Die Berliner Band Mutter besteht seit fast 30 Jahren und liefert dem Indie-Rock immer noch beständig neue Impulse. Das liegt auch am Sänger Max Müller, neben Drummer Florian Koerner von Gustorf das letzte Gründungsmitglied. Seine Stimme prägt das Werk einer Band, die sich seit jeher ständig selbst erneuert. Auch ihr zwölftes Album „Text und Musik“ erhebt die stilistische Unabhängigkeit zum Prinzip und klingt dabei doch sehr nach Mutter.
MusikBlog: Soll ich dich Max nennen oder Thomas, wie dein richtiger Name lautet?
Max: Ach, gerne Max. So werde ich seit Jahrzehnten genannt, Thomas sagt fast niemand.
MusikBlog: Also, Max, in der Dokumentation über deine Band meinte Jochen Distelmeyer vor fast zehn Jahren, irgendwann würden die Leute sagen, Mutter, das „hat kein Schwein wahrgenommen, das ist aber das Geilste gewesen“.
Max: Oh, ich erinnere mich. Worauf willst du hinaus?
MusikBlog: Auf die Diskrepanz zwischen Popularität und Güte, die Distelmeyer beklagt.
Max: Dafür dürfen wir aber niemanden außer uns selbst verantwortlich machen, so wie wir an uns als Band herangegangen sind. Ich gebe da keinem die Schuld.
MusikBlog: PR und Selbstvermarktung waren jedenfalls keine Stärken von euch, oder?
Max: Das stimmt. Aber es ist auch nicht so, dass wir’s nicht versucht hätten. Sie ist uns halt einfach nur nicht in dem Maße geglückt, wie sie für größere Bekanntheit nötig wäre.
MusikBlog: Gibt es bei Mutter Berührungsängste mit kommerziellem Erfolg?
Max: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Ich lebe ja von der Musik, da geht es immer auch um diese Seite des Erfolgs. Bei unserer Art von Musik ist nur eben schwer, ihn zu forcieren. Trotzdem ging es uns allen stets auch darum, sie möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen.
MusikBlog: Nur nicht auf Teufel komm heraus.
Max: Genau. Erfolg ist ja Definitionssache. Für die einen besteht er darin, vor 100.000 Leuten zu spielen, viel Geld zu verdienen, Headliner auf großen Festivals zu sein. Bei mir reicht da oft schon das Gefühl, eine wirklich gelungene Platte gemacht zu haben. Wenn es drei Leute mögen, die mir wichtig sind, gibt mir das dann größere Befriedigung, als wenn es viele sind, an denen mir nichts liegt. Das kann man egoistisch nennen, denn meine eigene Zufriedenheit ist mir erstmal am wichtigsten. Etwas genau so gemacht zu haben, wie wir es wollen – ohne Ratschläge von außen und den Druck des Marktes: Das nenne ich Erfolg. Gerade über diesen langen Zeitraum.
MusikBlog: Hat denn je jemand versucht, euch so zu schulen, dass die Resonanz dem Inhalt gerechter wird?
Max: (lacht) Nee. Aber wir waren wie die meisten natürlich immer auf Leute angewiesen, die was davon verstehen, unsere Inhalte zu vermarkten. Ich bin ganz schlecht in Selbstvermarktung und möchte mich vor allem um Inhalte, Text und Musik kümmern.
MusikBlog: Wobei es manchmal scheint, dass ihr Brücken, die eure Platten in normale Hörgewohnheiten bauen, live wieder einreißt.
Max: Aber ganz gewiss nicht bewusst. Wir machen auch auf der Bühne vor allem das, was uns Spaß macht und der Musik gerecht wird. Am Ende machen wir einfach Rockmusik und bei der geht es um Energie, Unterhaltung, Inhalt. Da will ich wirklich niemanden bewusst vor den Kopf stoßen.
MusikBlog: Auch keine Säle leerspielen?
Max: Nein! Das will keiner von uns. Wir alle definieren Musik als etwas, in das man hineinwächst. Deshalb wollten wir niemals eine Art von Kontinuität wie bei den Toten Hosen oder Genesis, wo jedes Konzert immer gleich klingt.
MusikBlog: Kontinuität findet sich auch auf euren Platten selten. Ist das ein Konzept, sich möglichst wenig zu wiederholen, dabei aber auch schwer wiedererkennbar zu sein?
Max: Unser Konzept ist schon das der Konzeptlosigkeit, aber eher unterbewusst. Zumal es durchaus rote Fäden gibt, allein schon durch meine Stimme. Aber so sehr ich Musik liebe, ist mir ihre Form meist relativ unwichtig. Manchmal dient sie zur Verstärkung eines Textes, manchmal zur Betonung einer bestimmten Energie; welchen Stil die Musik folgt, ist dabei nicht wichtig. Wir wollten nie irgendwo ankommen mit unserem Sound, eher immer unterwegs sein. Musik heißt wie überall in der Kunst vor allem Freiheit.
MusikBlog: Entsprechend schlicht und konzeptlos heißt eure neue Platte „Text und Musik“. Wo kann man die im Feld der Freiheit einordnen – als Entwicklungsschritt oder singuläres Werk?
Max: Beides, weil sie in sich das Ergebnis einer ewig langen Entwicklung sind. Wir haben wirklich Jahre gebraucht, um aus insgesamt 22 Stücken eine Essenz von neun zu finden, die jetzt auf der Platte sind. Aufgenommen ist so was bei uns immer schnell, aber diesmal war es ein viel längerer Prozess also sonst, sie entstehen zu lassen. Deshalb ist noch weniger Konzept drin als bei unseren anderen Platten.
MusikBlog: Das zeigt sich dann in Spannungsfeld zwischen einer harmonischen Pop-Hymne wie „Qui“ und eher dissonantem Noise wie „Ich will nicht mehr als das“ am Ende.
Max: Trotzdem haben die alle viel miteinander zu tun. Für mich sind Platten wie gute Filme, mit abwechslungsreicher Dramaturgie, in der die Stimmung mal aufwallt, mal abebbt. Deshalb kann man die wenigsten Lieder für sich rausnehmen und bewerten. Manchmal kommt dabei dann wirklich ein Konzentrat der Musik raus, wie bei einem Soundtrack.
MusikBlog: Für den du ja ohnehin ein Faible hast. Warum?
Max: Weil sie wie Klassik und Jazz meist ohne Worte Gefühle wachruft, das ist eine große Kunst. Deshalb beschäftige ich mich viel damit, auch wenn Mutter eine größere Bedeutung für mich hat.
MusikBlog: Deine Karriere hätte allerdings auch völlig anders laufen können, wenn du vor mehr als 30 Jahren mal zu einer Bandprobe der Ärzte gegangen wärst. Ist das Wahrheit oder Legende?
Max: Das ist tatsächlich wahr. Witzigerweise hatte ich das total vergessen, bis der damalige Ärzte-Drummer Dirk das mal in einem Interview erzählt hat. Ich hatte ihm seinerzeit sein erstes Tattoo gemacht, das er immer noch hat, wir saßen so zusammen und er meinte, komm doch mal vorbei. Das hab ich dann aber schlicht verpennt.
MusikBlog: Und bereut man das manchmal, angesichts des gewaltigen Erfolgs der Ärzte?
Max: Na ja, manchmal denkt man schon, ach hättste doch damals… Aber nee, bereut hab ich da nix. Sonst wäre mein Leben ja wirklich ärmlich.
MusikBlog: Hast du in den Jahrzehnten mit Mutter mal irgend etwas anderes bereut?
Max: Höchstens, bestimmten Impulsen nicht weiter gefolgt zu sein. Ich erfreue mich eher an Dingen, die mir gelungen und wichtig sind, als verpassten Chancen nachzutrauern. Was mich womöglich ärgern würde, wäre, in 20 Jahren eine alte Platte von uns zu hören und zu sagen: Oh Gott! Grauenhaft, was haben wir da bloß angestellt…
MusikBlog: Kann so ein lang anhaltendes Projekt wie Mutter eigentlich ewig weitergehen oder gibt es da sowas wie ein Haltbarkeitsdatum?
Max: Wenn ich in der Gegenwart ständig darüber nachdenke, wie lange etwas in der Zukunft hält, würde ich ja Depressionen kriegen. Dafür macht mir die Arbeit mit der Band auch jetzt gerade zu viel Spaß. Und das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist, uns aufzulösen und dann fünf Jahre später ein Comeback zu feiern. Furchtbar.
MusikBlog: Vielen Dank für das Interview.