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Ja, Panik – Libertatia

2011 erschien mit “DMD KIU LIDT” eines der relevantesten deutschsprachigen Alben des Jahrtausends, eine Offenbarung des Scheiterns mit dem die in Berlin ansässigen Österreicher Ja, Panik die Weiterentwicklung des Kaputten und der damit verbundenen Angst vor dem “Money” und dem ganzen verdammten Rest perfektionierten. Minutenlange Stille am Ende der Platte war Ausdruck der Aussichtslosigkeit der Künstler, den Zustand der flächendeckenden Ignoranz gegenüber nicht Mainstream kompatibler Denkansätzen auch nur ein Stück verändern zu können. Dazu passt die Tatsache, dass dieses Über-Album auch nur 12.000 Einheiten absetzte, Wahrheit ist eben jedermanns Sache nicht.

Stille ist auch der Zustand, welcher das Schaffen  von Ja,Panik seitdem begleitete, sieht man von der grandiosen „Cop Killer“ Coverversion zum Ausklang ihrer schütter angelegten Live Aktivitäten ab. In diesem Konsens kam die Ankündigung eines neuen Albums eher überraschend. Die zum Trio geschrumpfte Band benannte ihr Themen-Album nach dem  fiktiven Libertatia, der Sage nach, ein an der Spitze Madagaskars gelegenes, von Piraten am  Ende des 17. Jahrhunderts gegründetes Land, in der eine klassenlose Gesellschaftsform die Schätze der Freibeuter miteinander teilte. Sebastian Janata, Stefan Pabst und Sänger Andreas Spechtl  tragen diese Ideen als Zärtlichkeit mit sich und hinein in den “Herbst Europas“. Die Grundgedanken dazu  sind auf ihrer Website verschriftet.

Bereits das vermutlich im WG Bad der Band (der Sanitärinstallation zufolge ein Nachkriegs-Bau) aufgenommene Video zum Titelstück überrascht, nichts erinnert mehr an den unterkühlten, teils spartanischen Klang des Vorgängers. Es regiert eine neue Zuversicht, zeigt die badenden Männer auf dem Weg in neue Musik- und sonstige Welten,  sich in Gebärdensprache gegenseitig pflegend. Ihr Sänger, nackt die ehrliche Haut präsentierend, singt dazu wie der junge Bryan Ferry.

Die Kompositionen auf “Libertatia” sind leichtfüßig, Synthesizer schwelgen in gefälligen Harmonien und scheuen nicht vor einem retrograd anmutenden Songeinstieg (“Alles Leer”) zurück, ein souliger Bass  schmeichelt sich ins Ohr. Die Stücke sind Pop-Songs geworden, ähnlich denen von Blumfeld (sorry, ich hatte mir wirklich fest vorgenommen, den Lehrkörper der Hamburger Schule in dieser Rezension nicht zu erwähnen), die auf ihrem dritten Album “Old Nobody” die Möglichkeiten der Melodie erkannten.

Natürlich kommt hier ein musikalischer Wolf im Schafspelz aus dem Lautsprecher, die Platte klingt schließlich doch wie der Soundtrack zum zerbröselnden Europa. Die Libertatianer tanzen in „Dance the ECB“  den Schuldenberg und ihre Protagonisten zum Teufel, Spechtl  bemüht den Straßenkampf und raunt „All Cats Are Beautiful“  in „ACAB“. Aber natürlich sind immer noch alle Cops Bastards, Grundschulwissen im sozialen Brennpunkt.

Der Frontmann ist ein Poet, weiß Storys über Oberflächlichkeit und Phrasen-Dreschen („Post Shakeytime Sadness“) zu erzählen, vorgetragen in perfekt zusammengewürfeltem Deutsch-Englisch-Mix und dabei auch in der Lakonie seines Vortrags (“Chain Gang”) fest im Schulterschluss mit Role Model Falco stehend. Den intensivsten Moment hat „Libertatia“ bei seinem längsten Stück „Eigentlich Wissen es alle“, einer sensiblen Beschreibung sozialer Zuordnungen, getragen von diffusen Unbehagen. Einem  Zustand, in dem selbst Bourgeois-Gören merken, dass hier etwas nicht stimmen kann, wenn sie sich 3 mal in der Woche beim Lieblingsitaliener Rinderfiletspitzen bestellen. Die Unsicherheit der eigenen Positionierung hinsichtlich zu erwartender Veränderungen, besangen 1999 Tocotronic in „Eine neue Seltsamkeit“ bereits einmal treffend.

So wie die Jakobiner, die auch Spechtl beim Song „Au Revoir“ in sich erkennt, und welche die französische Revolution durch Willkür, Gewalt und Terror ersetzten, werden arabische Frühlinge und orangene Revolutionen nur so lange etwas verändern, bis einige Tiere beschließen, gleicher  zu sein als andere (vgl. Orwell „Farm der Tiere“), während die überwiegende Merhheit in Scheinsicherheit verharrt. Das ist einer der Gründe, warum von Europa am Ende wahrscheinlich wirklich nur ein abgeschotteter Kern übrig bleiben wird, wie es bereits Lars Kraumes  dystopischer Film „Die kommenden Tage“  visualisierte.

Bleibt also nur, die Segel zu setzen und das Land vor unserer Zeit suchen. Vielleicht ist unser „Antananarivo“ der Ort in uns, in dem wir „Ruhig sitzen können in den Sieben Meilen Shoes“ wie es der abschließende Song  im Rousseau´schen Sinne beschreibt. Ja, aber keine Panik – diese Platte kommt mit auf das Schiff.

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