Gründonnerstagabend im Münchner Backstage. Jede Woche werden hier die Nächte zu Reggae- und Dancehall-Beats durchgetanzt. Heute wartet das Publikum auf eine ganz besondere Show: Der bekannteste deutsche Reggaekünstler Gentleman tritt bei einer Soundsystem-Show auf, ohne große Band, sondern zusammen mit einem DJ in Club-Atmosphäre.
Die Prime Time bei einer solchen Reggae-Soundsystem-Show ist in der Regel viel später als bei einem normalen Konzert. Wenn der Hauptact erst um drei Uhr morgens aus dem verrauchten Backstageraum kommt, ist das nicht ungewöhnlich. Heute herrscht aber ein enger Zeitplan. Um zwei Uhr muss Schluss sein, denn am Karfreitag gilt Tanzverbot. So ist die Halle ausnahmsweise bereits ab 21 Uhr gut gefüllt und das lokale Soundsystem Blazin‘ Tiger legt Reggae-Hits aus den letzten Jahren auf.
Gegen 22 Uhr beginnt das Live-Programm mit dem Jamaikaner Kabaka Pyramid. Der Rastamann heizt das Publikum mit Roots-Reggae-Nummern an und übergibt das Mikrofon nach einer knappen Stunde an Gappy Ranks aus London. Jetzt krachen härtere Dancehall-Beats aus den Boxen und die Leute, die vorher noch eher planlos herumgestanden sind, kommen in Bewegung. Gegen 0 Uhr endet das Vorprogramm. Das Soundsystem kündigt an, vor der Gentleman-Show noch 10 Minuten aufzulegen und tut das dann 30 Minuten lang.
Für einen echten Gentleman gilt „Ladies first“, lässt der DJ das Publikum wissen. So schickt Gentleman seine beiden Background-Sängerinnen vor, die noch eine Hand voll Songs performen, bevor der Kölner um halb eins die Bühne betritt. Dort bleibt er aber nicht lange. Diese Show gehört dem Publikum und Gentleman sucht den direkten Kontakt. Er springt von der Bühne, stellt sich ganz vorne auf die Absperrung, schüttelt Hände und würde am liebsten jeden persönlich umarmen.
Einen der Besucher erkennt der Sänger sofort. „Der Typ ist bei jedem Konzert da!“, teilt er dem Publikum mit und hält dem jungen Mann sein Mikrofon hin. „Das ist meine 19. Gentleman-Show!“, bestätigt dieser und ist sichtlich glücklich, dass ihn der Reggae-Star bemerkt hat. Dieser bleibt noch für die ersten paar Songs in der Menge, bevor er zurück auf die Bühne klettert.
Gentleman lässt seine Show locker angehen und schüttelt gemütlich einen Hit nach dem anderen aus dem Ärmel, ein paar neue Nummern wie „Heart of Rub-A-Dub“ und viele der älteren Stücke, die den Kölner zu einer weltweit bekannten Reggaegröße gemacht haben. Das Spektrum des Sängers reicht von der Liebeserklärung an seine Mutter bis zur aggressiven Kampfansage gegen das System, bei der alle Rebellen im Publikum die Faust heben sollen.
Als das martialische Intro zu „Leave us alone“ erklingt, kommen noch einmal Kabaka Pyramid und Gappy Ranks auf die Bühne. Schnell ist klar: Jetzt beginnt eine Dancehall-Jamsession. Die drei Sänger spielen sich gegenseitig den Ball zu, freestylen und mischen ihre Stile und Texte. Gefühlte 10 Minuten stampft der monotone Beat vor sich hin und wird zum Highlight der Show. Die spontane Message der Nummer entnimmt Gentleman der Aufschrift von Kabaka Pyramids T-Shirt und formt daraus einen Refrain: „God, Allah, Buddah, we are one!“ – Wir sind eins, egal welcher Religion wir angehören.
Danach geht alles weiter wie gehabt. Gentleman legt eine Routine an den Tag, die zeigt, dass er sein Publikum kennt. „Was wollt ihr hören?“, fragt er die Leute, nur um die Antwort gleich mitzuliefern: Aus den Boxen ertönt das Intro zu „Dem Gone“ und die Sängerinnen stimmen die markante Anfangszeile „Jahjah is real!“ an. Im Anschluss folgt „Superior“. Offenbar sind das die beiden meist gewünschten Songs im Programm.
Von seinem Chart-Hit „You remember“ fehlt bei dieser Show jede Spur – Gentleman weiß, dass er es hier nicht mit einem Mainstream-Publikum, sondern mit der Szene zu tun hat. So beendet er das Konzert mit einer A-Capella-Version von Bob Marleys „Redemption Song“. „Wont you help to sing, these songs of freedom?“ – Das Publikum singt alle Strophen textsicher mit und man bemerkt kaum, dass der Künstler beim letzten Refrain die Bühne bereits verlassen hat. Ein sinnlicher Moment, der Gänsehaut erzeugt. Und wenn man bedenkt, dass Tillmann Otto, wie Gentleman wirklich heißt, der Sohn eines Pastors ist, gelingt hier vielleicht sogar eine angemessene Überleitung in die Ruhe des christlichen Feiertages.
Pünktlich zur Karfreitags-Sperrstunde um zwei Uhr endet das Konzert. Die Reggae-Fans verlassen brav die Halle, vor der bereits die Münchner Polizei wartet, um jeden weiteren Tanzversuch schnell unterbinden zu können.