das von uns gewohnt ist.

MusikBlog: Ein ganz schöner Spagat zu eurem bisherigen Werk mit dem ihr auf positive Weise Verwirrung gestiftet habt.

Paul Smith: Danke. Wir haben Spaß daran Leute aufhorchen zu lassen, weil wir plötzlich musikalisch einen anderen Weg einschlagen. Als ich das Demo von Duncan bekam, war ich auch leicht verwirrt. Ich fragte mich “Wo sind denn die Gitarren hin? Du bist doch unser Gitarrist und gibst mir so ein Demo?” (lacht). Dann wiederum fand ich es cool und wollte auch stimmlich etwas anderes ausprobieren. Ich hätte nie gedacht, dass die Band das gut finden würde, aber stieß letzten Endes doch auch positive Reaktionen. Wir sind über die Jahre hinweg doch um einiges selbstsicherer  geworden und können in Songs viel offener mit unseren Emotionen umgehen. Sind wir wütend, schreiben wir einfach einen lauten Song. “Leave This Island” hingegen wurde aus einem melancholischen Gefühl heraus geschrieben. Und egal wie die Songs ausfallen, sie klingen dennoch irgendwie nach uns. So als ob die Seele der Band immer mitschwingen würde.

MusikBlog: Die Schwingungen habt ihr jedenfalls vor dem Stillstand bewahrt, indem ihr nach dem letzten Album gleich weiter an neuen Songs gearbeitet habt.

Paul Smith: Ja, wir hatten die Tour zu “The National Health” letzten Sommer fast abgeschlossen und nur noch ein paar Festivals zu spielen, aber wir wollten trotzdem dranbleiben und weiter Songs schreiben, egal wie beschäftigt wir waren. Die letzte Platte war sehr wichtig für uns und es hat sich gut angefühlt kreativ am Ball zu bleiben. Daher sind die ersten fünf Songs für das Album auch recht schnell entstanden. Nach den nächsten sechs fertigen Stücken ändert sich dann auch deine Denkweise ein wenig, denn dir wird wirklich bewusst, dass gerade ein neues Album entsteht. Da wir auch in der Produktion involviert waren und unser Studio zeitgleich immer mehr Formen angenommen hat, fühlten wir uns sehr wohl dabei.

MusikBlog: Denkt man bei den ersten neuen Songs, die nach einer Tour etc entstehen unbedingt gleich an ein neues Album?

Duncan Lloyd: Nein, im ersten Moment denkt man nicht sofort an ein neues Album. Man steckt noch viel zu sehr im Tour-Modus drin und wenn sich doch einmal eine Lücke auftut, dann schreibt man einfach automatisch Songs und denkt nicht allzu viel über das nächste große Ding nach. Vor “The National Health” hatten wir ja so etwas wie eine Pause, daher konnten wir gar nicht anders als weitermachen. Anfangs hatten wir geplant die neu entstandenen Songs einfach als EP zu veröffentlichen und danach wieder ein wenig auf Tour zu gehen.

MusikBlog: Was hat euch dazu bewogen euren Plan zu ändern?

Duncan Lloyd: Unser Label war so angetan, dass wir schließlich beschlossen ein Album daraus zu machen. Wir wussten ehrlich gesagt zunächst nicht genau, ob wir noch mehr Material dafür hatten. Vielleicht wollten wir uns auch etwas vom Druck ersparen, indem wir eine EP veröffentlichen. Dazu kommt, dass unsere ganze Herangehensweise von einem Do-It-Yourself-Stil geprägt und vieles im Albumprozess unvorhersehbar war. Es gab keinerlei Vorgaben oder strenge Pläne, an die wir uns gehalten haben. Dadurch wurde dem Ganzen ein wenig von der Abgeklärtheit genommen, die leider oft ein Teil davon ist. Es ist wahrscheinlich auch seiner Entstehung nach das nord-englischste Album, das wir jemals gemacht haben. Sonst sind wir immer nach London oder auch nach Los Angeles gefahren, um dort aufzunehmen. Dieses Mal sind wir zuhause im Nordosten Englands geblieben.

MusikBlog: Rein thematisch betrachtet gibt es vom politisch motivierten “The National Health” eine Verschiebung zum sehr persönlich wirkenden “Too Much Information”. Macht es da mehr Sinn an einem Ort aufzunehmen, der einem ohnehin sehr am Herzen liegt?

Duncan Lloyd: Ja, sobald man zuhause aufnimmt, bekommt das was man tut eine viel persönlichere Note. Von daher hat es sich richtig für uns angefühlt nicht in die Ferne zu schweifen. Ausserdem hat es den Prozess beschleunigt vom Songwriting über die Aufnahmen bis hin zur Produktion. Die Songs sind bei uns zuhause entstanden und wir haben uns die Demos hin-und hergeschickt. Wir mussten keine Meetings mit möglichen Produzenten abhalten und dann wiederum weit wegfliegen, um uns an die Aufnahmen zu machen. Das kostet unter Umständen sehr viel Zeit, die wir viel lieber dafür genutzt haben, die Lieder unmittelbar fertigzustellen. Als Band haben wir uns in einem bekannten Territorium bewegt und die Zusammenarbeit war auch persönlicher.

Paul Smith: Mit jedem neuen Album gibt es sicherlich so etwas wie ein übergeordnetes Thema oder zumindest eine grobe Richtung, die man auf lyrischer Ebene einschlägt. Diese muss sich nicht zwangsweise sofort ergeben und manchmal werden einem bestimmte Dinge auch erst hinterher klar. Nachdem wir mit “The National Health” etwas geschrieben hatten, dass offen sozialere Aspekte betraf, haben wir nun wieder einen etwas anderen Weg eingeschlagen, obwohl ich sagen muss, dass politische Themen für mich auch immer persönlich sind. So wie du dich als Mensch gibst, so sehr definiert sich auch deine Art der Politik darüber und sagt einiges über dich aus. Mit dem letzten Album haben wir darüber philosophiert wie man aus einer schwierigen Situation wieder rauskommt. “Too Much Information” ist da mehr selbstreflektierend, was den Charakter angeht und deshalb auch nicht musikalisch so angriffslustig, sondern ein bisschen geisterhaft und stellenweise auch paranoid.

Duncan Lloyd: Eines der Demos, die ich Paul schickte, habe ich “Nights” genannt, weil der Song vom Klang her wunderbar diese nächtliche Stimmung aufgriff und zum Ausdruck brachte. Auf dem Album gibt es noch mehr Stellen, die emotional in diesen Rahmen passen. Abgesehen davon erlauben wir es uns tiefer in die entstehenden Stimmungsbilder einzutauchen, die wir auf dem neuen Album zeichnen. Wir wollten uns klanglich gesehen ausbreiten und ich hoffe die Fans entdecken hier und da diese Stellen in den Songs und können die verschiedenen Klangschichten wahrnehmen.

MusikBlog: Dann gab es im Entstehungsprozess von „Too Much Information“ also viele Nachtschichten und philosophisch angehauchte Mono-/Dialoge?

Paul Smith: Eine ganze Menge sogar. Bei jedem Album stellt man sich als Künstler die Frage: “Wer bin ich? Und wo befinde ich mich?”. Natürlich ist man immer ein und dieselbe Person, aber man muss lernen sich mit der Zeit auch neu definieren zu können. Schließlich bleibt man nicht stehen und wächst in vielerlei Hinsicht. Wir haben uns über die Jahre verändert, also warum soll unser Sound das nicht tun? Aus irgendeinem Grund gibt es aber genügend Bands, die ihr Leben lang wie eine Horde 20-jähriger klingen wollen. Das ist doch peinlich. Und absurd. Ich will mich lieber mit Dingen beschäftigen, die mich als Mensch im Hier und Jetzt berühren. Nur so kann ich doch aufrichtig meine Emotionen zum Ausdruck bringen. Man kann sich nicht vor der Welt da draussen verschließen. Und trotzdem dreht sich dieses Album nicht nur um die Belange anderer und das Weltgeschehen, sondern vor allem um mich (lacht).

MusikBlog: Ein kühnes Statement! Und das lassen die anderen dir durchgehen?

Paul Smith: Ja, ich stehe dazu und sage noch einmal: “Ich bin der Mittelpunkt dieses Albums! (erhebt die Stimme und versucht ernsthaft zu bleiben) Okay, das kann ich auch leichtfertig behaupten, denn ich schreibe schließlich die Texte. Aber gerade deshalb sehe ich mich eher als Sprachrohr. Wenn ich in der Ich-Form spreche, meine ich damit tatsächlich das “wir” und fühle mich in diesem Moment wie jeder andere da draussen, den womöglich die gleichen Sorgen und Ängste plagen. Chaka Khan hat gesungen “I’m Every Woman”. In dem Fall wäre ich sowas wie “I’m Every Man”! Wenn du einen Song oder auch nur eine Zeile darin magst und sie dir etwas bedeutet, dann bleibt genügend Raum für dich darin, dich ein stückweit selbst wiederzufinden. Du musst das Lied nicht selbst geschrieben haben, um dich damit identifizieren zu können. Ich kann mich allerdings nicht hinsetzen und versuchen aus einer völlig anderen Perspektive zu schreiben. Wer weiss, wie es klingen würde, wenn ich aus Duncans Sichtweise Texte schreiben müsste? Das wäre verrückt.

Duncan Lloyd: Mit Sicherheit würde alles ganz verschwommen klingen. (lacht)

Paul Smith: Ich weiss doch noch nicht einmal, wie mein eigenes Gehirn funktioniert. Wie sollte ich da auch nur annähernd erahnen, wie sich andere Leute fühlen und was sie denken?

Duncan Lloyd: Du weisst nicht, wie dein Gehirn funktioniert? Erst drehen sich alle Texte nur um dich, dann sagst du so etwas. Das ist das beste Interview, das wir jemals zusammen gegeben haben!  (beide lachen)

Paul Smith: Was ich damit ausdrücken wollte ist, dass andere Songwriter sich wunderbar in die Köpfe in ihrer Umgebung schleichen und von dort aus Songs schreiben können. Bei Maximo Park gab es aber schon immer diese sehr persönliche Basis, um die wir alles andere herum aufgebaut haben. Unsere Songs sind dazu da, damit man eine persönliche Beziehung zu ihnen aufbauen und über sich selbst nachdenken kann. Darum heisst das neue Album auch “Too Much Information”. Wir versuchen zwar auch, die Popstrukturen mit Twists zu versehen, aber vor allem geben wir unheimlich viel von uns preis. Es gibt auf beiden Ebenen sehr viel Informationen. Manchen ist das sicherlich zu viel und sie wollen keine Details hören, aber ich finde trotzdem, dass alle unsere Songs dem Hörer genügend Raum geben, um eigene Rückschlüsse zu ziehen und Verbindungen mit dem Inhalt herzustellen. Ohnehin kann man immer nur erahnen, wie viel von dem, was ich sage, wirklich mein persönliches Erlebnis ist oder ob es etwas ist, dass mich einfach nur beeinflusst hat.

MusikBlog: Wie ihr schon mehrfach betont habt, fürchtet ihr euch nicht davor, eure Emotionen in Songs zu verarbeiten. Habt ihr euch mit dieser Einstellung als Indie-Rockband schon einmal Ärger eingehandelt?

Duncan Lloyd: Weisst du, in England gibt es dieses Schema, dem man sich als Indie-Rockband am besten anpassen sollte, wenn man erfolgreich sein will. Da gibt es eine ganze Liste von Punkten, die man fein säuberlich abhaken kann, um als britische Band zu gelten und etwas herzumachen. Nein, danke! Wir brauchen keine lächerlichen 70er-Frisuren und müssen Stomp-Rock spielen. Ich will nicht alle britischen Bands über einen Kamm scheren oder respektlos sein, aber man will als Band doch als etwas Eigenständiges wahrgenommen werden. Natürlich ecken wir mit dieser Vorstellung von uns und unserer Musik manchmal bei anderen an, weil sie das nicht akzeptieren wollen. Dann werden dir Fragen entgegen geschleudert wie: “Warum seht ihr so komisch aus? Warum singt ihr nicht über Alkohol und Drogen?” .

MusikBlog: Wie Oasis? Cigarettes & Alcohol!

Duncan Lloyd: Genau! Nichts gegen Oasis, aber das meiste davon ist doch sowieso nicht wahr. Kaum einer lebt diesen Lifestyle wirklich und schafft es, gute Musik zu machen. Wir wollen Songs über reale Sachen schreiben! Vielleicht hat unser realer Background auch etwas damit zu tun. Wir haben alle 150 Jobs gehabt, um unsere Miete zu zahlen, sind auf die Uni gegangen und haben einen größeren Bezug zum Leben und seinen Herausforderungen. Andere Bands wie Field Music aus dem Nordosten Englands haben da einen ähnlichen “Reality-Check”. Uns ist es eigentlich egal, ob wir mit unserer Musik oder Meinung anecken. WIr wollen uns für niemanden verbiegen.

Paul Smith: Das fängt schon bei der Tatsache an, dass Synthesizer schon immer ein wichtiger Bestandteil für unseren Sound waren. Kaum eine andere Indie-Rockband hatte das zu unserer Anfangszeit, auch wenn er jetzt verstärkt zum Einsatz kommt, weil sich gewisse Bands umorientieren. Wir wollten damals nicht auf Teufel komm raus anti-klischeehaft sein, aber uns eben auch nicht zwingend anpassen. Dazu gehört, dass ich meinen nordenglischen Akzent nicht verstecke und nicht daran interessiert bin, etwas anderes als die Wahrheit mitzuteilen. Andere englische Bands sind vielleicht auch “working class” und singen über das Leben, aber ich möchte, dass meine Texte darüber hinaus eine gewisse Poesie ausstrahlen. Es werden einem viel zu oft zu abstrakte oder zu allgemeine Phrasen vor die Füße geworfen, die keinen wahren Gehalt haben.

MusikBlog: Wie zum Beispiel?

Paul Smith: Das Thema Liebe zum Beispiel. Ich höre so oft die drei Wörter “I love you” in Songs, die aber gleichzeitig so leer wirken. Geht das nicht ein bisschen tiefgründiger und kann man sie nicht in einen Kontext setzen, in dem sie wieder mehr Bedeutung haben? Auch musikalisch? Muss es immer so plump sein: “Hey baby, come on down to my plaaace…yeah!” und dann vielleicht noch ein aufgesetzter amerikanischer Akzent! Das ist sowas von peinlich.

MusikBlog: Ist es euch schon immer leicht gefallen, eure Gefühle über etwas zum Ausdruck zu bringen?

Paul Smith: Nein, ganz sicher nicht. Ich glaube, deswegen schreiben wir Songs! Innerhalb der Band schaffen wir es recht gut, offen miteinander umzugehen und können über alles reden. Wir sind vielleicht gerade was die Band-Konstellation angeht nicht völlig erwachsen, denn in einer Band zu sein, heisst oftmals auch kindischer zu sein als man das zum Beispiel im Kreise der Familie ist. Man reist viel umher und hat weniger Verantwortung zu tragen.

Duncan Lloyd: Zwischen uns Bandmitgliedern herrschte schon immer ein großes Verständnis, das mit der Zeit sogar noch größer geworden ist. Wir sind zwar alle sehr offen, aber dennoch gibt es manchmal Dinge, die man vielleicht eher musikalisch und nicht textlich zum Ausdruck bringen kann. Ich bin so dankbar dafür, dass einem als Musiker beide Türen offenstehen, um sich zu entfalten. Ich glaube die eigene Fähigkeit offen und deutlich seine Gefühle zu schildern, hängt viel von der eigenen Herkunft und dem Umfeld ab, in dem man aufgewachsen ist. Wenn du es nie gelernt hast oder es gar verboten war, über Gefühle zu sprechen, dann wirst du auch als Erwachsener Schwierigkeiten damit haben. Ich komme zum Beispiel aus einer Arbeiterfamilie, in der es nicht üblich war, über solche Sachen zu reden. Und doch habe ich dann später durch meine Freunde und auch den Generationswechsel gemerkt, dass es völlig in Ordnung ist solche Themen anzusprechen. Wenn du das Gefühl hast, du kannst jemanden vertrauen, dann öffnest du dich automatisch.

Paul Smith: Das Schöne an Musik ist ja, dass man als Hörer immer die Möglichkeit hat, die Songs anzunehmen und sich mit deren Inhalten zu identifizieren – mögen sie noch so persönlich sein. Irgendwo auf der Welt hat jemand genau das gleiche erlebt. Wir sind doch als Menschen alle auf einer universalen Art miteinander verbunden und fühlen ähnlich. Das Spektrum an Gefühlen ist dasselbe. Es heisst nicht, dass man bei einem Liebeslied hinterher plötzlich in der Lage ist “I love you” zu sagen, nur weil man sich damit identifizieren kann, aber es hilft dir vielleicht auf dem Weg dahin. Ich muss zu geben, dass ich auch die Dinge, über die ich in den Songs singe, womöglich nicht genau so zu jemanden sagen könnte.

MusikBlog: Das überrascht mich. Wirklich nicht?

Paul Smith:  Nein, nur wenn mich jemand gegen eine Wand drückt und mich dazu zwingt! Nur wäre ich dann sprachlich nicht so eloquent in meinen Aussagen wie in unseren Songs, falls ich das überhaupt bin. (lacht) Zumindest versuche ich es und uns liegt viel daran, in einem Song eben so gut es geht zum Kern der Dinge vorzustoßen. Wenn ich die Zeilen nicht singen, sondern jemanden ins Gesicht sagen müsste, würde ich wahrscheinlich anfangen zu nuscheln oder ganz leise sprechen, weil es nicht einfach ist, direkt zu sagen, was man fühlt. Unsere Songs beinhalten daher auch viele Fragen. Die Schwierigkeit liegt darin, die Antworten darauf zu finden, aber wir suchen danach.

MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.

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