Fiktion und Realität sind in der Musiklandschaft ebenso verankert wie in vielen anderen Künsten. Auch Ja, Panik verschreiben sich mit ihrem fünften Album „Libertatia“ erneut dieser so reizvollen Vorstellung einer Art Zwischenwelt und ziehen den Hörer in ihren Kosmos hinein, der dieses Mal etwas bunter und vor allem positiv-gestimmter wirkt als zuvor. Der grau-schwarze Schleier, der die Songs auf dem Vorgänger „DMD KIU LIDT“ bedeckte, wurde gelüftet und lässt die Band merklich optimistischer dreinblicken. Wir trafen Sänger Andreas Spechtl und Bassist Stefan Pabst anlässlich der Veröffentlichung ihres neuen Albums „Libertatia“ in ihrer Wahl-Heimat Berlin und sprachen mit ihnen über musikalische Ambitionen, die eigene Marktkonformität und den „Neuanfang“ als Trio.
MusikBlog: Mit „Libertatia“ schlagt ihr nicht nur musikalisch ein neues Kapitel auf, sondern habt auch in Sachen Bandkonstellation zum Trio geschrumpft eine Art Neubeginn zu bewältigen. Was wirft man dabei in die Waagschale, was bleibt bestehen?
Andreas Spechtl: Dieses Mal stellten wir uns schon die Frage wie und ob wir überhaupt weitermachen, nachdem die anderen ausgestiegen waren. Das muss man ganz klar so sagen. Wir haben das zu fünft so lange gemacht, dass man sich überlegt: „Ist das jetzt noch Ja, Panik?“. Uns war aber klar, dass wir zu dritt weiter Musik machen wollten. Da wäre es dann auch komisch gewesen sich als Ja, Panik aufzulösen. Der Gedanke weiterzumachen stand dem Ganzen voran. Nun haben wir ja live wieder zwei weitere Musiker mit an Bord. Mal gucken, wie das so wird. Vielleicht nehmen wir die nächste Platte wieder zu fünft auf.
MusikBlog: Wie schnell gewöhnt man sich denn an so eine Dreier-Konstellation, was den Arbeitsrhythmus angeht?
Andreas Spechtl: Was die Arbeit selbst betrifft, war es eigentlich keine große Umstellung für uns. Wir drei waren auch schon vorher diejenigen, die im Proberaum verstärkt an den Demos gearbeitet haben. Von daher mussten wir uns nicht allzu sehr umgewöhnen. Vom Sozialen her war es natürlich schon ungewohnt, denn wir haben alle zusammen gewohnt und dann fehlen plötzlich zwei. Man muss aber schon sagen, dass die beiden ja nicht gleichzeitig verschwunden sind. Thomas ist seit zwei Jahren und Christian seit einem Jahr nicht mehr dabei und es hat sich jeweils schon abgezeichnet. Es ist also nicht von einem auf den anderen Tag passiert. Trotzdem fehlen sie, ganz klar. Dennoch ist es sozial gesehen interessant zu beobachten, was so alles passiert, denn automatisch gewinnt jeder Einzelne an Gewicht. Sowohl innerhalb der Band als auch zwischenmenschlich. Und doch bleibt das Drumherum am Ende bestehen.
MusikBlog: „Libertatia“ ist mehr als „nur“ eine Platte bzw. eine reine Ansammlung von Songs geworden. Warum waren Songs alleine nicht genug und ein Manifest musste zum Beispiel her, um das Gesamtbild abzurunden?
Andreas Spechtl: Das gab es bei Ja, Panik irgendwie schon immer und wir haben Freude an solchen Dingen. Da sind wir schon ein bisschen größenwahnsinnig, was das angeht. Jetzt ist es das Manifest, dann haben wir noch unser Mode-/Handwerklabel oder auch unser Buch mit Schriften. Da passte das jetzige Manifest ganz gut in den bestehenden Ja, Panik-Kosmos hinein. Wir begreifen uns nicht nur als Musiker und wenn uns langweilig ist, dann beschäftigen wir uns eben mit unserem Label oder anderen Sachen. Wir haben große Spaß daran. Stefan näht auch mal gerne Dinge zusammen, töpfert oder graviert irgendetwas.
MusikBlog: Als reiner Zeitvertreib kann so ein Manifest im Vergleich zu den eben genannten Aktivitäten doch aber nicht gelten. Sonst könnte das ja auch unter Verschluss der Öffentlichkeit passieren, oder?
Andreas Spechtl: Ja, natürlich. Beim Manifest geht es da schon um mehr, das wollen wir auch nicht leugnen. Gerade sowas definiert uns ja auch als Band und wir machen Sachen mit denen wir uns bis zu einem gewissen Grad selbst erklären. Ich finde es, ebenso wie du, auch schwierig, wenn Musiker behaupten sie würden das alles nur für sich machen. Natürlich macht man das alles, um mit seinem Publikum zu kommunizieren. Dazu gehören für mich neben dem Musikmachen und dem Texten eben auch Dinge darüber hinaus. Ich möchte schon, dass das irgendwo da draussen bei jemanden ankommt.
MusikBlog: Das Manifest wirkt in seiner klar definierten Form ein wenig wie ein bewusst geschaffener Gegenpol zu euren vergleichsweise „freien“ Texten, die mehr Raum zur Interpretation lassen. Ist dem so?
Andreas Spechtl: Ja, das kann man durchaus so sehen. Ich habe zum Beispiel keine Lust in Liedern alles festzunageln. Das Schöne an Musik für mich ist ja, dass darin immer dieser Moment enthalten ist, der einen anregt anstatt einem etwas vorzuschreiben. Dann ist Musik für mich interessant. Es muss nicht immer der Nagel auf den Kopf getroffen werden.
MusikBlog: Die Systemkritik ist auch auf dem neuen Album weiterhin ein Bestandteil in euren Songs. Wird man nach fünf Alben unter Umständen auch mal müde verbal gegen bestimmte Dinge zu rebellieren und es schleicht sich so etwas wie Akzeptanz ein?
Andreas Spechtl: Ich glaube, ich kann behaupten, dass wir im Hinblick auf die Systemkritik nicht wirklich müde werden diese in unsere Songs miteinfließen zu lassen. Dazu kommt sie immer viel zu sehr aus uns persönlich und unserem Leben heraus. Es sind nach wie vor immer Dinge, die uns sehr beschäftigen und in unserem Alltag stattfinden. Deshalb hoffe ich, dass ich das auch noch machen kann so lange ich Musiker bin. Ich will mir diese kritische Haltung gegenüber bestimmten Dingen auch weiterhin bewahren und hoffe nicht, dass ich dahingehend müde werde. Was sich in den ganzen Jahren vielleicht ein wenig geändert hat, ist die persönliche Haltung, aber das hat wiederum etwas mit den eigenen Lebensumständen zu tun. Früher war die von uns geübte Systemkritik wahrscheinlich darauf aus vieles einfach nur zu verneinen. Heute ist diese schon einer optimistischeren Einstellung gewichen und ich kann ausdrücken, dass ich trotz allem Spaß an diesem Leben habe. Das hat sich augenscheinlich wohl am meisten geändert und man kann es gerade auf die neue Platte bezogen nicht leugnen.
MusikBlog: Andreas, du hast „Libertatia“ im Vorfeld als euer optimistischstes Album vom kritischen Standpunkt her bezeichnet. Woher kommt der neugewonnene Optimismus und wieso könnt ihr ihn gerade jetzt zulassen?
Andreas Spechtl: Viel schwärzer, anti und weltabgewandter als auf dem Album davor konnten wir ja kaum noch werden. Wenn ich an dieses Stadium unserer Band denke, dann waren wir eigentlich mit „DMD KIU LIDT“ an dem Punkt soweit unsere Band aufzulösen, uns umzubringen und alles war zum Scheitern verurteilt. Dann kommst du gezwungenermaßen irgendwann an den Punkt, an dem du realisierst: „Ich habe mich nicht umgebracht und die Band aufgelöst. Wie geht es nun weiter und wie gehe ich mit der Situation so um, dass ich mich auch noch selbst ernst nehmen kann?“ Mir muss anscheinend irgendetwas an dieser Welt liegen, sonst wäre alles anders gekommen. Also fängst du an deine eigenen Rückschlüsse daraus zu ziehen und trotzdem von diesem Standpunkt aus weiterhin Kritik zu üben. Das war der Anspruch den wir mit dieser Platte hatten. Es gibt auch gute Dinge inmitten all diesen Wahnsinns, der uns umgibt. Aus diesem Gefühl heraus ist „Libertatia“ entstanden.
MusikBlog: Libertatia ist historisch gesehen ein Ort zwischen Fiktion und Realität, dessen Sinnbild der Vergangenheit ihr laut eigener Aussage ins Jetzt transportieren wolltet. Ist so ein Ort wie Libertatia als Zukunftsvision überhaupt denkbar?
Andreas Spechtl: Libertatia ist für uns eher so etwas wie ein Fundstück, das letztendlich auch gar nicht viel mit unserem Album an sich zu tun hat. Bei uns funktioniert es als Band immer so, dass wir auf etwas stoßen, uns damit beschäftigen und dann füllen wir das Gefundene mit unserem eigenen Ding. Alles andere wäre mir auch zu rückwärtsgewandt. Wenn wir uns mit unserem „Libertatia“ beschäftigen, dann ist das mittlerweile schon so aufgeladen, dass in unserer Wahrnehmung eigentlich nur noch der Ja-Panische-Begriff existiert.
MusikBlog: Zum Tourstart für das Album werdet ihr beim Eurosonic Noorderslag spielen – einem wichtigen Showcase-Festival auf dem europäischen Markt. Was versprecht ihr euch als überwiegend deutschsprachige Musiker davon?
Andreas Spechtl: Da machen wir uns ehrlich gesagt nichts vor. Wir singen nun einmal überwiegend auf Deutsch. Wir spielen natürlich sehr gerne dort, aber wir sind auch keine Band, die sich denkt: „Wow, da springen ein paar wichtige Leute herum und dann passiert etwas Großes“. Dazu sind wir einfach nicht marktkonform genug.
Stefan Pabst: Da wird jetzt kein englischer Tycoon sizen und sich denken: „Die bringe ich groß in England und Amerika raus!“. Die deutschen Vertreter vor Ort wiederum kennen uns sehr wahrscheinlich schon.
Andreas Spechtl: Ich glaube, wenn wir auf Englisch singen würden, wäre das schon ein wichtigeres Konzert für uns. So machen wir das jetzt einfach, weil es uns interessiert. Ansonsten brauchen wir uns da jetzt nichts vorzumachen. Das interessiert einfach die meisten Leute nicht. Dazu sind wir im Ausland auch zu wenig das, was man als eine deutschsprachige Band gut vermarkten könnte – und das ist auch gut so. Wir sind nun einmal keine Band à la Rammstein. Das funktioniert aber als deutsche Marke. Ich glaube schon, dass es einige Leute gibt, die sich von uns wünschen würden, dass wir mal ein auf Hochglanz produziertes Video machen.
MusikBlog: Stattdessen kommt ihr zum Titelsong „Libertatia“ mit einem Do-It-Yourself-Video um die Ecke und pfeift einmal mehr auf die Erwartungshaltung anderer.
Andreas Spechtl: Ja! Das kann man schon so als Statement verstehen. Ich halte viele Videos heutzutage schon gar nicht mehr aus, wenn ich mir welche ansehe. Diese ganze Werbeästhetik…ich weiss ja manchmal gar nicht mehr, ob ich mir eine Deo-Werbung oder das neueste Video von Pharell anschaue. Ganz ehrlich, auf sowas haben wir keinen Bock!
Stefan Pabst: Auf gewisse Weise komplettieren Musikvideos das Bild, das man von einem Künstler hat, aber man muss sich schon die Frage stellen inwiefern Videos noch eine Rolle spielen. Sind Videos wirklich noch eine Visitenkarte, die ähnlich wie der Song selbst eine Reichweite besitzen? Mittlerweile kann jeder Filmstudent ein Hochglanz-Video produzieren und es braucht nicht mehr allzu viel, um eine Idee umzusetzen, was früher noch ganz anders war. Genau deswegen haben wir uns bei „Libertatia“ dazu entschieden ein Badewannen-Video zu drehen, bei dem eine iPhone-Kamera wahrscheinlich eine bessere Auflösung gehabt hätte.
Andreas Spechtl: Ich glaube, gerade weil die Technik so weit fortgeschritten ist, wird die Idee hinter einem Video wieder umso wichtiger. Über kein anderes Ja, Panik Video wurde so viel diskutiert wie über „Libertatia“. Und wir haben das Ding in einem Take gedreht.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.