In den 80ern und frühen 90ern kam niemand an Neneh Cherry vorbei. Dann wurde es nach drei Studioalben eine Zeit lang ruhig um die schwedische Künstlerin, die sich mit zahlreichen Ohrwürmern wie „Manchild“, „Buffalo Stance“ oder „7 Seconds“ weltweit einen Namen gemacht hatte. Das Familienleben stand an erster Stelle und Cherrys Name blitzte nur vereinzelt in Projekten wie ihrer Zusammenarbeit mit The Thing oder CirKus auf. 2014 war aber endlich Schluss mit der Zwangspause und die Ankündigung eines neuen Soloalbums schlug bereits hohe Wellen.
Ein unbeschriebenes Blatt ist die Sängerin mit der markanten Stimme keineswegs, aber mit „Blank Project“ zückte sie dennoch ein weisses Blatt, um es daraufhin mit neuen Songideen zu füllen. Das Resultat: Neneh Cherry blickt musikalisch nach vorne und zeigt sich experimentierfreudig wie eh und je anstatt sich auf ihrem Erfolgsrezept vergangener Zeiten auszuruhen. MusikBlog traf die sympathische Pop-Ikone in Berlin und entlockte ihr u.a. Antworten auf die Fragen nach der Zusammenarbeit mit Mastermind Kieran Hebden (Four Tet) sowie Robyn und hakte einmal nach, wie man nach so langer kreativer Funkstille wieder das Feuer entfacht.
MusikBlog: Im Schwedischen gibt es das Sprichwort: „Those who wish to sing always find a song“. Gilt diese Aussage auch für deine Leidenschaft für das Singen?
Neneh Cherry: Ich glaube schon, dass das auch für mich zutrifft. Ich bin eine dieser Personen, die sich gut an bestimmte Klänge, aber nicht so sehr an den Text erinnern kann. Meine Töchter sind in dieser Hinsicht das genaue Gegenteil von mir. Sie müssen einen Song nur ein Mal hören und können ihn auswendig. Zu singen bedeutet für mich den Dingen einen Sinn zu geben und mir über etwas im Klaren zu werden. Es ist meine Art das Leben um mich herum zu verarbeiten.
MusikBlog: Der Sound auf „Blank Project“ wird von einem Paradox aus kühlen Industrial-Klängen und deinen warm wirkenden Vocals bestimmt. Was empfindest du an diesem Gegensatz als besonders anziehend?
Neneh Cherry: Ich habe wohl schon immer eine natürliche Anziehung verspürt, wenn es darum ging gegensätzliche Elemente miteinander zu verbinden. Es ist jedes Mal wieder eine tolle Herausforderung, die ich gerne annehme. Ausserdem macht es Spaß Sachen miteinander zu verbinden, die vielleicht im ersten Augenblick nicht unbedingt für einander geschaffen sind. Ich mag es zum Beispiel einer schönen Melodie etwas Harsches entgegenzusetzen. Es ist, als ob man Ying und Yang miteinander vereint. Das Positive trifft auf das Negative. Mir gefällt es in dieser Hinsicht Regeln zu brechen, aber ich tue das nicht um jeden Preis und schon gar nicht, um dadurch rebellisch zu wirken. Ich bin etwas allergisch, wenn es darum geht den offensichtlichen Weg einzuschlagen, wenn es auch anders funktioniert. Bei diesem Album ist die Musik aber eher auf unbewusste Weise entstanden und war eine Art Begleiterscheinung all dessen, was ich in diesem Moment gefühlt habe. Das gilt auch für die zum Ausdruck gebrachte Rauheit in den Songs. Nichts davon hätte funktioniert, wenn wir sie künstlich erzeugt hätten. RocketNumberNine und Kieran (Hebden) haben viel dazu beigetragen, dass die Platte auf diese Weise zustande gekommen ist.
MusikBlog: Welche Phasen hast du während der Arbeit an „Blank Project“ durchlaufen?
Neneh Cherry: In der ersten Phase des Albums habe ich mich hingesetzt, die eigentlichen Songentwürfe gemacht und den Grundstein geschrieben. Das konnte ich aber nur machen als ich mir sicher war, dass ich am richtigen Punkt angekommen war, um den nächsten Schritt zu gehen. In der zweiten Phase habe ich mich mit meinem Mann Cameron ausgetauscht und weiter an den Songideen gearbeitet. Wir sind in das Studio eines Freundes und haben dort die ersten Demos aufgenommen. Ungefähr einen Song pro Tag. Als ich anfing an dem Album zu arbeiten, hatte ich das Gefühl ich müsste dafür mental an einen anderen Ort reisen. An einen Platz, an dem ich in dieser Form und im Vergleich zu meinen anderen Platten noch nie gewesen bin.
MusikBlog: Also ein kleiner persönlicher Sinneswandel?
Neneh Cherry: Ja, in der Vergangenheit musste ich immer sehr konzentriert und vor allem für mich allein an den Songs arbeiten. Bei „Blank Project“ habe ich gelernt, loszulassen und mehr Raum zum Freestylen zu schaffen. Während des Schreibens wurde mir klar, dass die Songs ein raueres Umfeld brauchen und wir sie nicht akustisch, sondern vielmehr als Live-Sound aufnehmen sollten. Dann traf ich RocketNumberNine und wir probten vier der Songs für eine Show. Es war wie ein großer Zusammenprall und ich wusste, dass ich ihren Sound für meine Songs haben wollte. Wir haben ihnen nicht erlaubt die Demo-Versionen zu hören, sondern haben ihnen immer nur Sound-Schnipsel, manchmal sogar nur Vocal-Spuren gegeben und sie durften sich damit austoben.
MusikBlog: Warum hast du ihnen so viele Freiheiten gelassen?
Neneh Cherry: Wir wollten nichts Glattpoliertes! Ich finde die Songs sind damit erst so richtig zum Leben erweckt worden und mich hat es gleichzeitig mit nach oben katapultiert. Hinein in die nächste Phase meiner persönlichen Reise. Für RocketNumberNine war das ebenfalls eine aufregende Zeit, denn sie sind es normalerweise nicht gewohnt so zu arbeiten, sondern machen zu zweit ihr Ding. Es war sicherlich ungewöhnlich für die beiden sich plötzlich Song-Arrangements anzusehen und sich auf ein paar strukturelle Vorgaben einzulassen.
MusikBlog: Auf einem der Tracks „Out Of The Black“ hast du dir deine schwedische Kollegin Robyn an deine Seite geholt. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?
Neneh Cherry: Kieran meinte dann irgendwann zu mir, dass er Robyns Stimme förmlich schon auf diesem Song hören könnte. Ich wusste, dass ich mit Robyn auf diesem Album zusammenarbeiten wollte und war ebenfalls von dieser Idee angetan es mit dem Track zu probieren. Er schrie geradezu danach von ihrer Stimme begleitet zu werden und ich kämpfte ohnehin schon mit der Melodie. Mein Mann schrieb den Refrain dafür und setzte ihn ursprünglich etwas zu hoch für meine Stimme an, weswegen ich nicht so gut damit zurecht kam. Es gibt dem Ganzen aber auch etwas Zerbrechliches, was mir gefällt. Selbst Robyns Gesangspart ist für ihre Verhältnisse ein wenig zu hoch angesetzt, obwohl sie die hohen Töne so gut beherrscht.
Mit diesem Song habe ich mich vermutlich am Schwersten von allen getan. Alle anderen Songs waren bereits fertig als wir uns im Studio an die Arbeit daran machten. Wir hatten zunächst sogar ein anderes Arrangement, das viel künstlicher klang. Ich dachte mir die ganze Zeit über: „Dieser Song macht mich noch verrückt!“. Also legten wir den Song für einen Tag beiseite und ließen ihn ruhen. Als wir ihn wieder anpackten, probierten wir es mit einer viel entspannteren Version, die wir dann auch für das Album beibehalten haben. Der Gesang hat mir wohl am meisten Probleme bereitet.
MusikBlog: Siehst du Parallelen zu Robyn und deiner eigenen Karriere bzw. Person?
Neneh Cherry: Vielleicht haftet dem Song ein wenig der Generationsgedanke an. Mich verbindet mit Robyn ein sehr enges und schwesterliches Verhältnis. Es kann durchaus sein, dass ich unterschwellig Gemeinsamkeiten zu mir selbst sehe, wenn ich beobachte, was sie tut. Ich will damit nicht sagen, dass wir uns unbedingt gleichen, aber sie ist eine wunderbare Weggefährtin für mich geworden und unser Verhältnis ist sehr kameradschaftlich. Ich glaube, wir verehren uns beide schon lange gegenseitig und es war an der Zeit endlich mal etwas zusammen zu machen. Wir hatten in der Vergangenheit schon öfter darüber gesprochen. Die Leute haben wahrscheinlich einen groß angelegten Dancefloor-Knaller mit feministischer Botschaft von uns erwartet und ich kann das nachvollziehen, aber das ist auch einer der Gründe, warum wir es letztendlich nicht getan haben und in eine andere Richtung gegangen sind. Robyn und mich verbindet diese besondere Nähe, da wollten wir lieber authentisch bleiben und unser Ding machen. Am Ende ist dabei fast schon etwas Melancholisches und Introspektives herausgekommen. Für alle anderen Erwartungen kann vielleicht Joe Goddards Remix Abhilfe schaffen (lacht). Meistens ist es in Kollaborationen eher der Fall, dass man sich gegenseitig überbieten möchte. Bei Robyn und mir war das aber kein Thema. Wir haben uns emotional gesehen viel kleiner gemacht als sonst.
MusikBlog: Du hattest schon immer eine Affinität zur Underground-Szene und warst selbst in deiner Pop-Phase nicht klischeehaft oder angepasst. Ist „Blank Project“ seiner nonkonformen Herangehensweise nach so etwas wie eine Verbeugung vor eben dieser Szene?
Neneh Cherry: Möglicherweise, obwohl ich keinesfalls ein Problem mit Popmusik habe. Ich würde sagen „Blank Project“ ist so etwas wie ein experimentelles Pop-Album. Für mich hat Popmusik viel mit einer bestimmten Struktur zu tun, die immer und immer wieder aufgegriffen wird. Es gibt da seit einer Ewigkeit dieses Muster, das gerne kopiert wird, wenn es um den Aufbau eines Popsongs geht. Der Geist meines neuen Albums geht da definitiv in eine andere Richtung und versucht sich von solchen Mustern zu lösen. Mein musikalisches Naturell hat schon immer in diese Richtung getickt. Gerade nach meinem dritten Album hatte ich das Gefühl wieder mehr dorthin gelangen zu müssen, denn ich fühlte mich etwas eingeschränkt.
MusikBlog: Von was hast du dich damals eingeschränkt gefühlt?
Neneh Cherry: Das hatte aber weder etwas mit der Erwartungshaltung der Medien und Fans noch etwas mit meiner Plattenfirma zu tun. Ich musste feststellen, dass ich zu diesem Zeitpunkt künstlerisch nicht in der Lage war weiter zu wachsen. Und dann kamen Mitte der 90er all diese Girl-Groups bzw. Boy-Bands und ich fühlte mich in diesem Pop-Umfeld nicht wirklich zuhause. Mit „The Cherry Thing“ konnte ich wieder mehr an meine natürlichen Instinkte anknüpfen und es hat sich wie ein Befreiungsschlag angefühlt so zu arbeiten. „Blank Project“ ist also nicht der krampfhafte Versuch „underground“ zu sein, denn in meinem Alter wäre das auch nur lächerlich! Ich bin einfach nur froh musikalisch wieder an einem Ort zu sein, an dem ich mich wohlfühle und der gleichzeitig mein Interesse und meine Motivation ankurbelt.
MusikBlog: Wie gut konntest du dich vom Druck freimachen nach so vielen Jahren wieder ein Soloalbum aufzunehmen?
Neneh Cherry: Es war allgemein eine sehr befreiende Erfahrung für mich, in deren Verlauf ich wirklich gut loslassen konnte. Statt mich eingeengt zu fühlen, habe ich erkannt, dass es in den meisten Fällen viel zu sehr darum geht, was am Ende als Produkt herauskommt. Dabei ist der Weg dorthin doch entscheidend und die Aufmerksamkeit sollte sich nicht nur auf das Resultat versteifen. Wenn man kreativ sein will, dann muss man sich eingestehen, dass nicht alles, was man in dieser Phase schafft auch perfekt ist. Es geht vielmehr darum losgelöst an etwas zu arbeiten und dabei nicht den Druck von aussen irgendwann zu dem Eigenen werden zu lassen. Genau darum habe ich auch so am Albumtitel „Blank Project“ Gefallen gefunden. Für mich war zu Beginn der Arbeit alles an diesem Album wie ein weisses Blatt Papier, das noch völlig unbeschrieben ist. Natürlich kann ich nicht behaupten, dass ich vor der Veröffentlichung nicht nervös war, aber ich habe auch akzeptiert, dass ich eben nur so viel zu geben hatte, was diese Platte angeht. Anfangs hat mich die Vorstellung ein Album zu veröffentlichen aus der Fassung gebracht, auch wenn ich von den Songs überzeugt war. Das hat sich dann gegeben als ich mit etwas Abstand auf alles blicken konnte.
MusikBlog: Nicht viele Künstler schaffen es nach so vielen Jahren der Funkstille etwas Eigenständiges zu schaffen, dass weit davon entfernt ist nostalgisch auf das eigene Werk zurückzublicken oder dieses gar zu zitieren.
Neneh Cherry: Danke. Natürlich wird niemand gerne kritisiert und schon gar nicht, wenn man sich dann hinterher vielleicht eingestehen muss nicht alles versucht zu haben. Oder man selbst unzufrieden mit all den Kompromissen ist, die man eingegangen ist. Von daher bin ich froh auf das Album zu blicken und mich abends beim Schlafengehen nicht elend zu fühlen (lacht).
MusikBlog: Wie bereits angesprochen, hast du mit Kieran Hebden (Four Tet) zusammengearbeitet, der als Produzent des Albums tätig war. Er gilt als Virtuose des zeitgenössischen Dance-Elektro-Genre. Welche Art von kreativer Spannung herrschte während der Arbeit an den Songs zwischen euch?
Neneh Cherry: Es war auf jeden Fall keinerlei negative Spannung zwischen uns vorhanden. Seine Herangehensweise an die Musik ist unglaublich. Er tut es oftmals auf eine sehr simple, aber überaus effektive Weise. Er weiss ganz genau, was er macht und hat neben Four Tet noch so viele andere experimentelle Projekte, die großartig sind. Was ihn besonders auszeichnet, ist seine Vielseitigkeit. Er ist ein sehr guter Freund von RocketNumberNine und war bereits mit ihrem Sound vertraut. Als wir uns das erste Mal trafen, herrschte von Beginn an ein sehr unkomplizierter Vibe zwischen uns, was sehr angenehm war. Ausserdem ist er ein sehr direkter Mensch, was die Arbeit wirklich erleichtert. Wenn er an seinen eigenen Songs tüftelt, taucht er dabei ganz sicher in eine andere Welt ein. Entscheidet er sich jedoch mit jemanden zusammenzuarbeiten, wie in meinem Fall, dann lässt er sich wirklich vollkonzentriert auf die Musik ein und will wirklich dahinter steigen.
MusikBlog: Und das, obwohl ihr nicht allzu viel Zeit im Studio verbracht habt.
Neneh Cherry: Das stimmt! Ich habe mich sehr geehrt gefühlt ihn als Produzenten an meiner Seite zu haben. Wir haben jeden Tag an zwei Songs gearbeitet und trotzdem war es eine sehr entspannte Atmosphäre. Ich habe sehr viel von ihm gelernt. Vor allem, was es heisst Vertrauen zu haben, loszulassen und die Dinge einmal etwas simpler zu sehen als sonst. Kierans Arbeitsweise ist fast schon oldschool und kann als traditionell bezeichnet werden. Unser Studio war auch aus den 70ern!
MusikBlog: Im letzten Song des Albums „Everything“ singst du: „Good things come to those who wait“. Das lange Warten hat sich nicht nur für deine Fans gelohnt. Bist du froh deiner Solokarriere noch ein weiteres Album hinzugefügt zu haben?
Neneh Cherry: Letztens sang ich diese Zeile und mir wurde bewusst, dass vielleicht ein wenig Ironie in ihr steckt. Es ist toll, wenn man Ausdauer besitzt und auf bestimmte Sachen im Leben wartet, aber das muss nicht automatisch mit einem Erfolgserlebnis verbunden sein. Manchmal wartet man leider auch vergebens…Ich spiele, was diese konkrete Textzeile angeht, ein wenig mit dem Inhalt. Persönlich gesehen glaube ich allerdings schon daran, dass man mit Geduld auch viel erreichen kann.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.