Zeitreise. Ich bin wieder ein achtjähriger, verzogener Bengel, sitze auf der Couch und kucke Tele 5. He-Man und seine “Masters Of The Universe” sind gerade vorbei. Es läuft irgendein Werbespot für Plastikfiguren und gleich beginnt eine neue Serie, die ich noch nicht kenne.
Endlich flimmern wieder bunte Zeichentrickbilder über den, ganz und gar nicht flachen, Bildschirm. Eine, in meinen Ohren wahnsinnig coole, Roboterstimme buchstabiert den Titel der nächsten Sendung auf Englisch: “H-E-R-C-U”. Ich verstehe gar nichts. Dann beginnt plötzlich (ein noch viel coolerer) Chor zu singen: “Hercules & Love Affaaaiiir”. Blitze zucken über den Bildschirm und ich schaue gebannt weiter.
Die Folge der brandaktuellen Serie heißt „The Feast Of The Broken Heart“. Beim ersten Song „My Offence“ bin ich plötzlich vier Jahre älter, ein junger Teenager, der mitten in den 90er-Jahren vor dem Radio sitzt, zwischen Techno, Rave und Dancefloor.
Was für Instrumente! Die hat sich seit der Zeit des Eurodance wahrscheinlich kein Musiker mehr getraut zu spielen. Der Beat klingt wie ein Abklatsch von Whigfields „Saturday Night“ mit allem was dazu gehört: ein sommerlich leichter Synthie-Bass, ein künstliches Klavier, ebenso künstliche Klatscher und Trillerpfeifen.
Der Produzent, der solch gewagte Klänge aus den tiefsten Abgründen der 90er fischt, heißt Andrew Butler und hat als New Yorker mit Eurodance genauso wenig zu tun, wie der Gesang über den Beats. Antony Hegarty, Kim Ann Foxman und Nomi Ruiz liefern eine Stimm-Performance die man eher dem Soul zuordnen würde.
Im Text von „I Try To Talk To You“ bittet Hegarty gefühlvoll: “I don’t understand, help me please, tell me everything, make me see” und in “That’s Not Me” trifft Kopfstimmen-Disco-Gesang auf eine House-Orgel. Bei “5:43 To Freedom”, dem für mich besten Stück auf dem Album, kommt diese Orgel noch einmal mit Perfektion zum Einsatz. Bei dieser Melodie muss man einfach mitwippen, während im Hintergrund Sample-Fetzen vor sich hin schimpfen. Die Message: „Be Yourself“.
Egal, welchen Titel man auswählt “Think”, „Liberty“ oder „Do You Feel The Same“ – sie alle eignen sich perfekt zum Tanzen oder zumindest für sportliche Übungen. Der letzte Song aber hebt sich ab. „The Key“ ist ein bisschen düsterer und passt mit seinen Trompeten-Solis nicht ganz in das Eurodance-Schema der restlichen Platte – gut so! Nach House, Dance, Disco und Soul gibt es zum Ende noch einen Schuss Jazz.
Hercules & Love Affairs neues Album “The Feast Of The Broken Heart” überzeugt mit seinen gut arrangierten Songs und erstklassigem Gesang. Die Retrobeats machen Spaß, werden aber auf Dauer ein bisschen eintönig. Bei Langeweile empfiehlt sich ein Blick aufs Cover mit seinen lustigen, bunten Bildern von Hercules und seinen Freunden am Strand. Da freut sich der achtjährige Bengel in mir wieder.