Rock’n’Roll ist tot? Wer auch immer dieser Meinung ist, hat die Rechnung offensichtlich ohne drei Herren aus Glasgow gemacht, die mit ihrem Debüt “Amphetamine Ballads” gerade lautstark zum Gegenschlag ausholen. The Amazing Snakeheads wirken wie die bedrohliche Verkörperung der Rock’n’Roll Essenz. Ihre eindringlichen, intensiven Songs sind so etwas wie der Alarmknopf, den man in einem Moment der Angst drückt, um dann wie gebannt zu erstarren, weil die Gefahr gleichzeitig ein Abenteuer verspricht. Im Gespräch mit MusikBlog sitzen uns allerdings zwei vergleichsweise handzahme Musiker gegenüber, die die Leidenschaft für den Rock’n’Roll auch verbal zum Ausdruck bringen und dabei mit uns ungekünstelt über dessen persönliche Bedeutung für sie reden.
MusikBlog: Ihr habt mit eurem Song “Testifying Time” bereits im letzten Jahr für Wirbel gesorgt. Dabei geht dieser nur eine knappe Minute. Braucht es nicht mehr, um Unruhe zu stiften?
Dale Barclay: Wir haben festgestellt, dass eine Minute völlig ausreichen kann, um die Leute wachzurütteln und aufzuschrecken. Es war der erste Song, den wir überhaupt aufgenommen haben. Wir wollten daher unbedingt so viel Energie wie möglich damit einfangen.
Jordan Hutchison: Als wir den Song aufnahmen, hatten wir nicht die Absicht etwas besonders Kurzes oder Aufwühlendes festzuhalten. Es gab keinen Plan, wie der Song auszusehen hatte. Alles was wir wollten, war die Energie zu transportieren, die wir live freisetzten, wenn wir dieses Stück spielten. Und das hat am Ende ganz gut funktioniert.
MusikBlog: Haben sich die Aufnahmen zum anschließenden Debütalbum ebenso unkompliziert gestaltet oder war es eine ganz andere Erfahrung für euch?
Dale Barclay: Wenn ich beides miteinander vergleichen müsste, würde ich schon sagen, dass es da Unterschiede gab. Die Aufnahmen zum Album haben sich definitiv anders angefühlt. Schon allein aus dem Grund, weil uns bewusst war, dass es dieses Mal nicht nur um einen Song, sondern gleich ein ganzes Album ging. Das war eine ganz besondere Zeit für uns. Wir hatten schon so lange damit geliebäugelt ein Album aufzunehmen und wollten nach “Testifying Time” unbedingt mehr als nur eine 7″ veröffentlichen.
Jordan Hutchison: Die Aufnahmen zur Single waren so schnell im Kasten, dass wir uns sehr darauf freuten mehr Zeit im Studio zu verbringen und länger an den einzelnen Songs zu arbeiten, um diese weiterzuentwickeln. Dazu brauchten die Stücke schon etwas mehr Aufmerksamkeit als bei unserem ersten Studiobesuch.
MusikBlog: Das Albumformat als solches hat im Zuge der veränderten Hörgewohnheiten und der Reaktion der Musikindustrie darauf etwas von seinem ursprünglichen Stellenwert eingebüßt. Und doch ist gerade ein Debütalbum maßgeblich für die Karriere einer Band entscheidend. Welches Bild habt ihr mittlerweile davon?
Dale Barclay: Ich sehe uns trotz dieser Entwicklung der Musikindustrie eher als Album-Band und könnte mir nicht vorstellen anstelle einer ganzen Platte immer nur Singles zu veröffentlichen.
Jordan Hutchison: Aber du hast Recht mit deiner Frage, denn mittlerweile ist es ganz alltäglich geworden, dass Bands sich wieder mehr auf das Single-Format konzentrieren und lieber am laufenden Band auf diese Art und Weise Songs veröffentlichen.
Dale Barclay: Das stimmt, aber ich empfinde es trotz dieser Tendenz immer noch als eine unglaubliche Ehre ein richtiges Album aufnehmen zu können. Wenn du die Möglichkeit hast auf diesem Weg deine Musik publik zu machen und im Studio wirklich etwas wie ein Album auf die Beine stellen kannst, dann ist das etwas Besonderes. Erst recht, wenn man dabei keine Kompromisse eingehen muss. Wir schätzen es sehr, dass uns diese Chance gegeben wurde und würden diese Erfahrung nicht missen wollen. Dieses Gefühl hast du nur ein Mal in deinem Leben. Es mag vielleicht nicht immer angenehm sein, aber es ist auf jeden Fall einzigartig.
MusikBlog: Ihr habt betont wie wichtig euch die Kompromisslosigkeit bei eurer Arbeit ist. Wie sah diese für euch bei den Aufnahmen zu “Amphetamine Ballads” genau aus?
Jordan Hutchison: Wir hatten großes Glück im Green Door Studio in Glasgow aufnehmen zu dürfen. Das allein war schon ein wichtiger Schritt für uns kompromisslos an den Songs arbeiten zu können, da das Umfeld einfach wie geschaffen für uns war. Es war sehr einladend und wir haben uns dort unheimlich wohl gefühlt. Das Team vor Ort hat uns die nötigen Freiheiten gelassen, ohne sich jedoch davor zu scheuen auch einmal einzuschreiten oder uns Tipps zu geben wie wir etwas verbessern könnten.
Dale Barclay: Das Studio war perfekt für uns, weil jeder aufrichtig mit uns umging und wir dadurch so kreativ sein konnten wie nur möglich. Wenn man gute Musik machen will, braucht es dazu ein Umfeld, in dem diese Faktoren gegeben sind. Es nützt dir schließlich nichts, wenn du jemanden um dich herum hast, der verbohrt auf seiner eigenen Meinung beharrt. Das behindert nur die kreative Zusammenarbeit. Wir sind sehr glücklich, dass wir nicht mit Problemen dieser Art zu kämpfen hatten und alles gestimmt hat.
MusikBlog: Ein Großteil der Aufnahmen fand zu sehr später Stunde hat. Hat das einen besonderen Reiz auf euch ausgeübt?
Dale Barclay: Rock’n’Roll ist eine Form von Musik, die schon immer eng mit der Dunkelheit verbunden war und sich von ihr angezogen gefühlt hat. Das ist Fakt und so fundamental für dieses Genre, dass es für uns ganz natürlich war eher nachts aufzunehmen. Ausserdem ist unser Sound ebenfalls so düster, dass es Sinn gemacht hat nicht im Sonnenschein ein Album zu machen. Ich persönlich mag es, wenn man eine Platte hört und man anhand der Aufnahme daran ablesen kann wie die Atmosphäre im Studio war.
Jordan Hutchison: Ein weiterer Pluspunkt dabei war, dass wir nicht komisch angeguckt wurden, wenn wir nebenbei ein Bier tranken. Um zehn Uhr morgens hätten wir da mit Sicherheit einen schiefen Blick gefangen!
MusikBlog: Seid ihr generell eher nachtaktive Menschen?
Dale Barclay: Absolut, obwohl ich mich trotz des Sonnenlichts auch gerade recht wach fühle. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob Jordan wach ist…Hey, bist du da?
Jordan Hutchison: Ja! Wenn man sagt, dass man gerne nachts wach ist, dann wird man immer gleich mit einer Person assoziiert, die schlecht gelaunt ist und sich lieber in der Dunkelheit verkriecht. Das ist aber Quatsch. Nachts passieren nun einmal viele interessante Dinge, die tagsüber nicht stattfinden. Das macht den großen Reiz aus.
MusikBlog: Damals wurde Rock’nRoll mit dem Teufel gleichgesetzt. Welche Seite bringt er bei euch zum Vorschein?
Dale Barclay: Das mag jetzt vielleicht komisch klingen, aber für mich persönlich ist unsere Musik vor allem mit unfassbar viel Freude verbunden, auch wenn man anhand der Musik einen anderen Eindruck bekommen könnte. Wir lieben es Musik zu machen und würden, wenn es nach uns ginge, nichts anderes machen als auf der Bühne zu stehen. All die Menschen da draussen können unsere Musik aufnehmen wie sie wollen, aber für uns gibt es nichts Besseres als live zu spielen. Es ist toll, wenn wir das Gefühl bekommen, dass den Leuten unsere Musik gefällt. Das wissen wir sehr zu schätzen. Gerade, weil wir nicht damit gerechnet haben, dass sich überhaupt jemand dafür interessieren könnte.
MusikBlog: Warum hat euch die positive Reaktion überrascht?
Dale Barclay: Ich schätze, weil wir anfangs leidenschaftlich nur für uns selbst Musik gemacht und nicht daran gedacht haben, dass wir damit Leute ausserhalb unseres Umfelds erreichen könnten. Vielleicht spielen wir auch deswegen jetzt noch so gerne live, weil wir da unmittelbar die Reaktion der Menschen mitbekommen und es wohl der direkteste Beweis dafür ist, dass wir nicht mehr nur Musik für uns machen.
Jordan Hutchison: Wie Dale schon erwähnt hat, lebt unsere Musik auch vom Spaß und ist keineswegs teuflisch. Wir haben gehofft, dass das in unseren Songs zum Ausdruck kommt und sind froh zu sehen, dass andere Leute das ebenso empfinden.
MusikBlog: Es gibt nicht mehr allzu viele Bands, die einem so unverblümt und direkt die Rock’n’Roll Songs um die Ohren schlagen wie ihr es tut. Hat Rock’n’Roll für euch ein Verfallsdatum?
Dale Barclay: Rock’n’Roll ist tot! So heisst es doch immer, wenn darüber diskutiert wird, ob diese Form von Musik überhaupt noch existiert. Ich bin der Meinung Rock’n’Roll ist nur tot, wenn man anfängt genau das zu glauben. Ich kenne so viele Menschen, die dieser Auffassung sind und davon überzeugt sind, dass diese Art von Musik nichts mehr zu bieten hat. Es kommt immer darauf an, was man als Rock’n’Roll sieht und was man daraus für sich selbst mitnimmt. Für uns bedeutet es ein Ventil für unsere Energie zu schaffen, die wir dadurch freisetzen können. Dazu müssen wir gar nicht einmal im klassischen Sinne Rock-Songs spielen. Es geht vielmehr darum die richtige Einstellung zu haben und diese ist vor allem tief darin verwurzelt, dass wir aufrichtig das machen, was wir lieben.
MusikBlog: Wie kam es dazu, dass ihr diesem Genre verfallen seid?
Dale Barclay: Der Rock’n’Roll hat mein Leben gerettet. Und das meine ich genau so wie ich es sage. Er hat mir ein Ziel und eine Perspektive gegeben. Da kann ich allerdings nur für mich selbst sprechen. Ich konnte dafür eine so große Leidenschaft entwickeln und wieder an etwas glauben. Gleichzeitig hat es Spaß gemacht zusammen mit Freunden in dieser Hinsicht kreativ zu werden, Musik zu machen und Songs zu schreiben. Rock’n’Roll kann sehr machtvoll und überzeugend sein, wenn er richtig gelebt wird und seine ganze Wirkung entfalten kann. Ich kann mich noch gut daran erinnern wie ich als Jugendlicher zu Konzerten ging und hinterher so davon beeindruckt war, dass ich das Gefühl hatte dieser Abend hätte mich und mein Leben verändert. Das war großartig. Ich hoffe, dass sich die Energie bei unseren Live-Shows auch ansatzweise auf das Publikum überträgt und es etwas davon mit nach Hause nimmt.
MusikBlog: Rock’n’Roll kann also immer noch etwas verändern und besitzt eurer Meinung nach diesen revolutionären Funken?
Jordan Hutchison: Ganz sicher sogar. Obwohl wir mit unserer Musik nicht den Anspruch haben bahnbrechende Umwälzungen zu initiieren. Unsere Absicht ist es einfach Rock’n’Roll zu machen und Spaß zu haben.
Dale Barclay: Ich habe keine Ahnung, welchen Effekt unsere Musik letztendlich auf andere hat, aber ich weiss, dass diese Art von Musik eine entscheidende Rolle in meinem Leben spielt und etwas in mir persönlich verändert hat. Als Individuum kann ich sagen, dass dieser Mythos immer noch da ist, aber das muss jeder für sich selbst entscheiden.
Jordan Hutchison: Heute gibt es musikalisch so viel Neues, dass man diesen revolutionären Funken auch in anderen Genres wiederfindet. Protestsongs existieren immer noch und Hip Hop hat in den letzten Jahrzehnten auch gezeigt, dass man viel davon erwarten kann. Ich frage mich nur ab und zu, was genau dieser innere Wandel ist, von dem die Leute da immer reden. Was hat sich denn explizit verändert? Wovon sprechen diese Menschen eigentlich?
Dale Barclay: Ich denke, dass man innerlich an einen Punkt gelangt, an dem man merkt, dass man eine neue Stufe erklommen hat. So etwas wie die Reise an einen unbekannten Ort, der einem neue Sichtweisen eröffnet und einem das Gefühl gibt, dass ein bestimmtes Kapitel abgeschlossen ist, weil man in eine andere Richtung weiterzieht oder seine wahre Bestimmung gefunden hat. Das Schöne und Wichtige an Musik im Allgemeinen ist, dass sie genau diese Wirkung haben kann. Ich hoffe das wird auch immer so bleiben.
MusikBlog: Glasgow hat eine sehr lebhafte Musikszene. Ist es euch schwer gefallen ein Teil davon zu werden bzw. wolltet ihr überhaupt dazugehören oder lieber euer eigenes Ding machen?
Dale Barclay: Wir waren von Anfang an nicht wirklich Teil der lokalen Szene, sondern immer abseits davon auf uns allein gestellt. Es gibt viele Bands, die auf ähnliche Weise in Glasgow existieren. Man kommt auch mal zusammen oder ein Ort wie das Green Door Studio wird zum Anziehungspunkt für bestimmte Bands, aber ich habe eher den Eindruck, dass viele Bands individuell ihr Ding machen. Wir haben nie versucht ein Teil einer Szene zu werden. Dafür konzentrieren wir uns viel zu sehr auf unsere eigene Musik. Das heisst aber nicht, dass wir in Glasgow keine Freunde haben. Ganz und gar nicht! Es gibt eine Menge guter Bands, die wir sehr schätzen, aber es ist nicht so sehr eine traditionelle “Szene”. Ich würde es eher als Gemeinschaft bezeichnen.
MusikBlog: Wie viel Glasgow steckt denn in “Amphetamine Ballads”? Ein Album, das als “Soundtrack Of Glasgow At Night” betitelt wird…
Jordan Hutchison: Diese Bezeichnung stammt wohlbemerkt nicht von uns! (lacht)
Dale Barclay: Ich hoffe sehr, dass einiges von dem in den Songs steckt, was Glasgow für uns so besonders macht. Ich fände es schrecklich, wenn man unsere Herkunft nicht einmal ansatzweise heraushören könnte. Glasgow ist ein toller Ort, wenn man offen ist. Natürlich gibt es auch Schattenseiten und die Kriminalität trägt dazu bei, dass die Stadt in einem weniger guten Licht dasteht, aber das gibt es überall. Trotzdem haben wir nicht bewusst versucht so etwas wie eine Hommage an Glasgow zu schreiben. Ich denke es liegt im Auge des Betrachters, welche Rückschlüsse er aus unseren Songs ziehen will.
MusikBlog: Mit einem Albumtitel wie “Amphetamine Ballads” stellt sich natürlich die Frage: Wonach seid ihr eigentlich süchtig?
Dale Barclay: Rock’nRoll! Inklusive dem damit verbundenen Spaß und Zeit mit unseren Freunden zu verbringen.
Jordan Hutchison: Crack! (lacht)
Dale Barclay: Nein! Definitiv nicht Crack. Wir nehmen die Musik sehr ernst und schätzen sie viel zu sehr, als dass wir uns das mit solchen Dingen kaputt machen würden. Dazu hat sie einen viel zu hohen Stellenwert in unserem Leben. Wir arbeiten sehr hart, aber natürlich haben wir auch Spaß.
MusikBlog: Ist Musik der beste oder gar einzige Weg für euch eurem Ärger Luft zu machen?
Jordan Hutchison: Für mich ist sie das auf jeden Fall. Andere Leute gehen zum Sport oder fangen sich an nach ein paar Drinks zu prügeln. Jeder hat da sein eigenes Ventil, um mit dem aufgestauten Frust klarzukommen. Wenn ich am Schlagzeug sitze und auf die Felle einschlage, dann beruhigt mich das ungemein. Ich bin aber generell kein Mensch, der voller Wut und Anspannung steckt.
Dale Barclay: Es ist toll, wenn man wie wir mit der Musk einen Weg findet, um den ganzen Mist und Frust des Alltags in etwas Positives zu verwandeln. Sobald wir unsere Instrumente in die Hand nehmen, verpufft schon einmal ein großer Teil des Ärgers, den wir mit uns herumtragen. Der schlimmste Moment für mich ist, wenn wir kurz davor sind auf die Bühne zu gehen und ich diese paar Sekunden warten muss, um endlich loszulegen! Unser Bassist William ist so etwas wie unsere Geheimwaffe, weil er so groß ist und bedrohlich wirkt. Er ist eine wahre Naturgewalt. (lacht)
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.